Das VG Berlin beschäftigt sich derzeit damit, ob Bewohner des Gazastreifens die Genehmigung deutscher Waffenexporte nach Israel stoppen können. Patrick Heinemann ist skeptisch und weist auf sicherheitspolitische Folgeprobleme hin.
In insgesamt drei Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht (VG) Berlin wenden sich mehrere Bewohner des Gaza-Streifens dagegen, dass die Bundesregierung weitere Waffen an Israel liefert. In den Eingangsverfügungen bat das Gericht die Bundesregierung darzulegen, "auf welche Weise die Bundesregierung […] sicherzustellen beabsichtigt, dass die Erteilung der Genehmigung" von Kriegswaffen an Israel "keine völkerrechtlichen Verpflichtungen" Deutschlands "gefährden würde", wie LTO bereits berichtete.
Das Gericht teilte darüber hinaus mit, es gehe davon aus, dass die Bundesregierung bis zur Entscheidung über den jeweiligen Antrag keine weiteren Kriegswaffenlieferungen genehmigen werde. Andernfalls erwäge das Gericht den Erlass von sogenannten Hängebeschlüssen, die der Bundesregierung die Genehmigung von Kriegswaffenexporten an Israel bis zum Ergehen der eigentlichen Eilentscheidung untersagen würde.
Das war einigermaßen erstaunlich, da zwei der drei Anträge bereits offensichtlich unzulässig sind. Darüber hinaus sprechen gewichtige verfassungsrechtliche Gründe dagegen, dass Individuen die Kriegswaffenexportentscheidungen der Bundesregierung im Wege der einstweiligen Anordnung stoppen können.
Auslandsgeltung der Grundrechte noch nicht abschließend geklärt
Die Unzulässigkeit zweier der drei Anträge ergibt sich aus dem Umstand, dass die Antragsteller sich hier nicht zuvor außergerichtlich an die Bundesregierung gewandt hatten. Das ist nach ständiger Rechtsprechung eine Zulässigkeitsvoraussetzung für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. In den zwei Fällen berufen sich die Antragsteller darauf, dass hier eine Ausnahme greife, weil eine Anfrage bei der Bundesregierung von vornherein aussichtslos gewesen sei. Jedoch greift diese Ausnahme nur ein, wenn der Antragsgegner durch eigenes Verhalten mit Erklärungswert vorher zum Ausdruck gebracht hat, auf entsprechende Anfragen nicht oder ablehnend zu reagieren. Dass sich die Regierung bislang zum Thema Waffenlieferungen eher schmallippig gibt, kann dafür nicht genügen.*
Bei einem bereits offensichtlich unzulässigen Antrag gebietet es die Effektivität des Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz, GG) nicht, die Schaffung vollendeter Tatsachen durch einen Hängebeschluss abzuwenden. Üblich ist vielmehr ein gerichtlicher Hinweis, dass der Antrag unzulässig sein dürfte. Dann nimmt der Antragsteller ihn zurück, trägt die Kosten und kann sich überlegen, den Zulässigkeitsmangel zu beheben und den Antrag neu zu stellen. Warum die 4. Kammer des VG Berlin hier anders vorging, bleibt ihr Geheimnis.
Materiellrechtlich soll sich ein solcher Anspruch aus den Grundrechten ergeben, namentlich dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Die Antragsteller berufen sich insofern auf eine viel beachtete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Bundesnachrichtendienst (BND). Darin ist das BVerfG zu der Auffassung gelangt, die Bindung der deutschen Staatsgewalt an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) sei nicht auf das deutsche Staatsgebiet begrenzt.
Schon damals fragten sich kritische Stimmen, ob mit derlei Hybris nicht die Büchse der Pandora geöffnet wurde: Am deutschen Verfassungsrecht soll die Welt genesen?
Ohnehin sind die Maßstäbe der BND-Entscheidung grundrechtsdogmatisch schwer verdaulich und praktisch wenig handhabbar: So soll sich der Schutz der einzelnen Grundrechte im Inland und Ausland unterscheiden können. Bedeutet das Abstriche bereits beim Gewährleistungsgehalt, also dem, was man früher gemeinhin "Schutzbereich" nannte? Oder spielt die Musik doch eher im Bereich der Verhältnismäßigkeitsprüfung? Wer bis dahin ganz binär dachte, Grundrechte gelten (oder eben nicht), dem konnte da leicht der Kopf rauchen.
