Strafverfolger, 16 Landesjustizminister und zuletzt auch Innenministerin Faeser fordern, die praxisuntaugliche Strafandrohung des § 184b StGB wieder rückgängig zu machen. Das BMJ will nun bis Ende des Jahres einen Vorschlag präsentieren.
Es kommt einigermaßen selten vor, dass selbst Vertreter der Unionsparteien eine sogar mit den eigenen Stimmen beschlossene Strafrahmenerhöhung für verfehlt halten. Ausgerechnet beim Thema Kinderpornografie ist das nun der Fall: Einig sind sich 16 Landesjustizminister:innen sowie Rechtspolitiker:innen aller Parteien-Couleur, dass die von der GroKo im Jahr 2021 in § 184b Strafgesetzbuch (StGB) vorgenommene Hochstufung des Besitzes kinderpornografischer Inhalte zum Verbrechen mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr ein Fehler war.
In den vergangenen Monaten hatte es an der Neuregelung zunehmend Kritik aus der Praxis, insbesondere von Strafverfolger:innen, gegeben. Die Neuregelung führte dazu, dass sogar gegen Lehrer:innen, Betreuer:innen oder andere Aufsichtspersonen ermittelt werden musste, die kinderpornografisches Material an sich genommen hatten, ohne dass es ihnen dabei auf den Besitz des inkriminierten Inhalts selbst ankam. Eltern können sich nach der Regelung z.B. strafbar machen, wenn sie entsprechende Fotos auf den Handys ihrer Kinder finden und an andere Eltern der Schulklasse zur Warnung oder Prüfung weiterschicken. Auch "Spaßvideos", die Kinder auf dem Schulhof teilen, können in den Anwendungsbereich fallen.
Ein weiteres, prozessrechtliches Problem: Durch die Heraufstufung zum Verbrechen wurde den Ermittlern auch ein flexibles Instrumentarium aus der Hand genommen, nämlich Verfahren in bestimmten Konstellationen auch einzustellen, ggf. gegen Auflagen (§§ 153, 153a Strafprozessordnung).
Staatsanwältin: "§ 184b StGB trifft nicht das eigentliche Klientel"
In einem Vorwort der bald erscheinenden Juni-Ausgabe des juristischen Fachblattes "Strafverteidiger", das wie LTO zum Fachverlag Wolters Kluwer gehört, bekräftigt die Frankfurter Staatsanwältin Dr. Julia Bussweiler die Kritik an der Verschärfung stellvertretend für viele Strafverfolger:innen. "In einer immer digitaler werdenden Gesellschaft, in der das gedankenlose Weiterleiten jeglicher Inhalte gerade durch Jugendliche an der Tagesordnung ist, trifft die Regelung des § 184b StGB in einer Vielzahl der Fälle nicht das eigentliche Klientel", so Bussweiler. Stattdessen würden Schüler, Eltern und Lehrer:innen als Verbrecher:innen stigmatisiert und die Strafverfolgungsbehörden zum Einsatz ihrer ohnehin knappen Ressourcen gegenüber Personen gezwungen, "die offensichtlich nicht aus einer pädokriminellen Absicht heraus handeln." Bussweiler hatte bereits 2020 in der Bundestagsanhörung zum GroKo-Gesetz deutliche Worte gegen die Strafverschärfung gefunden.
Zu Herzen nahmen sich diese Kritik zwar seinerzeit nicht die GroKo, dafür aber auf der vergangenen Herbst-Jumiko die 16 Landesjustizminister: innen. Sie baten Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), die Verschärfung wieder rückgängig zu machen. Er solle einen Gesetzentwurf vorlegen, der für die Tatbestände des § 184b Abs. 1 StGB "entweder eine Herabstufung zum Vergehen oder eine Regelung für minder schwere Fälle vorsieht und die Mindeststrafe in § 184b Abs. 3 StGB im Hinblick auf die Bandbreite des möglichen Handlungsunrechts auf unter ein Jahr Freiheitsstrafe festlegt", wie es in dem damaligen Beschluss hieß.
