In Darmstadt stehen neun Angeklagte wegen angeblichen Austauschs von bis zu 100.000 kinderpornographischen Dateien vor Gericht. Verfahren aus den letzten Jahren zeigen, dass das Internet den Austausch und Zugang zu entsprechenden Inhalten begünstigt. Wann die Strafbarkeit beginnt und warum selbst in diesem sensiblen Bereich das Recht noch der Realität hinterher hängt.
Das Strafverfahren wegen der Verbreitung von Kinderpornographie und des sexuellen Missbrauchs von Kindern, das derzeit in Darmstadt anhängig ist, gibt einen Einblick in die Bedeutung des Internets für den Austausch kinderpornographischer Inhalte und das Vorgehen der Beteiligten bei der Verbreitung und dem Bezug.
Wissenschaftlich fundierte Forschungen fehlen zwar weitgehend, unbestritten ist aber, dass sich das Internet in den letzten Jahren zum primären Vertriebskanal für kinderpornographische Inhalte entwickelt hat. Während bis in die 70er Jahre hinein die Herstellung und der Vertrieb von Kinderpornographie kaum möglich waren, ohne die Dienstleistungen Dritter in Anspruch zu nehmen, hat die Einführung von Videokameras in den 80er Jahren zunächst die Produktion kinderpornographischen Materials erleichtert. Die Verfügbarkeit schneller Internetverbindungen ab den 90er Jahren erweiterte dann auch die Vertriebswege gegenüber dem direkten Austausch sowie dem Versandhandel.
Digitalkameras und kostenloser Speicherplatz erlauben es Tätern heute, Kinderpornographie ohne Mitwirkung von Dienstleistern zu produzieren und zu verbreiten. Diese Tendenz ist insofern von Bedeutung, als es damit nicht mehr unbedingt Strukturen organisierter Kriminalität bedarf, also solcher, die ein Zusammenwirken Mehrerer voraussetzen.
Zum Schutz der Kinder: Strafbarkeit unabhängig von sexuellem Missbrauch
Die Strafbarkeit des Vertriebs und des Besitz von Kinderpornographie ist in § 184b Strafgesetzbuch (StGB) geregelt. Die Norm stellt eine Vielzahl von Handlungen in Bezug auf kinderpornographische Schriften unter Strafe. Sie bezieht dabei alle Stadien von der Produktion über die Verbreitung bis zur Besitzverschaffung ein.
Der Gesetzgeber hat durch das umfassende Verbot die Zerstörung des Marktes der Kinderpornographie und damit vorrangig den Schutz von Kindern angestrebt, die zur Herstellung kinderpornographischen Materials sexuell missbraucht werden. Da die kontinuierliche Nachfrage nach neuem Bild- und Filmmaterial die Täter zur Begehung weiteren Missbrauchs an Kindern motivieren könnte, erfasst der Tatbestand sämtliche von dem sexuellen Missbrauch unabhängigen Tatvarianten, die im Zusammenhang mit dem kinderpornographischen Material stehen.
Durch die Kriminalisierung des Besitzes soll darüber hinaus verhindert werden, dass die Betrachtung zu einem Auslöseeffekt führt, der den Täter zu Sexualstraftaten animiert.
Was ist ein Kind?
Der Kinderpornographie unterfallen gemäß § 184b Abs.1 StGB solche Schriften, die sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern zum Gegenstand haben.
Gemäß § 176 StGB sind Kinder Personen unter 14 Jahren. Probleme ergeben sich, wenn das Alter der abgebildeten/dargestellten Person nicht ermittelt werden kann. Konnte das Kind, das als Darsteller agierte, nicht ermittelt werden, muss anhand eines Gutachtens ermittelt werden, ob die dargestellte Person auf einen objektiven (nicht sachverständigen) Betrachter wie ein Kind wirkt. Der Umstand, dass die dargestellte Person aufgrund der körperlichen Entwicklung älter aussieht, aber jünger als 14 ist, macht im Hinblick auf die Erfüllung der Strafnorm keinen Unterschied.
Anders ist es, wenn die dargestellte Person 14 und älter ist, jedoch in ihrer körperlichen Entwicklung einem Kind entspricht: Es könnte sich dann um ein ebenfalls strafbares Verschaffen eines "wirklichkeitsnahen Geschehens" gem. § 184 Abs. 2 StGB handeln. Ein wirklichkeitsnahes Geschehen liegt vor, wenn das Geschehen real wirkt, aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sich um ein fiktives Geschehen handelt.
