Zur Fälschung von Impfausweisen gibt es bereits etliche Gerichtsentscheidungen – aber das Bild ist uneinheitlich. Eine Klarstellung durch den BGH wäre wünschenswert und steht wohl auch bevor, wie Henning Lorenz erläutert.
Das Phänomen der Manipulation von Impfausweisen beschäftigt seit vergangenem Sommer die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte. In Berichten ist von mehreren zehntausend Fällen die Rede. Dabei handelt es sich teilweise um Sachverhalte, in denen Ärzte als grundsätzlich zur Impfung berechtigte Personen gehandelt und Personen wahrheitswidrig – z. T. gegen eine extra Bezahlung – die Durchführung einer Schutzimpfung gegen COVID-19 in einem Impfausweis bescheinigt haben.
Solche schriftlichen Lügen unterfallen nicht dem Tatbestand der Urkundenfälschung (§ 267 Strafgesetzbuch, StGB), der allein den Echtheits- und nicht den Wahrheitsschutz von Urkunden bezweckt. Letzterer ist für Gesundheitszeugnisse – darum handelt es sich nach fast einhelliger Auffassung bei Impfausweisen – aber ausnahmsweise in den speziellen Vorschriften der §§ 277 bis 279 StGB vorgesehen. Zudem existieren im Infektionsschutzgesetz (IfSG) eigene Bußgeld- und Strafvorschriften für Impfdokumentationen (§§ 73 Abs. 1a Nr. 8, 74 Abs. 2 IfSG). Diese Art von Fällen ist medial auf besonders großes Echo gestoßen. Das ist verständlich, stehen dort regelmäßig Vorwürfe von mehreren hundert oder gar tausend Taten im Raum.
Die überwiegende Zahl der Fälle und auch die strafrechtliche Diskussion betreffen aber die Fälschung von Impfausweisen, d. h. die wahrheitswidrige Eintragung von Impfungen unter Angabe eines fremden Namens, dem des vermeintlich impfenden Arztes oder den Gebrauch der Falsifikate.
Welcher Straftatbestand ist einschlägig?
Auf den ersten Blick liegen die Dinge hier einfach, weil der Fälscher eine unechte Urkunde zur späteren Benutzung als Nachweis des Impfstatus und damit zur Täuschung im Rechtsverkehr herstellt oder sie gebraucht. Das wäre grundsätzlich als Urkundenfälschung (§ 267 StGB) strafbar. Allerdings existieren ja noch die speziellen Vorschriften über die Gesundheitszeugnisse (§§ 277 ff. StGB). Diese vermittelten bis zu ihrer, erst durch das Phänomen der Impfausweisfälschung bedingten Reform zum 24.11.2021 neben dem bereits erwähnten Wahrheits- auch einen Echtheitsschutz. Damit stellten sie wie § 267 StGB auch Fälschungshandlungen unter Strafe, jedoch nur unter weitergehenden Voraussetzungen.
So war es notwendig, dass das gefälschte Gesundheitszeugnis auch tatsächlich zur Täuschung gebraucht wurde und deren Adressat Behörden oder Versicherungsgesellschaften waren. Regelmäßig fehlte es an diesen Erfordernissen, etwa weil die professionellen Fälscher die Impfausweise selbst später nicht benutzten und ihnen die Verwendung durch ihre "Kunden" auch nicht zugerechnet werden konnte oder, weil die Täuschungsadressaten Private, z. B. kontrollierendes Personal in Cafés oder im Einzelhandel, waren. Scheidet aber eine Strafbarkeit nach den speziellen Vorschriften über Gesundheitszeugnisse (§§ 277 ff. StGB) aus, stellt sich unweigerlich die Frage, ob auf die "allgemeine" Urkundenfälschung (§ 267 StGB) zurückgegriffen werden kann.
Der Streit um die Sperrwirkung
An diesem Punkt scheiden sich die Geister bzw. die Juristen. In der Literatur wird überwiegend eine Sperrwirkung der Sondervorschriften über Gesundheitszeugnisse angenommen und ein Rückgriff auf die Urkundenfälschung abgelehnt. Dies hat zur Folge, dass das Verhalten insgesamt straflos ist. Demgegenüber ist die Rechtsprechung deutlich gespalten. Auf amts- und landgerichtlicher Ebene dominieren unter den veröffentlichen Entscheidungen zwar jene, die sich für eine Sperrwirkung aussprechen. Doch liegen bei den Oberlandesgerichten (OLG) die Anhänger der Gegenauffassung vorne. So haben sich bislang das Hanseatische OLG Hamburg, das OLG Stuttgart, das OLG Schleswig und jüngst das OLG Celle gegen eine Sperrwirkung ausgesprochen.