Innenministerin Faeser für Rückgängigmachung der Strafverschärfung
Nachdem Buschmann indes wohl auch wegen des hohen politischen Diffamierungspotenzials beim Thema Kinderpornografie zumindest öffentlich keine Rückgängigmachung der Reform ankündigte, reagierte SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faeser kürzlich in einem Interview umso deutlicher: Gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe sprach sie sich klar für die Entschärfung des Sexualstrafrechts aus: "Eine Strafverschärfung hat dazu geführt, dass Jugendlichen empfindliche Strafen drohen, wenn sie untereinander Nacktbilder austauschen", sagte die SPD-Politikerin. "Hier ist es wichtiger, ein Bewusstsein für die Risiken zu schaffen, wenn man privateste Dinge teilt, als mit harten strafrechtlichen Sanktionen vorzugehen."
Dass diese Worte ausgerechnet von einer SPD-Ministerin kommen, ist ein stückweit bemerkenswert. Denn die ursprüngliche Strafverschärfung ist vor allem auf die frühere SPD-Justizministerin Christine Lambrecht zurückzuführen, wie der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, MdB Prof. Günter Krings, gegenüber LTO bestätigte: "Die Union hatte damals durchgesetzt, dass der sexuelle Missbrauch von Kindern als Verbrechen und somit mit einer Mindeststrafe von einem Jahr bestraft wird. Dies war ein Meilenstein für den Kinderschutz. Hinsichtlich des Strafrahmens betreffend Kinderpornographie hatte die Union sich dagegen für eine differenzierte Lösung ausgesprochen, nachdem der Vorschlag der damaligen Bundesjustizministerin Lambrecht von verschiedenen Sachverständigen in der Anhörung des Rechtsausschusses kritisiert worden war. Unser damaliger rechtspolitische Sprecher hatte Frau Lambrecht sogar einen schriftlichen Vorschlag übermittelt, der aber von ihr abgelehnt wurde."
BMJ verspricht Konzept "noch in diesem Jahr"
Die lauthals verkündete Bereitschaft von Lambrechts SPD-Parteifreundin Faeser, einer Rücknahme der Strafverschärfung definitiv nicht entgegenzustehen, scheinen nunmehr die Arbeiten im federführenden BMJ voranzutreiben. Denn während es bisher immer auf LTO-Nachfrage aus dem Ministerium die Antwort gab, man prüfe gesetzgeberischen Handlungsbedarf, wird eine Sprecherin nun erstmals gegenüber LTO konkreter: "Im BMJ wird derzeit ein Konzept erstellt, wie eine Reform des § 184b StGB gesetzgeberisch so aufgesetzt werden kann, dass die Justiz wieder den nötigen Spielraum hat, um den Einzelfällen gerecht zu werden. Das Hauptziel der damaligen Gesetzesänderung, die deutliche Strafverschärfung, soll nicht in Frage gestellt werden. Das Ziel ist es, dieses Konzept noch in diesem Jahr fertigzustellen."
Mit anderen Worten: Endlich geht es bei dem Thema in dem federführenden Ministerium voran. Welche rechtstechnische Variante nun das BMJ konkret vorschlagen wird, bleibt abzuwarten. Die in dem einschlägigen Deliktsbereich erfahrene Staatsanwältin Bussweiler findet hierzu klare Worte:
"Für die Täter hat auch der frühere Strafrahmen ausreichend Spielraum belassen, um eine tat- und schuldangemessene Verurteilung auszusprechen und um insbesondere bei niedrigschwelligen Schutzgutverletzungen adäquat und unter Berücksichtigung der Interessen aller Verfahrensbeteiligten zu reagieren." Es stehe zu wünschen, so Bussweiler, "dass der Gesetzgeber, statt aufgeschreckt von der Boulevardberichterstattung reflexartig nach höheren Strafen zu rufen, das Vertrauen in die Justiz zurückgewinnt und sich stattdessen den immer noch ungeregelten Problemfeldern der Vorratsdatenspeicherung, des Ausbaus von Präventionsangeboten, der engeren behördlichen Zusammenarbeit und der adäquaten personellen und sachlichen Ausstattung von Polizei, Justiz und Jugendhilfeeinrichtungen widmet."
Bekämpfung von Kinderpornografie: . In: Legal Tribune Online, 19.04.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51581 (abgerufen am: 15.11.2024 )
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