BND-Entscheidung des BVerfG und Ramstein-Entscheidung des BVerwG geben Maßstäbe vor
Klar ist jedenfalls, dass sich die vorliegende Konstellation deutlich von derjenigen unterscheidet, die der BND-Entscheidung zugrunde lag: Hier geht es ja nicht um die klassische Abwehrdimension der Grundrechte. Vielmehr wird allein eine mittelbare Schutzpflicht des Bundes geltend gemacht – gegenüber Handlungen, die ein Dritter (der Staat Israel) auf nicht-deutschem Territorium begeht.
Schon die Karlsruher BND-Entscheidung betont, dass für die Beurteilung der Grundrechtsbindung der deutschen Staatsgewalt für Auslandssachverhalte hinsichtlich der Schutzdimension der Grundrechte andere Maßstäbe gelten können als für deren Abwehrdimension. Das betonte auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in seiner Entscheidung zu den US-Kampfdrohneneinsätzen über dem Jemen, bei denen der für die Fernsteuerung erforderliche Datenstrom zum Teil über die Ramstein Air Base in Rheinland-Pfalz geleitet wurde. So ist für die Schutzdimension der Grundrechte anerkannt, dass dem jeweiligen Hoheitsträger ein weiter Spielraum eingeräumt ist, wie er seinen grundrechtlichen Schutzpflichten nachkommt.
Ausschlaggebend für das BVerwG, die Klage im Ramstein-Fall abzuweisen, war letztlich die Erwägung, dass die in Deutschland stattfindenden Handlungen normativ neutral seien, die also eigentlich pikanten Sachverhalte – der Kampfmitteleinsatz der Drohnen – nicht mehr in einem hinreichenden Verantwortungszusammenhang zur deutschen Staatsgewalt stünden. Überdies billigte das BVerwG der Bundesregierung bei der Frage, ob das Verhalten eines anderen Staates im Ausland völkerrechtskonform ist, innerhalb der Bandbreite vertretbarer Rechtsauffassungen einen Einschätzungsspielraum zu.
Zurechnungszusammenhang zwischen Bundesverantwortung und Völkerrechtsverstößen?
Legt man diese Maßstäbe zu Grunde, so spricht vieles dagegen, dass das VG Berlin künftig auf Anträge von Gaza-Bewohnern hin die Entscheidungen der Bundesregierung über Kriegswaffenlieferungen an Israel kontrollieren wird.
Auch wenn Kriegswaffen nicht mit Datenströmen gleichzusetzen sind, ist ihre Lieferung durch deutsche Unternehmen doch an sich auch erst mal ein normativ neutraler Vorgang: Waffen können dazu eingesetzt werden, sich zu verteidigen – oder eben den Nachbarn zu überfallen oder Kriegsverbrechen zu begehen. Zwar mag es sein, dass während des aktuellen Konflikts auch die israelischen Streitkräfte Völkerrechtsverstöße bis hin zu Kriegsverbrechen begehen.
Allerdings hat es auch der Internationale Gerichtshof (IGH) in seiner jüngsten Entscheidung zu Rafah vermieden, den Einsatz Israels im Gazastreifen insgesamt als völkerrechtswidrig einzustufen. Er hat zwar das Vorgehen in Rafah deutlich beanstandet; was die Anordnung genau beinhaltet, bleibt jedoch unklar: Nach einer verbreiteten Lesart ist der israelischen Regierung nur ein solches militärisches Vorgehen in Rafah einstweilen untersagt, das den Palästinensern in Gaza Lebensbedingungen auferlegen kann, die zu ihrer vollständigen oder teilweisen physischen Zerstörung führen könnten. Insbesondere die völkerrechtlich zulässige Verteidigung Israels gegen die Hamas bleibt aber ohne Weiteres erlaubt.
Damit aber kann die an sich neutrale Lieferung von Waffen hier nicht mehr hinreichend konkreten, völkerrechtswidrigen Handlungen zugerechnet werden. Zwischen einer Waffenexportentscheidung der Bundesregierung und einem möglichen Kriegsverbrechen durch Angehörige der israelischen Streitkräfte besteht daher kein hinreichender Zurechnungszusammenhang, der eine grundrechtliche Schutzpflicht des Bundes auslösen könnte. Das gilt auch unter der Berücksichtigung, dass den israelischen Truppen zum Teil Kriegsverbrechen vorgeworfen werden. Denn auch soweit israelische Kräfte gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen, steht bei ihrem Einsatz das völkerrechtlich anerkannte Selbstverteidigungsrecht Israels nach den Angriffen des 7. Oktober 2023 nach wie vor im Vordergrund. Anders sähe die Sache aus, wollte die Bundesregierung Waffen an einen Aggressor liefern – wie etwa Russland oder die Hamas. Bei einem solchen (hypothetischen) Szenario wären kaum andere als völkerrechtswidrige Einsätze der gelieferten Kriegswaffen denkbar mit der Folge, dass sich der Bund diese auch zurechnen lassen müsste.
