Am Sonntag fand in Köln die Demonstration "Hooligans gegen Salafisten" mit über 4.000 Teilnehmern statt. Dabei kam es zu teils heftigen Ausschreitungen gegenüber Polizisten und Passanten. Weitere Demos in Hamburg und Berlin sind schon in Planung. Michael Kniesel meint, dass diese auch vorab verboten werden können – und rechnet mit einem härteren Durchgreifen der Polizei gegen Gewalttouristen.
LTO: Herr Kniesel, nach den Ausschreitungen von Sonntag wurden auch Vorwürfe gegen die Kölner Polizei laut. Hätten Sie als ehemaliger Polizeipräsident von Bonn im Vorfeld der Versammlung etwas anders gemacht?
Kniesel: Ich kenne die genaue Faktenlage nicht, welche Anhaltspunkte die Kölner Polizei im Vorfeld hatte und ob sie mit diesem Gewaltpotential rechnen musste. Trotz der Belastung durch mehrere Risiko-Bundesligaspiele waren noch geschätzt tausend Beamte vor Ort. Außerdem hatten sie von Anfang an Wasserwerfer zur Verfügung, die in Nordrhein-Westfalen seit zehn Jahren nicht mehr eingesetzt wurden.
Es scheint mir, als ob die Hooligans einen neuen "Kriegsschauplatz" entdeckt haben. Sie brauchen nun das Fußballspiel nicht mehr, sondern haben sich mit den Salafisten einen neuen Anlass gesucht, um sich unter dem Deckmantel der Versammlungsfreiheit Straßenschlachten mit der Polizei zu liefern.
Die Versammlung war als friedliche Veranstaltung angekündigt, tatsächlich hatten die Teilnehmer Waffen und Leuchtraketen dabei und wurden schon recht bald gewalttätig. Ob man damit seitens der Polizei rechnen musste – dahinter mache ich mal ein Fragezeichen.
"Die Polizei prüft nicht die intellektuelle Kapazität der Teilnehmer"
LTO: Viele fragen sich, warum der Aufmarsch nicht schon im Vorfeld verhindert wurde. Es waren ja sogar 7.000 Demonstranten angekündigt, von denen dann nur etwas mehr als die Hälfte erschienen ist. Zudem sind Hooligans und Rechtsradikale allgemein als gewalttätig bekannt. Hätte man die Versammlung da nicht im Vorfeld verbieten oder unter strengere Auflagen stellen müssen?
Kniesel: Die Polizei Köln als Versammlungsbehörde prüft ja vorher die Frage, ob überhaupt eine Versammlung vorliegt – denn nur solche mit einem ernst gemeinten politischen Ziel werden laut Bundesverfassungsgericht überhaupt von Art. 8 Grundgesetz geschützt. Grundsätzlich ist das Motto "Hooligans gegen Salafisten" politisch geprägt, es reicht aus, um in den Schutzbereich von Artikel 8 GG zu kommen. Natürlich kann die Polizei nicht bewerten, ob seitens der Teilnehmer die intellektuelle Kapazität vorhanden ist, diesen Zweck zu verfolgen und ob Hooligans überhaupt wissen, wer Salafisten sind. Aber das ist auch nicht die Aufgabe der Polizei.
Aber eine solche Versammlung muss friedlich und ohne Waffen ablaufen, sonst fällt sie aus dem Schutzbereich wieder heraus. Ich kann das hier zwar nur aus der Distanz einschätzen. Aber die Polizei hat sicherlich auf der Grundlage von § 15 Versammlungsgesetz eine Gefahrenprognose erstellt. Welche Erkenntnisse hatte die Polizei im Vorfeld dafür, dass die Veranstaltung unfriedlich und mit Waffen über die Bühne gehen würde? Keine konkreten, die für ein Verbot ausgereicht hätten. Die Veranstalter oder die Teilnehmer haben den Beamten sicher nicht mitgeteilt, was sie vorhatten. Und der Erfahrungssatz, dass Hooligans und Rechte zu Gewalt neigen, ist nicht genug, um in einem Rechtsstaat die Versammlungsfreiheit einzuschränken. Man musste also abwarten, was passiert.
