In seinem Buch wirft ein Münchener Juraprofessor dem Bundesverfassungsrichter Reinhard Gaier schlechtes Zitieren vor. Dieser will ihn nun vor der Pressekammer des Landgerichts Hamburg zum Schweigen bringen; am Freitag machten die Richter ihm Hoffnung. Ein Ende des unschicklichen Rechtsstreits um Fußnoten und die Grenzen scharfzüngiger Wissenschaftskritik ist allerdings nicht in Sicht.
In juristischen Aufsätzen wimmelt es von Nachweisen, so sehr, dass die Belege – anders als in anderen Fachbereichen – in einen Fußnotenapparat verbannt werden. Der Autor robbt sich so von einem Fremdgedanken zum nächsten, bis der erste Satz ganz nackt da steht, ohne Fußnote, Werk allein des Autoren. Wenn er dereinst vielleicht selbst damit zitiert wird, kann er mit Isaac Newtons Ausspruch Bescheidenheit zeigen: "Wenn ich weiter sehen konnte (...), so deshalb, weil ich auf den Schultern von Giganten stand."
Auch Reinhard Gaier stand auf vielen Schultern, als er für die vierte Auflage des Münchener Kommentars § 346 BGB kommentierte. Der Universitätsprofessor Volker Rieble meint nun allerdings, dass Gaier manch eine Schulter unerwähnt ließ. Er wirft Gaier – wie auch anderen Rechtsgelehrten – in seiner spitz geschriebenen Abhandlung "Das Wissenschaftsplagiat" einen Verstoß gegen übliche Zitierregeln vor. Gaier habe sich mehrfach an Gedanken der Mainzer Professorin Dagmar Kaiser bedient, ohne dies hinreichend zu belegen.
Auch akademische Praktiken aus dem Graubereich stehen vor Gericht: Gaier zitierte einen Kommentar, der den Sachverhalt eines Urteils falsch wiedergab. Aus dem Motorboot wurde ein Motorrad, auch im Werk des Klägers – Rieble nennt das unverblümt "Kettenabschreiben" und "Aasen".
"Wir halten die Klage für aussichtsreich."
Als am Freitag die Pressekammer am Hamburger Landgericht den Fall verhandelt, amüsiert sich der Vorsitzende Andreas Buske, "dass wir mal wieder richtig BGB machen können" - und gönnt auch dem Kläger Freude: "Wir halten die Klage für aussichtsreich."
Was folgt, ist ein Fachgespräch über Untiefen des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Ist die von Kaiser angeführte Beseitigungsstörungspflicht mit der von Gaier zitierten neuen Rechtslage vergleichbar, die eine Nebenpflicht im Rückgewährschuldverhältnis konstituiert? Wer darf das "Mehrphasenmodell" für sich reklamieren? Hatte die angebliche Ideengeberin Dagmar Kaiser ihre Ausführungen zum Annahmeverzug überhaupt selbst entwickelt? Hat sie sich nicht vielmehr ihrerseits an den – auch von Gaier zitierten – Bundesgerichtshof gehalten?
Riebles Anwalt wittert Morgenluft, schon wegen der Debatte selbst: "Wenn wir um die Auslegung des BGB diskutieren, geht es dann nicht um Meinungsäußerungen?", fragt er den weißgelockten Vorsitzenden. Als es sehr kleinteilig wird, behilft sich der Beisitzer mit der Gesamtschau: Mit dem Buchtitel und der Abschnittsüberschrift ("Auch Bundesrichter tun es!") habe Rieble "den Plagiatsvorwurf sehr deutlich erhoben", sei entsprechende tatsächliche Anknüpfungspunkte aber schuldig geblieben. Riebles Anwalt Klaus Peter Weber verwahrt sich gegen einen Plagiatsbegriff, der nur noch das konkrete Abschreiben umfasst. Man müsse auch in scharfen Worten kritisieren können.
Die unzitierte Ehefrau und das Bundesverfassungsgericht als letzte Instanz
Die Klägerseite ist sich ihrer Sache indes sicher, entsprechend schlank präsentiert sich die Klageschrift. Riebles Ausführungen enthielten unwahre Tatsachenbehauptungen und verletzten Gaiers Persönlichkeitsrecht, heißt es dort. Vermutlich nicht ohne Genuss weist Gaiers Anwalt dann noch auf ein pikantes Detail hin: Die unzitierte Dagmar Kaiser ist Riebles Ehefrau, was dieser in seinem Buch indes unerwähnt lässt.
Welches Urteil das Landgericht im Januar verkünden wird, scheint bereits klar. Die Kammer beugt sich nicht das erste Mal über die Textpassagen. Die einstweiligen Verfügungen, die Gaier (und auch sein Münchener Fakultätskollege Stephan Lorenz) vor der Pressekammer gegen den Wissenschaftsverlag Klostermann erwirkte, haben beide Seiten als letztverbindlich anerkannt - die erste Auflage darf in den Läden bleiben, eine weitere ist untersagt, so lautet die Vereinbarung.
Zudem hat die Kammer unter Buskes Vorsitz den Ruf, es recht gut mit Rechteinhabern zu meinen – dass der Münchener von einem Karlsruher in Hamburg verklagt werden konnte, ist dem fliegenden Gerichtsstand zu verdanken.
Beklagtenvertreter Weber kündigte daher bereits vor der Verhandlung an, dass der Streit weitergehen werde. "Wir wünschen uns eine grundsätzliche Klärung dieser Frage." Rieble gehe es um die Meinungsfreiheit, daher habe er auch die geforderte Unterlassungserklärung nicht unterschrieben.
Rein theoretisch endet der Rechtsweg allerdings auf dem Terrain seines Klagegegners – dessen Adresse gibt das Rubrum der Klageschrift an mit: "Gaier, c/o Bundesverfassungsgericht". Immerhin, Gaier sitzt zwar im "Grundrechtesenat", nicht aber in der für solche Fälle zuständigen Kammer, erklärt Weber – und lächelt.
Der Autor Hendrik Wieduwilt ist Jurist und freier Journalist in Berlin. Er war Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, für die er weiterhin als freier Mitarbeiter tätig ist. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind dabei das Internet- sowie Urheber- und Medienrecht und Litigation PR.
Klage wegen Plagiatsvorwurfs: . In: Legal Tribune Online, 29.10.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1828 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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