Der Weltsicherheitsrat hat die Militärschläge durch westliche und arabische Staaten abgesegnet. Wochen zuvor war der Internationale Strafgerichtshof mit Ermittlungen auch wegen möglicher Kriegsverbrechen beauftragt worden. Damit könnten außer Gaddafi und seinem Gefolge nun auch die anderen Konfliktparteien ins Visier der Strafverfolger geraten. Ein Kommentar von Denis Basak.
Die Luft- und Raketenangriffe auf Libyen sind international umstritten. Eine Residenz Gaddafis wird beschossen und westliche Politiker wollen zumindest nicht mehr ausschließen, dass auch der Revolutionsführer Libyens selbst zum Ziel der Angriffe gemacht wird.
Bisher nicht diskutiert wird aber der Zusammenhang mit den schon vor den Militärschlägen vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingeleiteten Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs (International Criminal Court – ICC).
Da dieser zur Aufarbeitung der "Situation" in Libyen "seit dem 15. Februar 2011" ermächtigt ist, können neben den Verbrechen gegen die Menschlichkeit Gaddafis eben auch Kriegsverbrechen geahndet werden – auch solche, die von den anderen Konfliktparteien begangen werden.
Mandat des ICC hat sich nicht geändert
Mit seiner Resolution 1970 (2011) vom 26. Februar 2011 hat der Sicherheitsrat sehr schnell auf das brutale Vorgehen der Regierung Libyens gegen die bis zu diesem Zeitpunkt unbewaffneten Demonstranten reagiert und den ICC mit Ermittlungen beauftragt. Zu diesem Zeitpunkt ging es um militärische Angriffe der Regierung gegen Zivilisten und damit um Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Art. 7 des ICC-Statuts.
In den wenigen Wochen seitdem ist viel passiert: Die Gegner Gaddafis, zu denen zunehmend auch Teile der libyschen Streitkräfte zählen, haben sich bewaffnet, der Konflikt zwischen ihnen und den regierungstreuen (Söldner-) Truppen hat den Charakter eines Bürgerkriegs angenommen – in der Terminologie des humanitären Völkerrechts eines "nicht-internationalen bewaffneten Konflikts". Dabei scheinen die besser ausgerüsteten und skrupellos vorgehenden Truppen des Machthabers nach und nach die Oberhand zu gewinnen.
Hier reagiert der Sicherheitsrat am 17. März 2011 ein weiteres Mal und autorisiert in Resolution 1973 (2011) auch auf Bitten der Arabischen Liga die Einrichtung und militärische Durchsetzung einer Flugverbotszone über Libyen sowie "alle notwendigen Maßnahmen" zum Schutz der Zivilbevölkerung unterhalb der Schwelle einer dauerhaften militärischen Besetzung des Landes. Mit Beginn der Luftschläge wird damit aus dem Bürgerkrieg ein internationaler bewaffneter Konflikt. Dies ändert aber nichts an dem bestehenden Mandat des ICC: Alles, was in Libyen geschieht, aus dem Blickwinkel des Völkerstrafrechts zu untersuchen.
Militärische Intervention unter strafgerichtlicher "Aufsicht" ein Novum
Damit stehen nicht mehr nur Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Frage, sondern auch Kriegsverbrechen nach Art. 8 ICC-Statut, und zwar unabhängig davon welche Partei des Konfliktes diese begangen hat. Potentiell sind damit auch Verfahren gegen alliierte Truppen denkbar, wenn es etwa zu Bombardierungen mit unverhältnismäßigen Kollateralschäden kommt (Art. 8 Abs. 2 (b) (iv) ICC-Statut). Ebenso sind Verfahren denkbar gegen Aufständische, sollten diese unter dem Schutz der Flugverbotszone ihrerseits offensiv vorgehen und dabei etwa Rache durch Angriffe auf zivile Anhänger Gaddafis Kriegsverbrechen nehmen (Art. 8 Abs. 2 (b) (i) ICC-Statut).
Eine militärische Intervention, die von Beginn an "unter der Aufsicht" eines internationalen Strafgerichts steht, gab es bisher noch nicht. Politisch sind Anklagen gerade gegen die alliierten Kräfte zwar höchst unwahrscheinlich, auch wenn der Chefankläger des ICC Moreno-Ocampo immer wieder die Unabhängigkeit des Gerichtshofs betont.
Dennoch scheint die Einbeziehung des ICC Einfluss zu haben: Die politischen Führer der intervenierenden Nationen sind bei der Formulierung ihrer Ziele sehr vorsichtig, sie betonen die Bemühungen zur Schonung der Zivilbevölkerung und vermeiden jeden Anschein eines unbedachten oder unverhältnismäßigen Vorgehens.
Nur wenn Staaten Verbrechen nicht selbst ahnden, wird ICC tätig
Bezüglich möglicher Attacken gegen Gaddafi selbst, die nicht ohne weiteres vom Wortlaut der Resolution 1973 (2011) gedeckt wären, rudern die wesentlichen Staaten wie etwa Großbritannien schon zurück. Ob diese Vorsicht zumindest auch auf dem Blick nach Den Haag beruht, wird sich wohl nie ganz klären lassen. Jedenfalls scheint es eine gewisse Sensibilität hinsichtlich der eigenen Verantwortung für die Einhaltung der Menschenrechte zu geben.
Nun zeigt der Blick auf praktisch jeden bewaffneten Konflikt der Vergangenheit, inklusive humanitärer Interventionen, dass es im Verlauf der Kampfhandlungen fast immer zu Situationen kommt, in denen einzelne Soldaten oder auch ganze Kampfverbände Kriegsverbrechen begehen – so zuletzt ein amerikanisches "Kill Team" in Afghanistan.
Dies muss aber nicht automatisch heißen, dass auch der ICC tätig wird. Dies ist nach Art. 17 ICC-Statut nämlich dann nicht zulässig, wenn ein zuständiger Staat selbst ein rechtsstaatlichen Mindeststandards genügendes Strafverfahren durchführt. So lange also die Entsendestaaten selbst das Nötige tun, um Verbrechen eigener Truppen zu ahnden, greift der ICC nicht ein. Im Libyen-Konflikt kann der ICC aber die Erfüllung dieser Aufgabe durch die beteiligten Staaten von Anfang an überwachen. Ob er dieser Verantwortung gerecht wird, kann nur die Zukunft zeigen.
Dr. Denis Basak ist akademischer Rat am Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie der Goethe-Universität in Frankfurt und forscht und lehrt unter anderem zum deutschen und internationalen Straf- und Strafprozessrecht.
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Mehr im Internet:
Resolution 1970 (2011) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 26.2.2011
Resolution 1973 (2011) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 17.3.2011
Denis Basak, Krieg in Libyen: . In: Legal Tribune Online, 24.03.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2857 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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