Interview mit NRW-Justizminister Benjamin Limbach: "Es gibt keine bes­sere Arbeit­ge­berin als die Justiz"

Interview von Pauline Dietrich, LL.M. und Hasso Suliak

15.09.2022

Über seine Nominierung durch die Grünen waren viele überrascht. Im Gespräch mit LTO äußert sich NRWs Justiz-Ressortchef Benjamin Limbach zur Vorratsdatenspeicherung, zum Streit mit dem BMJ um mehr Geld für die Justiz und den Jura-Bachelor.

LTO: Herr Minister, vergangene Woche mussten Sie im Rechtsausschuss des Landtages zum umstrittenen Polizeieinsatz von Dortmund Rede und Antwort stehen. Ein 16-jähriger Flüchtling aus dem Senegal wurde mit einer Maschinenpistole erschossen. Es laufen Ermittlungen gegen mehrere Beamte. War der Einsatz juristisch aus ihrer Sicht in Ordnung?

Dr. Benjamin Limbach: Ob der Einsatz der Polizei verhältnismäßig war, ist hier die juristische Kernfrage.  Diese wird von der Staatsanwaltschaft und ggf. später von einem Gericht beantwortet. Es gehört sich, dass ein Justizminister nicht vorab auf Basis einer noch nicht abschließend geklärten Faktenlage eine Einschätzung abgibt. Nach Abschluss der staatsanwaltlichen Ermittlungen werde ich mich äußern.

Im Koalitionsvertrag haben sich Schwarz-Grün in NRW vorgenommen, mehr gegen sexualisierte Gewalt an Kindern zu unternehmen – auch im Netz. Ihr Koalitionspartner CDU aber auch die SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faeser plädieren jetzt für die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, um pädophile Täter identifizieren zu können. Gehen Sie da mit?

LTO-Redakteure im Interview mit NRW-Justizminister LimbachIm Bereich der Kinderpornografie und des Kindesmissbrauchs müssen wir alles rechtsstaatlich Vertretbare tun, um Straftaten aufzudecken und dadurch weitere zu verhindern. Es handelt sich um ein Kriminalitätsfeld, das ständig in Bewegung ist und in dem wir immer wieder neue Phänomene feststellen. Wir haben ein großes Interesse an effizienten Ermittlungsmethoden. 

Aber die anlasslose Vorratsdatenspeicherung betrifft jeden Einzelnen, der sich im Internet bewegt. Genauso wie es den Staat nichts angeht, wo ich am Samstag einkaufen gehe, geht es ihn auch nichts an, wo und wann ich mich im Internet bewege. Auf dieses "In-Ruhe-gelassen-Werden" haben die Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch. Die gesamte Bevölkerung im Internet zu kontrollieren, um einige wenige Straftäter zu erwischen, ist nicht verhältnismäßig. Außerdem ist die anlasslose Speicherung von Verkehrsdaten hierzulande seit mehreren Jahren ausgesetzt, weil deutsche Gerichte zum Ergebnis gekommen sind, dass die Speicherung gegen EU-Recht verstößt. Kommende Woche wird nun der EuGH entscheiden. Wir sollten diese Entscheidung abwarten und dann über Instrumente beraten. 

Bundesjustizminister Marco Buschmann favorisiert mit "Quick Freeze" eine Art Vorratsdatenspeicherung light.

Diese Variante hat der EuGH bereits ausdrücklich gebilligt. Telekommunikationsanbieter können dann bei einem konkreten Anlass auf richterliche Anordnung schnell Daten sichern, also "einfrieren", damit Polizei und Staatsanwaltschaft sie dann auswerten können. Zwischen dem Interesse an einer effektiven Strafverfolgung und einer Schonung von Grundrechten könnte dies ein guter Kompromiss sein.

Pakt für den Rechtsstaat: "Der Bund muss erheblich mehr finanzieren"

Sie sind erst seit wenigen Wochen im Amt und treffen auf eine Justiz, der es an Personal und v.a. der erforderlichen digitalen Ausstattung mangelt. Inzwischen gibt es einen handfesten Streit zwischen einigen Ländern und dem Bund, weil dieser mit weiterer finanzieller Unterstützung zögert. Ihre Kollegen aus Hamburg und Bayern haben deshalb kürzlich Herrn Buschmann einen "Brandbrief" geschrieben

Die Gesetzgebung, für die der Bund verantwortlich ist, verursacht bei den Ländern erhebliche Mehraufwendungen. Deswegen wurden im Ampel-Koalitionsvertrag richtigerweise zwei Säulen vereinbart, in denen der Bund die Länder unterstützen muss: Zum einen gilt es, den Pakt für den Rechtsstaat zu verstetigen, zum anderen müssen Mittel für den neu hinzugekommenen Digitalpakt für die Justiz bereitgestellt werden. 

Es sind nicht nur "einige" Länder, die darauf drängen. Und über das, was die Länder vom Bund zu diesen beiden Säulen erwarten, sind wir uns komplett einig. Und zwar 16:0. Der Bund muss deutlich mehr Geld zur Verfügung stellen, damit wir Ausstattung, Entwicklung und IT-Personal finanzieren können. 

Bundesjustizminister Marco Buschmann liegt schon länger ein konkreter Vorschlag der Länder vor, zu dem er sich bislang nicht verhalten hat. 

In der vergangenen Legislatur hat der Bund den Ländern 220 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Bewegt sich der aktuelle Länder-Vorschlag auf diesem Niveau?