Abgrenzungsfragen sind dabei zwar aus wissenschaftlicher Sicht von Interesse, spielen aber in der Praxis eine untergeordnete Rolle. Nach den Ergebnissen einer Studie aus dem Jahr 2005 hatten 80% der Täter, die sich im Besitz von Kinderpornographie befanden, Material, das den sexuellen Missbrauch von Kindern zwischen 6 und 12 Jahren zum Gegenstand hatte und 19% der Täter hatten Bilder in ihrem Besitz, die den sexuellen Missbrauch von Kindern unter 3 Jahren zum Gegenstand hatten.
Seit der Reform des Pornographiestrafrechts im Jahr 2007 liegt eine kinderpornographische Schrift vor, wenn die Schrift sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern zum Gegenstand hat. Auch Handlungen, die ein Kind an sich selbst vornimmt, werden erfasst. Nicht erforderlich ist, dass es zum Geschlechtsverkehr gekommen ist, reine Nacktaufnahmen stellen allerdings keine sexuellen Handlungen dar. Schließlich erfasst der Tatbestand der Kinderpornographie seit der Reform auch Handlungen, die vor einem Kind vorgenommen werden, die das Kind also als Zuschauer wahrnimmt.
Das Internet kennt keine Schriften
Was die Erfassung internetbezogener Sachverhalte angeht, erweist sich als problematisch, dass das deutsche Pornographiestrafrecht trotz grundlegender Reformen in den Jahren 1997 und 2007 weiterhin dogmatisch auf dem Schriftbegriff aufsetzt. Während der Austausch oder Bezug von Büchern von § 184b StGB erfasst wird, fehlt es beim Austausch von Dateien über das Internet an solchen Schriften.
Zwar hat der Gesetzgeber im Jahr 1997 Datenspeicher den Schriften durch § 11 Abs. 3 StGB gleichgestellt. Doch diese Erweiterung erlaubt zwar die Erfassung des Austausches von Datenträgern, nicht aber den trägerlosen Austausch über das Internet.
Verdeutlichen lässt sich dies an der Besitzstrafbarkeit: Wer in ein Geschäft geht und ein Buch mit kinderpornographischen Bildern aus dem Regal nimmt, um es zu erwerben, verschafft sich den Besitz an der Schrift (Buch). Handelt der Täter im Internet und beginnt damit, ein Bild mit kinderpornographschem Inhalt von einer Internetseite auf seine Festplatte zu laden, so ist die Handlung nicht auf die Begründung des Besitzes an der im Internet zugänglich gemachten "Schrift" (der Festplatte des Internetservers), sondern an deren Inhalt gerichtet.
Da das Gesetz den Begriff der Schrift und den des Inhalts trennt, findet § 184b Abs.4 S.1 StGB in diesen Fällen keine Anwendung. Allerdings handelt es sich hierbei praktisch eher selten um ein Problem: Wird der Downloadvorgang vollendet, greift § 184 Abs.4 S.2 StGB, so dass allenfalls in Grenzfällen tatsächlich Strafbarkeitslücken auftreten könnten.
Zu wünschen bleibt, dass der Gesetzgeber nach Schnellschüssen wie dem Gesetz zur Sperrung kinderpornographischer Internetseiten im Rahmen der nächsten Reform eine grundlegendere Lösung anstrebt. Die Reform kommt, Deutschland hat im Jahr 2007 die Europaratskonvention zum Schutz der Kinder unterzeichnet, derzeit wird über eine EU Richtlinie zur Bekämpfung der Kinderpornographie verhandelt. Änderungen sind notwendig. Hoffentlich werden dann die rechtlichen Konsequenzen den tatsächlichen Möglichkeiten angepasst.
Die Autoren Prof. Dr. Marco Gercke und Gunhild Scheer sind Rechtsanwälte in Köln. Prof. Dr. Marco Gercke ist außerdem Lehrbeauftragter für Medienstrafrecht an der Universität Köln. Er ist Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen zum Thema Internetstrafrecht. Gunhild Scheer ist im Bereich Wirtschaftsrecht, E-Commerce und Finance tätig. Beide sind außerdem Mitglied des Insituts für Medienstrafrecht in Köln.
Kinderpornographie im Internet: . In: Legal Tribune Online, 14.09.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1451 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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