Berit Völzmann hat zu Verbotsmöglichkeiten sexistischer Werbung promoviert und das Justizministerium bei der Entwurfsarbeit beraten. Den Vorwurf der Bevormundung weist sie zurück: Der Staat sei verpflichtet, Diskriminierungen zu verhindern.
Einen Referenten- oder gar Regierungsentwurf gibt es nicht, dennoch schlagen die Wellen der Empörung hoch, seit bekannt wurde, dass das Justizministerium ein Gesetz zum Verbot sexistischer Werbung vorbereitet. Dabei eingebracht hat sich unter anderem der Verein Pinkstinks, der "gegen Produkte, Werbe- und Medieninhalte agiert, die Kindern eine limitierende Geschlechterrolle zuweisen". Berit Völzmann ist als Juristin bei Pinkstinks und wurde 2015 vom Deutschen Juristinnenbund für ihre Promotion unter dem Titel "Geschlechtsdiskriminierende Werbung. Zur Rechtmäßigkeit eines Verbots geschlechtsdiskriminierender Werbung im UWG" ausgezeichnet.
LTO: Frau Völzmann, fühlen Sie sich durch Werbung diskriminiert?
Völzmann: Immer wieder, ja. Rollenbilder, die die Gesellschaft eigentlich zu überwinden versucht, werden in der Werbung oft noch völlig apodiktisch als richtiger bzw. einfach selbstverständlicher Lebensentwurf präsentiert: Der dominante, hemdsärmelige Chef ist natürlich ein Mann, die sanfte, devote Hausfrau ist – naja, der Name sagt es ja schon.
"Verbot soll nur eindeutige Diskriminierung erfassen"
LTO: Und das wollen Sie ernstlich verbieten?
Völzmann: Nein, natürlich nicht. Die Grenze, ab der man Werbung verbieten kann, ohne zu sehr in die Rechte der Werbenden einzugreifen, liegt deutlich höher als die Grenze, ab der sie mich persönlich stört. In meinem Entwurfsvorschlag definiere ich drei Kategorien von Werbung, die typischerweise geschlechterdiskriminierend ist und damit unzulässig wäre.
Die erste betrifft Fälle, in denen Menschen auf Grund ihres Geschlechts Eigenschaften, Fähigkeiten und soziale Rollen in Familie und Beruf zugeordnet werden. Dafür reicht wohlgemerkt noch nicht das reine Zusammentreffen von Geschlecht und Darstellung aus. Wenn z.B. auf dem Werbebild für eine Waschmaschine eine Frau zu sehen ist, ist das grundsätzlich kein Problem, solange nicht der Eindruck vermittelt wird, dass Wäschewaschen für Frauen die richtige und natürliche Rolle sei. Wenn ein Unternehmen also z.B. im Rahmen einer Kampagne gleich zehn Motive erstellt, auf denen Waschmaschinen ausschließlich von verschiedenen Frauen beworben werden, dann wäre das diskriminierend.
Die zweite Fallgruppe umfasst Motive, in denen Sexualität als einziger Wert von Frauen dargestellt wird, wie z.B. bei dem Slogan eines Goldhändlers "Warum Sie lieber in Gold als in eine schöne Frau investieren sollten".
Die dritte Gruppe sind Fälle, in denen Frauen auf die Rolle als Objekt zum sexuellen Gebrauch reduziert werden, also z.B. ein Stringtanga mit der Aufschrift "24h Open", oder auch die klassische Blickfangwerbung, bei der (halb)nackte Frauen ohne jeden inhaltlichen Bezug zu dem beworbenen Produkt abgebildet werden. Wenn ein Dessoushersteller leicht bekleidete Frauen zeigt, ist das in der Regel sinnvoll und in Ordnung, aber nicht bei einem Reiseveranstalter oder einem Umzugsunternehmen.
"Mit dem Gleichbehandlungsgebot gegen Geschlechterstereotype"
LTO: Natürlich gibt es mitunter plumpe oder auch sexistische Werbung. Das muss einem nicht gefallen. Aber ein Verbot, das schließlich in die Berufs-, vielleicht auch in die Kunst- oder Meinungsfreiheit der Werbenden eingreift, können Sie kaum mit geschmacklichen Erwägungen begründen.
Völzmann: Das tue ich auch nicht. Aber ich sehe einen Handlungsauftrag aus Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz an den Staat, tätig zu werden.
Artikel 1 Grundgesetz ist meiner Meinung nach nur in Ausnahmefällen betroffen, auch wenn der BGH das 1995 in der "Busengrapscher/Schlüpferstürmer"-Entscheidung anders gesehen hat (v. 18.05.1995, Az. I ZR 91/93, Anm. d. Red.). So sehr, dass man ernstlich behaupten kann, sie würde die Menschenwürde verletzen, schlägt Werbung dann doch nur in seltenen, besonders krassen Fällen über die Stränge.
Geschlechtsdiskriminierende Werbung ist vielmehr ein Fall für Artikel 3 Absatz 2, also den staatlichen Auftrag, für die Herstellung tatsächlicher Gleichberechtigung zu sorgen und dabei auch der Verfestigung von Geschlechtsrollenstereotypen entgegenzuwirken.
LTO: Männer und Frauen sind aber nicht gleich.
Völzmann: Ohne in die Tiefen anderer Forschungsdisziplinen eintauchen zu wollen: Ein nicht unerheblicher Teil dessen, was wir als "typisch männlich" bzw. "typisch weiblich" verstehen, ist kulturell bedingt. Das Rollenbild der Frau – und auch des Mannes – hat sich über die letzten 100 Jahre bereits erheblich gewandelt. Aber auch heute noch ist die Selbsteinschätzung, das eigene Verhalten und die Bewertung des Verhaltens anderer Menschen durch geschlechtsspezifische gesellschaftliche Erwartungen und kulturelle Übungen geprägt.
Die Werbeindustrie hat ein Interesse daran, genau diese Geschlechtsrollenstereotype aufrecht zu erhalten. Je mehr Produkte angeblich nur "für Männer" bzw. "für Frauen" sind, desto mehr kann insgesamt verkauft werden. Nehmen Sie z.B. Lego: Das war früher ein völlig geschlechtsneutrales Spielzeug. Irgendwann hat das Unternehmen dann angefangen, seine Bausätze gezielt nur an Jungen (Raumschiffe, Ritterburgen) oder an Mädchen (Ferienhäuser, Friseurstudios) zu vermarkten. Wer einen Sohn und eine Tochter hat, kauft dann eben doppelt so viel. Und dem Nachwuchs wird von Kindesbeinen an vermittelt, was angeblich zu ihm passt.
Constantin Baron van Lijnden, Verbot sexistischer Reklame: . In: Legal Tribune Online, 14.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19071 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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