Auf der anderen Seite stehen zwei bayerische Gerichte, das OLG Bamberg und seit kurzem auch das Bayerische Oberste Landesgericht (vgl. Beschl. v. 03.06.2022, Az. 207 StRR 155/22). Vor diesem Hintergrund kommt man nicht umhin festzuhalten, dass Deutschland bei (Alt-)Fällen von Impfausweisfälschungen vor dem 24.11.2021 ein strafrechtlicher Flickenteppich ist. Der Ort der Strafverfolgung respektive Anklage ist ausschlaggebend dafür, ob entweder eingestellt bzw. freigesprochen oder Strafbefehl erlassen bzw. verurteilt wird.
Uneinigkeit unter OLG
Doch tatsächlich ist dieser Befund weniger unstimmig, als dies zunächst den Eindruck macht. Denn der Weg zu einer einheitlichen Rechtsprechung ist oft lang und führt nicht immer ans Ziel. Für die Fälle der Impfausweisfälschung ist in aller Regel die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts begründet gewesen. Über (Sprung-)Revisionen entscheidet deshalb das OLG, in deren Bezirk das jeweilige Gericht liegt. Für diesen räumlichen Bereich existiert dann eine Entscheidung, an der sich die übrigen dort gelegenen Gerichte zu orientieren haben. All das dauert aber seine Zeit.
Es ist deshalb bemerkenswert, dass zur Frage der Strafbarkeit von Impfausweisfälschungen in Altfällen nach vergleichsweise kurzer Zeit, etwas mehr als einem Jahr, bereits sechs Entscheidungen von OLG existieren. Für vier davon, die mitunter bereits aus dem Januar stammen, liegt dies darin begründet, dass die Entscheidungen in Beschwerdeverfahren, gegen einen Nichteröffnungsbeschluss, einen Vermögensarrest oder einen Haftbefehl und somit weit vor Abschluss der erstinstanzlichen Verfahren ergangen sind. Auf diesem Weg konnte die Rechtsfrage schneller einer obergerichtlichen Beantwortung zugeführt werden. Nur die kürzlich, Ende Mai bzw. Anfang Juni ergangenen Entscheidungen des OLG Celle und des Bayerischen Obersten Landesgerichts sind Revisionsentscheidungen.
Problematisch ist nun, dass die obergerichtlichen Entscheidungen nicht nur rasch erfolgten, sondern eben auch unterschiedlich ausgefallen sind. Für den Fall, dass ein OLG von einer Entscheidung eines anderen OLG abweichen will (Divergenz), sieht § 121 Abs. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) zwar eine Vorlagepflicht zum BGH mit dem Ziel vor, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung der Revisionsgerichte zu sichern. Allerdings gilt diese Pflicht nur für bestimmte Entscheidungen, die gegenständlichen Beschwerdeentscheidungen fallen nicht darunter.
Deshalb musste auch das OLG Celle in der ersten Revisionsentscheidung zu Impfausweisfälschungen nicht dem BGH vorlegen, obwohl es von der Rechtsauffassung des OLG Bamberg abwich. Etwas anders galt nun aber für das Bayerische Oberste Landesgericht, das drei Tage später entschied. Es ist mit seiner Revisionsentscheidung, bei der eine Vorlagepflicht bestehen kann (§ 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG), von der entgegenstehenden Sichtweise des OLG Celle aus dessen Revisionsentscheidung abgewichen, hätte also eigentlich dem BGH vorlegen müssen. Dies ist unterblieben, weil die Entscheidung dem beschließenden 7. Strafsenat offenbar noch nicht bekannt war. Leider ist damit eine Chance zur baldigen Klärung verstrichen.
Wege zur höchstrichterlichen Klärung
Was nun bleibt ist die Hoffnung, dass sich einem anderen OLG in naher Zukunft in einem Revisionsverfahren die Frage der Strafbarkeit von Impfausweisfälschung in Altfällen stellen wird. Denn wegen der beiden bereits existenten, gegenteiligen Revisionsentscheidungen greift eine Vorlagepflicht unabhängig davon, welcher der Sichtweisen sich das Gericht anzuschließen beabsichtigt, ein.
Daneben besteht im Übrigen noch ein anderer Weg zum BGH, den man Ende letzten Jahres in Hechingen beschritten hat. Dort hatte die Staatsanwaltschaft nicht beim Amts-, sondern beim Landgericht Anklage erhoben und zur Begründung auf § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG und die besondere Bedeutung des Falles wegen der großen Zahl von Impfausweisfälschung in ganz Deutschland verwiesen. Für die Revision in diesem Verfahren ist deshalb der BGH zuständig.
Es bleibt abzuwarten, auf welchem Wege die Frage nach der Strafbarkeit von Impfausweisfälschungen vom BGH als erstes beantwortet wird. Klar ist zum Zwecke einer einheitlichen Rechtsprechung aber: Eine Entscheidung des BGH muss her!
Der Autor Henning Lorenz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Medizinrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Impfausweisfälschung nach altem Recht: . In: Legal Tribune Online, 21.06.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48800 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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