Höchstaltersgrenzen: Lieber Job als Rente

von Prof. Dr. Florian Becker, LL.M

03.02.2012

Nicht für jeden ist die Rente mit 67 eine schlimme Vorstellung. Viele Erwerbstätige möchten nicht zwangsweise in den Ruhestand versetzt werden, wenn sie ein bestimmtes Alter erreicht haben. Nach einem Urteil des BVerwG scheinen sie Hoffnung schöpfen zu dürfen. Ob Altershöchstgrenzen wirklich bald der Vergangenheit angehören, weiß Florian Becker.

Für viele Berufsbilder gibt es Altershöchstgrenzen, nach deren Erreichen der Job nicht weiter ausgeübt werden darf. Sie sollen die Allgemeinheit vor Gefahren schützen, die in sensiblen Berufen mit nachlassenden Fähigkeiten im Alter auftreten können. Die Grenzen können tarifvertraglich oder gesetzlich festgelegt werden und stellen für diejenigen, die auch im Alter noch ihrer Profession nachgehen wollen, häufig ein Ärgernis dar.

In der Vergangenheit haben deshalb schon Hebammen, Notare oder Kassenärzte vergeblich dagegen geklagt, ab einem bestimmten Alter zwangsweise aus dem Berufsleben auszuscheiden. Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) im September 2011 aber die Altersgrenze für Piloten kippte, keimte bei vielen älteren Erwerbstätigen neue Hoffnung auf. Diese scheint sich nun durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu bestätigen.

Das Gericht erklärte am Mittwoch eine generelle Höchstaltersgrenze für öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für unzulässig. Die Leipziger Richter beriefen sich dabei ausdrücklich auf die Rechtsprechung des EuGH. Den Ruhestand an ein bestimmtes Lebensalter zu knüpfen, stelle eine nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) unzulässige Benachteiligung wegen des Alters dar (Urt. v. 01.02.2012, Az. BVerwG 8 C 24.11). Dass damit ausnahmslos alle Altersgrenzen von Gerichten kassiert werden können, ist aber unwahrscheinlich.

Das deutsche Verfassungsrecht kennt nämlich das ausdrückliche Verbot der Altersdiskriminierung nicht. Art. 3 Abs. 2 und 3 des Grundgesetzes (GG) untersagen zwar, jemanden wegen des Geschlechts, der Rasse, des Glaubens oder aus anderen Gründen zu diskriminieren. Das Alter aber wird gerade nicht genannt. Deshalb hat sich der Gesetzgeber am allgemeinen Gleichheitssatz zu orientieren, wenn er Altershöchstgrenzen festsetzt.

Strenge Maßstäbe aus Luxemburg

In einem solchen Fall muss die Differenzierung – wie jeder andere Grundrechtseingriff – einen legitimen Zweck verfolgen und geeignet, erforderlich sowie verhältnismäßig sein. Zwar stellt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hohe Anforderungen,  wenn der Gesetzgeber die Berufswahl an eine objektive Bedingung knüpft, die – wie das Alter – nicht beeinflusst werden kann.

Für privatrechtliche Arbeitsverhältnisse konnte all dies aber ohnehin nur im Wege der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte gelten. Bislang scheiterten deshalb viele Versuche, Altershöchstgrenzen vor dem BVerfG aufheben zu lassen. Das Karlsruher Gericht hielt diese zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter für zulässig.

Einen strengeren Maßstab legt indes das Unionsrecht an. Bereits seit 2005 hatte der EuGH ein Verbot der Altersdiskriminierung als ungeschriebenen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts anerkannt. Auf das ungeschriebene Recht muss heute kaum noch zurückgegriffen werden: Art. 21 Grundrechte-Charta verbietet die Altersdiskriminierung ausdrücklich.

Dies gilt allerdings nur dann, wenn die Grundrechte der EU angewendet werden; mithin für die Rechtsakte der EU selbst und für die Mitgliedstaaten, wenn sie Unionsrecht "durchführen". Auch hier sind Private wie Arbeitgeber oder Tarifparteien also zunächst außen vor.

Der Schutz vor Diskriminierung durch EU-Recht endet jedoch nicht mit der Grundrechte-Charta. Schon lange vor ihrem endgültigen Inkrafttreten hatte sich die damalige Europäische Gemeinschaft in einer Reihe von Sekundärrechtsakten der Frage der Diskriminierung im Allgemeinen angenommen. Dabei wurde auch die Altersdiskriminierung aufgegriffen Ihr grundsätzliches Verbot wurde auf private Rechtsverhältnisse ausgedehnt - zu Lasten der Privatautonomie. Diese Richtlinien setzte Deutschland vor allem durch das heiß umstrittene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) um. Es untersagt zwar eine Altersdiskriminierung in bestimmten Lebensbereichen, aber nach §§ 8 und 10 AGG kann von diesem Grundsatz auch abgewichen werden.

Harte Fakten gegen alte Notare?

So bestimmen Art. 6 Abs. 1 der maßgeblichen  Richtlinie 2000/78/EG und der dazugehörige § 10 AGG, dass eine Ungleichbehandlung wegen des Alters "keine Diskriminierung darstellt, sofern sie objektiv und angemessen ist und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist". Dieses Ziel muss beschäftigungs-, arbeitsmarkt- oder bildungspolitischer Natur sein.

Zulässig ist eine Differenzierung nach dem Alter auch, soweit ein bestimmtes persönliches Merkmal für die Ausübung der Tätigkeit unverzichtbar ist (Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie und § 8 Abs. 1 AGG).

So hat der EuGH auch im Pilotenurteil entschieden, dass es bei den Flugzeugführern legitim ist, an besondere körperliche Fähigkeiten als "wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung" anzuknüpfen, um die Flugverkehrssicherheit zu gewährleisten. Die konkrete Regelung scheiterte jedoch daran, dass sie unangemessen, weil zu unflexibel war.

Im Fall der Sachverständigen konnte die für die Altersgrenzen verantwortliche IHK schon im Ansatz nicht deutlich machen, warum für die Sicherstellung eines geordneten Rechtsverkehrs eine Altersbeschränkung notwendig sein sollte. Die Leipziger Richter konnten deshalb kein legitimes Ziel erkennen, das eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters gerechtfertigt hätte.

Von einem absoluten Verbot der Altersdiskriminierung kann trotzdem keine Rede sein.  Legitime Gründe für Altershöchstgrenzen kann es auch aus unionsrechtlicher Sicht weiterhin geben. Allerdings müssen in allen Fällen entweder arbeits- und sozialpolitische Gründe oder aber "harte Fakten" gegen die Weiterbeschäftigung einer Person aufgrund ihres Alters sprechen. Ob deshalb auch Notare und Kassenärzte zukünftig länger arbeiten dürfen, bleibt abzuwarten.

Der Autor Univ.-Prof. Dr. Florian Becker, LL.M. (Cambridge), hat den Lehrstuhl für Öffentliches Recht an Christian-Albrechts-Universität zu Kiel inne. Er beschäftigt sich mit Fragen des deutschen und europäischen Verfassungsrechts und gibt unter anderem gemeinsam mit Univ.-Prof. Dr. Dres. h. c. mult. Klaus Stern den "Grundrechte-Kommentar" heraus.

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Zitiervorschlag

Höchstaltersgrenzen: . In: Legal Tribune Online, 03.02.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5486 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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