"Von Verboten lassen die sich nicht abhalten"
LTO: Wie hätte man die Situation dann deeskalieren können, als die Gewalt schon im Gange war?
Kniesel: Nach dem Ausbruch der Gewalt hätte man die Demonstration, die ja nun nicht mehr unter den Schutz des Versammlungsgesetzes fiel, auflösen können. Hier war es ja sogar so, dass die Veranstalter selber die Versammlung abgebrochen haben, als die Situation außer Kontrolle geriet.
Das hat die betrunkenen Hooligans aber wenig interessiert. Die Versammlung war zu dem Zeitpunkt längst in eine massive Straßenschlacht ausgeartet. Da versagen dann auch die rechtlichen Möglichkeiten, es geht nur noch um die Durchsetzung des Rechts mit "nonverbalen Mitteln". Die Polizei hat mithilfe der Wasserwerfer die Gewalt eingedämmt. Sie konnte aber viele Angriffe nicht abwehren. Daher die traurige Bilanz der Verletzung und Zerstörung.
LTO: Wenn in Zukunft noch einmal dieser oder ein ähnlicher Veranstalter die gleiche Zielgruppe zu einem solchen Ereignis aufruft, wie wird die Polizei dann reagieren?
Kniesel: Ob ein Versammlungsverbot in Zukunft ausgesprochen werden kann, darüber wird man sicherlich reden können. Aber ich glaube nicht, dass dort der Schwerpunkt liegen wird, denn ein Verbot nützt nur, wenn es auch beachtet wird. Es ist aber eine stumpfe Waffe, wenn die Leute ohnehin nicht reden, sondern sich vor allem mit der Polizei prügeln wollen. Daran lassen sie sich auch durch Verbote nicht hindern.
"Die Ereignisse reichen aus für ein zukünftiges Verbot"
LTO: Ob das Verbot etwas nützen würde, steht auf einem anderen Blatt. Aber könnte es denn rechtmäßig ausgeprochen werden? Eine Nachfolgeveranstaltung für Berlin ist ja schon in Planung, auch in Hamburg soll es zu einer ähnlichen Demonstration kommen.
Kniesel: Ja, das könnte es. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt es auf die Gefahrenprognose an, die in zwei Schritten verläuft.
Die Polizei muss zunächst Erkenntnisse aus der Vergangenheit haben, dass die Versammlung in Zukunft unfriedlich ablaufen wird. Die hat sie hier. Eine Versammlung wie jene in Köln bietet offensichtlich den Nährboden für Delikte wie Volksverhetzung, gefährliche Körperverletzung, Beleidigung, und Sachbeschädigung. Wenn dieser Personenkreis erneut zusammentritt, besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass so etwas noch einmal passiert.
Zusätzlich muss die Polizei aber auch konkrete Anhaltspunkte aus dem zeitlichen Vorfeld der neuen Veranstaltung haben. Dafür reichen Erkenntnisse des Staatsschutzes oder sonstiger Polizeidienststellen, dass derselbe Personenkreis wieder auflaufen wird. Das würde für mich völlig ausreichen, um zu prognostizieren, dass diese Menschen wieder genauso aggressiv sein werden, wie letzten Sonntag. Damit wäre ein Verbot bei identischem oder ähnlichem Teilnehmerkreis also möglich, ja.
2/2: "Der Veranstalter hängt zukünftig mit am Fliegenfänger"
LTO: Wem gegenüber könnte ein solches Verbot ausgesprochen werden? Dem Veranstalter? Oder geht es nur um die Zielgruppe, die davon abgehalten werden soll, zu solchen Demonstrationen zu erscheinen?