Ich möchte hier keine konkreten Summen nennen, um das am 16.September anstehende Gespräch zwischen Bund und Ländervertretern nicht zu belasten. Aber wie gesagt: Es geht um zwei Säulen. Unter anderem deshalb geht unser Vorschlag deutlich über die bisherige Summe hinaus. "Verstetigen" heißt für uns auch nicht, dass es auf dem Niveau weitergehen kann, wenn wir feststellen, dass dies für die Ausgaben nicht reicht, die die Länder haben. 

Beim Digitalpakt geht es darum, dass sich der Bund angemessen an gemeinsamen Projekten prozentual beteiligt und die Vereinheitlichung der Justiz-Software vorantreibt, zum Beispiel beim Gemeinsamen Fachverfahren "GeFa". 

"Bei uns kann man frei arbeiten und eine Familie gründen"

Eine funktionierende Justiz setzt gut ausgebildete Jurist:innen voraus. Ist der Nachwuchs für die NRW-Justiz gesichert?

Noch schaffen wir es, offene Stellen in der Justiz zu besetzen – es wird jedoch merklich schwieriger. Vier spüren den demografischen Wandel, viele der sogenannten Babyboomer gehen in Pension. Hinzu kommt, dass die Abbruchzahlen im Jurastudium hoch sind. 

Daher möchte ich vor allem an die vielen jungen LTO-Leser:innen eine Botschaft senden: Es gibt für junge Jurist:innen keine bessere Arbeitgeberin als die Justiz. Bei uns kann man frei arbeiten und eine Familie gründen, ohne dass es - anders als häufig in der freien Wirtschaft - der Karriere schadet.

Vielleicht fehlt es an finanziellen Anreizen? Die EU-Kommission hat kürzlich angeregt, Richter:innen besser zu vergüten.

Im Vergleich zu anderen Ländern steigen in Deutschland Absolvent:innen sehr früh und jung in den Richter:innenberuf ein – das könnte ein Grund für die einigermaßen verhaltene Vergütung sein. 

Wenn man sich die Besoldung aber vorknöpft, dann muss man die Beamtenbesoldung insgesamt betrachten – und eben nicht nur die der Richter:innen. Jurist:innen gibt es an sehr vielen Stellen des Landes. 

"Mehr Frauen in Führungspositionen"

Wie wollen Sie Ihr Versprechen einlösen, mehr Frauen für die Führungsaufgaben in der Justiz zu gewinnen?

Es geht hier um eine Frage der Gerechtigkeit. Zwar sieht es in NRW auf den ersten Blick ganz gut aus, wir haben nämlich bei den Neueinstellungen von Richterinnen eine Quote von sechzig Prozent – bei den Rechtspflegerinnen liegt die Frauenquote sogar bei achtzig Prozent. Wenn wir dann aber die Hierarchiestufen in den Karrieren anschauen, sehen wir, dass die Quote nach oben hin abnimmt. 

Um das zu ändern, bieten sich diverse Stellschrauben an: So etwa Führungspositionen auch für Teilzeitkräfte zu ermöglichen, z.B. indem sich zwei Teilzeitkräfte eine Leitung teilen. Generell müssen wir proaktiver auf Frauen zugehen. Wir können nicht mehr abwarten, ob sich eine Frau zum Beispiel auf eine offene Dezernentenposition meldet - sondern wir müssen uns bei ihr melden und ihr mitteilen, dass wir sie gerne fördern möchten. Und wir brauchen auch ein entsprechendes Klima in den Behörden, etwa flexible Arbeitszeiten und mobiles Arbeiten, damit junge Frauen und Männer Arbeit und Familie besser unter einen Hut bekommen. 

"Gespräche zum Jura-Bachelor noch dieses Jahr"

Schwarz-Grün will den Universitäten in NRW die Einführung eines integrierten Jura-Bachelors ermöglichen. Die Idee ist heftig umstritten

In den Koalitionsverhandlungen haben wir uns auf die Einführung eines integrierten Bachelors geeinigt. Zurzeit bemühen wir uns, mit den juristischen Fakultäten in Gespräche zu kommen und wir hoffen, dass diese noch dieses Jahr stattfinden können.

Das Ziel ist unter anderem, auch den Studierenden eine Zukunftsperspektive zu eröffnen, die das Examen nicht schaffen. Die Qualitäts-Kriterien dafür müssen dann natürlich auch denen eines Bachelors entsprechen. Jedenfalls gibt ein Bachelor diesen Jurastudierenden die Chance, in den Arbeitsmarkt einzusteigen oder noch einen Masterstudiengang absolvieren zu können. Die Zeit an der Uni war für sie somit nicht vergebens. 

Herr Minister, wir bedanken uns für das Gespräch.

Dr. Benjamin Limbach (Bündnis 90/Die Grünen) ist seit 29. Juni 2022 neuer Minister der Justiz von Nordrhein-Westfalen. Zuvor war der 52-jährige u.a. Präsident der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung sowie Direktor der Fachhochschule für Rechtspflege Nordrhein-Westfalen und Leiter des Ausbildungszentrums der NRW-Justiz. Er ist der Sohn der 2016 verstorbenen, ehemaligen Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach.

Zitiervorschlag

Interview mit NRW-Justizminister Benjamin Limbach: . In: Legal Tribune Online, 15.09.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49626 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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