Der Münchner Anwalt, der als AGG-Hopper unrühmliche Karriere machte, erhält 14.000 Euro Entschädigung, so das LAG Hessen. Der verurteilte Versicherer will mit dem Fall nochmal zum BAG. Und bald beginnt auch der Strafprozess gegen den Juristen.
Neun Jahre dauerte der Prozess – bisher. Nun hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen entschieden, dass ein Münchner Anwalt 14.000 Euro Entschädigung wegen Diskriminierung bekommen soll. Zudem erhält er die künftigen materiellen Schäden ersetzt, die ihm seit April 2009 entstanden sind, weil die beklagte R+V Versicherung ihn nicht eingestellt hat. Der Versicherer hat den von ihm angenommenen Rechtsmissbrauch durch den Juristen, der sich auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) beruft, nach Ansicht des Gerichts nicht hinreichend dargelegt, wie aus den jetzt veröffentlichten Urteilsgründen hervorgeht (Urt. v. 18.06.2018, Az. 7 Sa 851/17).
Im Jahre 2009 hatte sich der Münchner Anwalt auf ein Trainee-Programm bei der R+V Versicherung beworben und wurde abgelehnt. Die Versicherung hatte einen Mitarbeiter gesucht, dessen Staatsexamen etwa ein Jahr zurückliegen oder "innerhalb der nächsten Monate" erfolgen sollte. Das AGG war damals gerade drei Jahre alt.
Der Anwalt bewarb sich, wurde abgelehnt - und klagte. Wie noch oft in den folgenden Monaten, auch gegen diverse weitere Unternehmen. Zum Teil war er damit erfolgreich und erzielte sogar höchstrichterliche Urteile (etwa das Young Professionals-Urteil, BAG, Urt. v. 24.01.2013, Az. 8 AZR 429/11). Gegen die R+V klagte er wegen Alters- und zudem wegen Geschlechterdiskriminierung, weil er erfuhr, dass auf die juristischen Trainee-Stellen ausschließlich weibliche Bewerberinnen eingestellt wurden.
Verhandlung im Strafverfahren geht los
Das Arbeitsgericht (ArbG) Wiesbaden (Urt. v. 20.01.2011, Az. 5 CA 2491/09) und das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen (Urt. v. 16.01.2012, Az. 7 Sa 615/11) hatten die Klage abgewiesen. Die mittelbare Altersdiskriminierung sei gerechtfertigt, hinreichende Anhaltspunkte für eine Geschlechterdiskriminierung habe der Anwalt nicht dargelegt. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hob das Urteil aber im Jahr 2012 auf (Beschl. v. 23.08.2012, Az. 8 AZN 711/12), da die Gerichte die Vermutungstatsachen für eine Diskriminierung wegen des Geschlechts nicht ausreichend gewürdigt und hiermit den Anspruch auf rechtliches Gehört verletzt hätten.
Das LAG wies erneut ab, wieder ging die Sache zum BAG. Das legte den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor (BAG, Beschl. v. 18.06.2015, Az. 8 AZR 848/13). Deutschlands oberste Arbeitsrichter wollten wissen, ob auch derjenige vom AGG geschützt ist, der nur den Status des Bewerbers erreichen wolle. Und ob es rechtsmissbräuchlich sei, wenn die alleinige Zielrichtung dieser Statuserlangung die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen ist.
Das BAG hatte einen starken Anlass für diese Fragen. Die Staatsanwaltschaft München I hatte im Jahr 2012 gegen den Rechtsanwalt und dessen sich ähnlich verhaltenden Bruder Ermittlungen wegen des Verdachts des Betruges aufgenommen. Im Dezember 2014 erhoben die Strafverfolger Anklage zum Landgericht (LG) München I (12 KLs) gegen die beiden Männer. In 25 Fällen sollen Unternehmen eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 88.000 Euro gezahlt haben, in 91 weiteren Fällen sollen die Brüder Forderungen von insgesamt 1,7 Millionen Euro erhoben haben, auf die aber nicht gezahlt wurde, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Da das AGG in dieser Zeit zu einer Geschäftsidee zu verkommen schien, hatte zudem eine Großkanzlei ein AGG-Register eingerichtet, in dem AGG-Hopper aufgenommen wurden.
Die Anklage wurde vom LG München I aber nicht zugelassen. Erst auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ließ das Oberlandesgericht München im Januar 2016 die Anklage teilweise zu. Nun wird ab dem 27. November 2018 in mindestens 19 bislang bestimmten Verhandlungsterminen vor dem LG München I verhandelt werden, teilte die Staatsanwaltschaft München I auf LTO-Anfrage mit.
Beim LAG bleiben Zweifel
Dass dieses Verfahren der R+V Versicherung noch nützt, ist allerdings unwahrscheinlich. Zwar hatte der EuGH auf die BAG-Vorlage entschieden, dass eine nicht ernst gemeinte Bewerbung nicht von den EU-Gleichbehandlungsrahmenrichtlinien (RL 2000/78 und 2006/54) geschützt ist (Urt. v. 28.07.2016, Az. C-423/15) – und damit auch nicht durch das AGG. Zum anderen könne ein solches Verhalten auch nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts rechtsmissbräuchlich sein.
Diese Wertung wiederholte nun auch das LAG Hessen. Allerdings hielt es sich auch an die üblichen Darlegungs- und Beweislastregeln – und die liegen für den rechtshindernden Einwand des Rechtsmissbrauchs bei demjenigen, der ihn geltend macht. Die Versicherung müsste also objektive Umstände vortragen, aus denen sicher angenommen werden kann, dass nur der formale Status als Bewerber angestrebt worden sei. Blieben Zweifel, gehe das zu ihren Lasten.
Das LAG stellt ab auf den Zeitpunkt der Bewerbung und berücksichtigt daher nur Umstände aus der Zeit bis zur Absage.
R+V war eine der ersten
Aus der Vielzahl der Bewerbungen des Juristen lässt sich nach der Entscheidung des LAG kein Rechtsmissbrauch herleiten. Immerhin sei der Anwalt nach einem Auslandsaufenthalt arbeitslos gewesen.
Ein Missbrauch folge auch nicht allein aus den mehreren geführten Entschädigungsprozessen, die zeitlich nach der Bewerbung bei der R+V lagen. Auch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft genügten dem LAG nicht für die Feststellung eines Rechtsmissbrauches. Der Bewerbungsmarathon mit der Vielzahl der anschließenden Klagen, die dann auch zur den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft führen, lag nämlich zeitlich nach der Bewerbung bei der R+V. Die Versicherung war schlichtweg eine der ersten, die er verklagte. Die Strafakten zog das LAG übrigens nicht bei.
Das Gericht berücksichtigte vielmehr die zum Zeitpunkt der Bewerbung vorliegende persönliche Situation des Klägers. Der war damals arbeitslos und kürzlich aus dem Ausland zurückgekehrt. Der Rechtsanwalt habe sich in dieser Situation natürlich bewerben dürfen, entschied das LAG. Zudem habe er "ein verstärktes Interesse an der rechtspolitischen Fortbildung des Antidiskriminierungsrechts" vorgetragen. Bei all diesen Umständen war das LAG nicht zweifelsfrei von einem rechtsmissbräuchlichen Vorgehen zu überzeugen.
Die Revision hat das LAG nicht zugelassen, dagegen hat die R+V am Freitag Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt (Az. 8 AZN 507/18).
LAG Hessen verurteilt R+V Versicherung: . In: Legal Tribune Online, 13.11.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32043 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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