Angebliche Explosion der Fälle von Kirchenasyl
Das BAMF selbst schlägt etwas mildere Töne als der Innenminister an. Das Kirchenasyl wolle man nicht grundsätzlich in Frage stellen, schließlich habe es eine lange Tradition in Deutschland. Allerdings sei es früher lediglich nach dem negativen Ausgang eines Asylverfahrens zur Anwendung gekommen – "und nur in wenigen Einzelfällen", sagt BAMF-Sprecherin Hirseland. "Das hat sich deutlich verändert, es befinden sich nach unserer Kenntnis ganz überwiegend Personen im Kirchenasyl, deren Überstellung in einen anderen Unterzeichnerstaat der Dublin-Verordnung verhindert werden soll". Damit werde Kirchenasyl bewilligt, bevor das eigentliche Asylverfahren überhaupt begonnen habe, und die EU-rechtlichen Rahmenbedingungen in Frage gestellt.
Ein weiterer Vorwurf an die Kirchen lautet, sie würden nicht gründlich prüfen, wem sie Asyl gewähren. Prinzipiell ist es nur für Härtefälle vorgesehen, also für Asylsuchende, deren Schicksal besonders grausam ist, und für die eine Abschiebung bzw. Überstellung in besonderer Weise unzumutbar wäre. Kirchenvertreter bestreiten eine Explosion der Zahl aufgenommener Personen bzw. eine lasche Prüfungspraxis. Nach den Zahlen der BAG befinden sich derzeit (lediglich) 359 Personen bundesweit in kirchlichem Asyl.
Kirchenmitglieder können sich strafbar machen
Das sind nicht viele – doch es sind, rein rechtlich betrachtet, wohl zu viele. "Da die Kirche nicht die Aufgabe hat, gesetztes Recht zu verwirklichen, wird das Kirchenasyl immer in einer rechtlichen Grauzone bleiben", erklärt Sigmund Polutta, Rechtsanwalt aus Essen. Von Verfechtern des Instituts wird versucht, juristische Rechtfertigungen herzuleiten – etwa aus Artikel 16a Grundgesetz (GG), wonach politisch Verfolgte Schutz genießen, aus dem Recht der freien Religionsausübung nach Art. 4 oder als Ausdruck der religiösen Selbstverwaltung. Schließlich wird wegen der seit langem bestehenden Praxis mit dem Gewohnheitsrecht argumentiert.
Doch der Rückgriff auf derart generelle Prinzipien zur Rechtfertigung einer sehr speziellen Handlung ist bekanntlich schwierig. Eine einfachgesetzliche Legitimierung des Kirchenasyls gibt es jedenfalls nicht. Im Gegenteil kommt eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zum illegalen Aufenthalt in Betracht, je nach Konstellation außerdem wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Begünstigung oder Einschleusens von Ausländern.
Behörden respektieren Asyl – obwohl sie nicht müssten
Strafrechtliche Konsequenzen gegenüber den Kirchenmitgliedern sind allerdings selten. Wo Verfahren einmal eröffnet werden, werden sie gern wegen Geringfügigkeit wieder eingestellt. Auch verzichten die Behörden meist auf den Zugriff auf Personen, die sich in Kirchenasyl befinden – obwohl sie es könnten. Die Losung der obersten Kirchenleitungen lautet, die Behörden über bestehende Kirchenasyle in Kenntnis zu setzen. Einem Betreten der Räumlichkeiten durch die Polizei steht dann allenfalls das kirchliche Hausrecht entgegen.
Dennoch respektieren die Vollzugsbehörden – mit einigen Ausnahmefällen – ein einmal gewährtes Kirchenasyl. "Eine Änderung dieser Praxis ist nicht beabsichtigt", heißt es aktuell aus dem BAMF und gleichlautend bereits Ende Oktober 2014 in einer Antwort von Staatssekretärin Emily Haber auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Petra Pau von DIE LINKE.
In einem offenen Brief hatte sich Rechtsanwalt Sigmund Polutta Ende Dezember an Unionsfraktionschef Volker Kauder gewandt. Mit dem Schreiben ging es ihm unter anderem darum, dass das Kirchenasyl als Schutzraum politisch unangetastet bleiben sollte. Ob er Gehör findet, könnte sich noch in dieser Woche zeigen: Ende Februar stehen erneut Gespräche zwischen Kirchen-Oberen auf der einen und Staatsvertretern auf der anderen Seite an.
Daniel Grosse, Kirchenasyl: . In: Legal Tribune Online, 25.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14784 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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