Kniesel: Man kann den Veranstalter tatsächlich nicht pauschal für das Verhalten all derjenigen verantwortlich machen, die auf seiner Versammlung gewalttätig werden. Auch wenn es sich um eine rechte Gruppierung handelt, kann man ihr nicht unterstellen, dass die gewaltsame Auseinandersetzung geplant war. Im konkreten Fall sehe ich das aber anders. Denn wenn ein nach außen hin unauffälliger Veranstalter zu dieser Veranstaltung aufruft und dabei gezielt Hooligans anspricht, dann will er schon genau die Klientel anlocken, die auch gekommen ist und sich entsprechend verhalten hat. Schon der Name "Hooligans gegen Salafisten" gibt ja eine klare Marschrichtung vor. Wenn es also in der Zukunft Erkenntnisse dafür gibt, dass genau die gleichen Leute wieder motiviert werden sollen, dann hängt auch, ganz platt gesagt, der Veranstalter mit am Fliegenfänger.
"Gerichte würden ein Verbot mittragen"
LTO: Nordrhein-Westfalens Innenminister Jäger hat geäußert, dass er das Demonstrationsrecht zwar in Zukunft einschränken wolle, zuvor aber das Bundesverfassungsgericht hiervon überzeugt werden müsse. Was meint er damit? Sehen Sie die Möglichkeit, das Gericht etwa im Vorfeld einer Demonstration einzuschalten?
Kniesel: Naja, im Vorfeld wird das eher schwierig. § 1 Versammlungsgesetz sieht die Möglichkeit vor, dass einzelne Personen ihr Grundrecht nach Art. 18 GG verwirken können – das wird vom BVerfG ausgesprochen. Aber eben nur gegenüber Einzelpersonen. Vereinigungen und Parteien können in langwierigen Verfahren verboten werden, aber das ist wohl eher eine theoretische Möglichkeit, denn hier haben wir es ja mit Menschen gleicher Gesinnung, nicht aber mit einer konkreten Vereinigung zu tun. Das löst das aktuelle Problem überhaupt nicht.
Vermutlich werden aber die Veranstalter, die wohl in der rechten Szene gut vernetzt und daher auch anwaltlich beraten sind, im einstweiligen Rechtsschutz gegen ein behördliches Verbot vorgehen. Meiner Einschätzung nach aber ohne Aussicht auf Erfolg, weder beim Verwaltungs- noch beim Verfassungsgericht. Nach allem, was passiert ist, würden die Richter ein etwaiges Verbot sicherlich bestehen lassen.
"Da gibt’s von der Polizei richtig was auf die Glocke!"
LTO: Die Zeitungen titeln, hier entstehe eine neue Form der Gewalt. Inwieweit werden die Versammlungsbehörden daraus ihre Konsequenzen ziehen? Müssen sie selber mit mehr Gewalt vorgehen?
Kniesel: Eine erste Konsequenz wird sein, solche Veranstaltungen häufiger zu verbieten. Aber wie schon gesagt, werden die Randalierer sich davon wahrscheinlich nicht abhalten lassen, denn sie suchen ja nur einen Vorwand, um sich mit der Polizei zu prügeln.
Diese Form der Gewaltbereitschaft ist neu und fordert härteres Vorgehen in der Praxis. Die Polizei ist ganz sicher auch auf solch brisante Situationen vorbereitet. Da sie nun weiß, was auf sie zukommt, kann sie sich auch darauf einstellen. Sicherlich wird sie in Zukunft mit einem noch massiveren Aufgebot dagegen halten. Wasserwerfer wurden ja jetzt schon eingesetzt. Von anderen Waffen möchte ich noch nicht reden. Es ist aber auf jeden Fall eine Frage von Strategie und Taktik, sich richtig gegen Gewalttäter dieses Kalibers aufzustellen. Ich sage nur so viel: Da gibt’s dann richtig was auf die Glocke!
LTO: Herr Kniesel, vielen Dank für das Interview.
Der Autor Michael Kniesel ist Rechtsanwalt und Unternehmensberater. Er ist Verfasser mehrerer Lehrbücher zum Polizei- und Versammlungsrecht. In den Jahren 1988 bis 1993 war er Polizeipräsident der Stadt Bonn.
Das Interview führte Anne-Christine Herr.
Anne-Christine Herr, Gewalt bei Demo "Hooligans gegen Salafisten": "Nur ein Vorwand, um sich mit der Polizei zu prügeln" . In: Legal Tribune Online, 28.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13623/ (abgerufen am: 01.07.2024 )
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