Für Ministerin Christine Lambrecht macht die deutsche Justiz bei der Aufarbeitung von Kriegsverbrechen einen guten Job. Von Christoph Safferlings Vorschlag, Völkerstraf-Prozesse bei nur einem OLG zu konzentrieren, hält sie wenig.
Hat das deutsche Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) nur symbolische Bedeutung? Können Verbrechen, die auf anderen Kontinenten verübt werden, in Deutschland überhaupt vernünftig aufgeklärt werden? Kritiker, die solche Zweifel äußern, sind leiser geworden.
Zwei Entwicklungen haben dazu maßgeblich beigetragen: Zum einen haben Islamisten, die von Deutschland in die Kampfgebiete in Syrien und im Irak aufbrachen, ihre dortigen Verbrechen oft prahlerisch mit dem Smartphone dokumentiert und die Aufnahmen in sozialen Netzwerken geteilt. Sie lieferten die Beweise also selbst. Zum anderen kamen mit der Fluchtbewegung ab 2013 viele Opfer, aber auch Täter, entsprechender Verbrechen nach Deutschland. Die hiesige Justiz verhandelt inzwischen regelmäßig Fälle nach dem 2002 geschaffenen Völkerstrafgesetzbuch.
Entsprechend wurden auch die Ressourcen ausgebaut. Beim Generalbundesanwalt sind heute zwölf Staatsanwälte mit Verfahren nach dem VStGB befasst, berichtete Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) bei einer Veranstaltung der SPD-Bundestagsfraktion am Mittwochabend. Generalbundesanwalt und Gerichte machten einen "guten Job", sagte Lambrecht, "das wird zu Recht in anderen Staaten gelobt". Die SPD-Veranstaltung stand unter dem Motto "Wider die Straflosigkeit".
Als wichtige Signale lobte die Ministerin, dass inzwischen auch das Posieren mit abgeschlagenen Köpfen als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" verfolgt und verurteilt werde. Auch könnten sich Frauen, die Ehemänner zum IS begleiteten, nicht mehr damit herausreden, dass sie dort nur den Haushalt gemacht hätten. Sie würden nun wegen des Kriegsverbrechens "Plünderung" verurteilt, wenn sie in fremden, vom IS akquirierten Wohnungen lebten.
Was Strafverfolgung bewirken kann
Prof. Dr. Christoph Safferling von der Uni Erlangen-Nürnberg wies auf die Öffentlichkeitswirkung solcher Prozesse hin: "Not only justice must be done, but also seen to be done", zitierte er einen Justiz-Aphorismus aus England. Eine wirksame Strafverfolgung von Kriegsverbrechen in Deutschland führe auch dazu, dass Täter Deutschland meiden, weil sie hier keinen sicheren Rückzugsraum mehr finden.
Schon die Ausstellung von Haftbefehlen könne Wirkungen erzielen, hat MdB Frank Schwabe, Sprecher der SPD-Arbeitsgruppe-Menschenrechte, beobachtet. "Dass der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow nicht mehr frei reisen kann, weil ihm im Ausland die Festnahme droht, trifft ihn hart".
Prof. Dr. Beate Rudolf, die Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, sah auch innenpolitische Wirkungen der VStGB-Prozesse. Heute werde immer öfter, insbesondere von der AfD, eine Rückkehr von Flüchtlingen nach Syrien gefordert, weil der Krieg faktisch vorbei sei. In dieser Situation könne die öffentliche Aufarbeitung von syrischen Verbrechen auch verdeutlichen, warum für viele Syrer die Rückkehr derzeit keine Option ist.
Die Rolle der Opfer
Für die Flüchtlinge könne die Teilnahme an deutschen Strafverfahren auch eine wichtige Erfahrung sein, so Rudolf. "Sie erleben dann den Rechtsstaat und wie er mit solchen Verbrechen umgeht". Wichtig sei zum Beispiel, dass Opfer geschützt werden, wenn sie als Zeugen aussagen. "Das wirkt in die Community hinein und auch in die Länder zurück". Die Rolle als Nebenkläger hole die Betroffenen auch aus der Opferrolle heraus. "Sie können jetzt handeln und selbst aktiv werden", so Rudolf.
Rechtsprofessor Safferling sieht die Rolle von Opfern als Nebenkläger dagegen nicht uneingeschränkt positiv. Gut sei dies zwar in Prozessen mit einem oder zwei Opfern, es funktioniere aber nicht in Verfahren mit 4.500 Opfern, wie es sie am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag schon gegeben habe, so Safferling, "das sprengt dann jedes System". Der Gerichtshof arbeite dann mit Opfer-Repräsentanten, so dass das einzelne Opfer auch wieder nur mittelbar involviert sei.
Stattdessen sollten, so Safferling, Strukturen geschaffen werden, "in denen die Opfer ihre Geschichte erzählen können". Auch die Entschädigung von Opfern solle über solche Strukturen abgewickelt und vom Strafprozess getrennt werden. Finanzielle Entschädigung dürfe nicht davon abhängig sein, ob eine strafrechtliche Verurteilung des mutmaßlichen Täters gelingt, "sonst entstehen nur neue Ungerechtigkeiten", warnte Safferling.
Ein OLG für alle VStGB-Prozesse?
Auch für die Zuständigkeiten in Deutschland machte der Nürnberger Rechtsprofessor einen Vorschlag: Prozesse nach dem VStGB sollten besser bei nur einem einzigen Oberlandesgericht konzentriert werden. Die Staatsanwälte der Bundesanwaltschaft müssten dann nicht mehr kreuz und quer durchs Land fahren, "die Zeit fehlt ja für Ermittlungen", argumentierte Safferling. Außerdem entstehe an diesem OLG dann besondere Sachkunde und auch die Öffentlichkeitswirkung wäre bei einem festen Gerichtsstandort größer.
Justizministerin Lambrecht zeigte sich in einer ersten Reaktion allerdings nicht überzeugt. Solche Prozesse seien schon heute bei einer gewissen Anzahl von spezialisierten Oberlandesgerichten angesiedelt. "Dort ist ein unglaubliches Know How vorhanden", sagte Lambrecht. Eine weitere Konzentration wäre, auch mit Blick auf die steigende Zahl von VStGB-Prozessen, nicht naheliegend.
Der Abgeordnete Schwabe will vor allem die Zivilgesellschaft in Problemstaaten stärken und unterstützen. Als Beispiel nannte er das Nationale Polizeiarchiv in Guatemala, das unter anderem mit deutschen Mitteln finanziert wird und bei der Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen hilft.
Auch Beate Rudolf betonte die wichtige Rolle von Menschenrechtlern vor Ort, etwa auf den Philippinen. Die dortige Menschenrechtskommission dokumentiere extralegale Hinrichtungen, für die möglicherweise Präsident Rodrigo Duterte verantwortlich sei. "Die Mitglieder der Kommission wissen nicht, ob sie ihre Amtszeit überleben, aber sie sichern wichtige Beweise - im Dienste der Gerechtigkeit."
Aufarbeitung von Kriegsverbrechen: . In: Legal Tribune Online, 26.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37855 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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