Über vier Jahre nach Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes urteilt das BAG wieder zu einer Entlassung mit religiösem Hintergrund: Ein muslimischer Arbeitnehmer hatte den Umgang mit Alkoholika verweigert. Die von vielen erwartete Grundsatzentscheidung blieb aber aus. Im Gegenteil: Wieder soll es nur auf den Einzelfall ankommen. Von Dr. Jan T. Lelley.
Wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) mitteilte, wird das Verfahren um die verhaltensbedingte Kündigung des Mannes weitergehen. Im Urteil vom 24. Februar 2011 (Az. 2 AZR 636/09) haben die Erfurter Richter das Berufungsurteil aufgehoben und zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein zurückverwiesen.
In den Vorinstanzen war der Kläger, der als Ladenhilfe in einem Einzelhandelsmarkt beschäftigt war, mit seinem Kündigungsschutzbegehren noch gescheitert. So wertete das LAG Schleswig-Holstein die ausgesprochene Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung als wirksam (Urt. v. 20.01.2009, Az. 5 Sa 270/08).
Zu diesem Ergebnis kam das Berufungsgericht aufgrund einer Abwägung der verfassungsmäßigen Grundrechte einerseits der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit nach Art. 4 Grundgesetz (GG) und andererseits der grundrechtlich geschützten unternehmerischen Betätigungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG.
Die Richter ließen damals keinen Zweifel: Der Kläger habe kein Recht, sich einer Arbeitsanweisung seiner Arbeitgeberin mit religiösen Argumenten zu widersetzen. Denn aufgrund des Arbeitsvertrags dürfe die Arbeitgeberin Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen (§ 106 Gewerbeordnung). Und im vorliegenden Fall ging es nach Meinung der Berufungskammer letztendlich darum, den Kläger in einer Abteilung einzusetzen (eben jener, wo mit Alkoholika hantiert wurde), weil dort weniger mit krankheitsbedingten Fehlzeiten des Mannes zu rechnen war. Das sei das berechtigte Interesse der Arbeitgeberin und keinesfalls unbillig.
Religionsfreiheit vs. Treu und Glauben
Im Ergebnis wandte das LAG vor allem das Verbot eines so genannten venire contra factum proprium nach § 242 Bürgerliches Gesetzbuch gegen den Kläger. Denn in seiner religiös motivierten Argumentation gab es einen eigenartigen Widerspruch: Einerseits reklamierte er für sich, aufgrund seines muslimischen Glaubens nicht verpflichtet zu sein, alkoholische Getränke in den Verkaufsräumen einzuräumen. Hierbei handele es sich um eine große Sünde (Sure 2, 219). Andererseits war er bereits mehrere Jahre auf genau diese Art im Betrieb tätig gewesen, hatte also Regale mit Alkoholika aufgefüllt – augenfällig ohne dass seine Religion dabei eine Rolle spielte.
Das ist nahezu klassisch eine Zuwiderhandlung gegen das eigene frühere Verhalten und damit ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Nach der Lektüre der Entscheidungsgründe des LAG ist man sich aber auch sicher: Ohne dieses widersprüchliche Verhalten des Klägers wäre anders entschieden worden. Denn grundsätzlich gestand das Berufungsgericht dem Kläger zu, dass für eine Arbeitsverweigerung durchaus die religiöse Einstellung und damit das Grundrecht auf Glaubensfreiheit einschlägig sein kann.
Wie passen Alkohol und Kopftuch zusammen?
Erinnerungen werden wach an das Jahr 2002. Damals hatte das BAG in der bekannten Kopftuchentscheidung eine verhaltensbedingte Kündigung wegen Tragen eines islamischen Kopftuchs für unwirksam erklärt (Urt. v. 10.10.2002, Az. 2 AZR 472/01). Geklagt hatte eine türkischstämmige Frau, deren Arbeitgeberin, die Betreiberin eines Kaufhauses, nicht dulden wollte, dass die Mitarbeiterin mit einem Kopftuch bedeckt Kunden in der Parfümerieabteilung bediente.
Nach Ansicht der Erfurter Richter lag hier weder ein personen- noch ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund vor: Alternative eins nicht, weil die Klägerin auch mit Kopftuch ihre arbeitsvertraglich geschuldete Leistung – das Verkaufen von Parfümerieartikeln – erbringen konnte. Auch an Alternative zwei hatten die Richter Zweifel, weil das Tragen eines islamischen Kopftuchs eine Religionsausübung darstellt, die den Grundrechtsschutz des Art. 4 GG genießt.
Zu einer detaillierten Auseinandersetzung des BAG mit dem Grundrechtsschutz der Religion und den von der beklagten Arbeitgeberin geäußerten Vermutungen und Befürchtungen im Hinblick auf die Kundschaft kam es in diesem Fall allerdings nicht, weil die Arbeitgeberin für eine Betriebsablaufstörung oder die Störung betrieblicher Interessen und damit ihrerseits für eine grundrechtlich geschützte Position (Art. 12 Abs. 1 GG) im Prozess einfach nicht genug vorgetragen hatte. Über konkrete betriebliche Störungen oder wirtschaftliche Einbußen konnte das höchste deutsche Arbeitsgericht daher mangels Tatsachenvortrag nicht entscheiden.
Dazu will die aktuelle Entscheidung nicht recht passen. Denn dort war konkret der Kernbestand des Arbeitsverhältnisses, das heißt die Arbeitsleistung gegen Entgelt durch die Arbeitsverweigerung des Klägers betroffen. Und auch einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben gab es im Kopftuch-Fall nicht. Man darf also auf die Entscheidungsbegründung aus Erfurt gespannt sein.
Der Autor Dr. Jan Tibor Lelley, LL.M. ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner einer internationalen Sozietät von Rechtsanwälten und Steuerberatern am Standort in Essen. Sein Buch Compliance im Arbeitsrecht erschien 2010 bei Luchterhand.
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Jan Tibor Lelley, Kündigung eines Moslems: . In: Legal Tribune Online, 25.02.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2622 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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