Grundgesetz weist die Entscheidung ausdrücklich und ausschließlich Bundesregierung zu
Jenseits der zum BND und zur Ramstein Air Base entwickelten Maßstäbe kommt hier die verfassungsrechtliche Besonderheit hinzu, dass Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GG die Entscheidung über den Export von Kriegswaffen der Bundesregierung als Kollegialorgan ausschließlich vorbehält. Der Grundgesetzgeber hielt die Prärogative der Bundesregierung für derart wichtig, dass er sie nicht bloß als einen Anwendungsfall der allgemeinen Kompetenz des Bundes für die äußeren Beziehungen, sondern explizit im Verfassungstext verankert sehen wollte.
Deshalb handelt es sich bei Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GG nach ganz herrschender Auffassung auch nicht bloß um eine Kompetenzvorschrift. Vielmehr billigt die Verfassung der Bundesregierung bei diesen Entscheidungen einen weitreichenden, selbst verfassungsgerichtlich nicht zu überprüfenden Spielraum zu. Das hebt die vorliegenden Fälle von den übrigen Konstellationen nochmal deutlich ab, bei denen sich mit Blick auf das allgemeine System der Gewaltenverschränkungen bereits fragen lässt, wie weit die Verwaltungsgerichtsbarkeit die Außenpolitik des Bundes kontrollieren darf.
Welche praktischen Folgeprobleme könnten sich stellen, sollte sich die Verwaltungsgerichtsbarkeit dennoch zu einem Einschreiten gegen Kriegswaffenlieferungen an Israel berufen fühlen?
Klagen bald russische Soldaten gegen Waffenexporte an die Ukraine?
Problematisch wäre es vor allem, wenn die Anforderungen an den Zurechnungszusammenhang zwischen einer behaupteten Grundrechtsbeeinträchtigung im Ausland und der Verantwortungssphäre der Bundesgewalt herabsetzt.
Insbesondere darf man sich nicht der Hybris hingeben, dass das Auftreten von Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht bis hin zu Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit kriegerischen Ereignissen das Alleinstellungsmerkmal von Diktaturen und Unrechtsregimen ist. Insofern fehlt es an dem für eine Schutzpflicht des Bundes erforderlichen Zurechnungszusammenhang auch dann, wenn man die unter anderem in den Haftbefehlsanträgen des IStGH-Chefanklägers zum Ausdruck gebrachten Kriegsverbrechensvorwürfe in Rechnung stellt. Ebenso wie es unter den alliierten Truppen des Zweiten Weltkriegs zu Verbrechen kam, wäre mit entsprechenden Vorfällen realistischerweise wohl auch in der Bundeswehr im Rahmen eines hochintensiven Verteidigungskriegs zu rechnen. Insofern muss es auch rechtlich einen Unterschied machen, ob der jeweilige Krieg insgesamt ein Verbrechen ist oder ob es im Zusammenhang mit an und für sich völkerrechtlich zulässigen militärischen Operationen (wie insbesondere Verteidigungshandlungen) zu Exzessen kommt.
Alles andere würde zudem zur sicherheitspolitischen Handlungsunfähigkeit der Bundesrepublik führen: So könnten Verwaltungsgerichte künftig auf die Idee kommen, auf den Antrag russischer Armeeangehöriger den Export deutscher Waffen an die Ukraine – oder etwa im Falle eines weiteren russischen Überfalls an die baltischen Staaten – schon dann zu untersagen, wenn vereinzelte Völkerrechtsverstöße im Rahmen der dortigen Verteidigungshandlungen glaubhaft gemacht würden. Vielleicht ist die Idee, dass deutsche Grundrechte auch im Ausland gelten, zumindest insoweit nicht ganz zu Ende gedacht.
* Der Absatz wurde nachträglich angepasst. Zunächst hieß es hier aufgrund eines Redaktionsversehens, die Antragsteller hätten sich nicht zuvor an die Bundesregierung gewandt. Das trifft aber in einem Fall nicht zu: Hier hatte die Bundesregierung innerhalb einer gesetzten Frist nicht auf einen entsprechenden Antrag reagiert. Korrigiert auf Hinweis der Klägervertreter (ECCHR und Rechtsanwalt Prof. Dr. Remo Klinger), 05.06.2024, 12:22 Uhr.
Eilanträge von Palästinensern beim VG Berlin: . In: Legal Tribune Online, 03.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54679 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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