Nach der Hochwasserkatastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz 2021 hatten die Länder den Bund gebeten, eine Pflichtversicherung für Elementarschäden auf den Weg zu bringen. Der Bundesjustizminister hat dem nun eine Absage erteilt.
Ergänzend zum Streit um angemessene Bundesmittel für die Ausstattung der Justiz hat Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) die Bundesländer auch bei einem weiteren Thema gegen sich aufgebracht: Diesmal geht es um einen verbesserten Versicherungsschutz für Haus- und Wohnungseigentümer gegen Unwetterschäden.
Seitdem Starkregenereignisse aufgrund des Klimawandels zunehmen, wird in Deutschland verstärkt über eine Pflicht für Wohnungs- und Hauseigentümer diskutiert, sich gegen sogenannte Elementarschäden zu versichern. Diese umfassen u.a. Überschwemmungen durch Starkregen und Flüsse, aber auch Erdrutsche oder Lawinen. Im Rahmen einer Wohngebäude- oder Hausratversicherung wird der Schutz vor Unwetterschäden zwar von Versicherern als ergänzender Bestandteil angeboten, ist aber in aller Regel nicht automatisch mitversichert.
Laut Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) sind daher derzeit leidglich rund 50 Prozent der Gebäude gegen Naturgefahren wie Hochwasser und Überschwemmungen versichert. Bei der Katastrophe im Ahrtal führte der mangelnde Versicherungsschutz dazu, dass der Staat mit Milliardenhilfen einspringen musste. Auch den Versicherern kam das Unglück teuer zu stehen: Sie verzeichneten einen Gesamtschaden in Höhe von 8,5 Milliarden Euro, u.a. für 91.000 beschädigte Wohngebäude und 54.000 Versicherungsfälle in der Hausratversicherung.
Staatsrechtler: Keine verfassungsrechtlichen Bedenken
Vor diesem Hintergrund mehrten sich in jüngster Zeit Forderungen nach der Einführung einer Pflichtversicherung für Elementarschäden durch den Bund. Allerdings hatten in der Vergangenheit Prüfungen der Landesregierungen unter Beteiligung der Bundesregierung stets zu verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber einer derartigen Pflicht geführt. Außerdem wurden immer wieder Schwierigkeiten hinsichtlich der funktionalen Ausgestaltung einer Versicherungspflicht – insbesondere hinsichtlich der finanziellen Deckung des Rückversicherungsrisikos – geltend gemacht.
Auf rechtliche Risiken verweist auch der GDV: "Pflichtversicherungen sind üblich zum Schutz Dritter, etwa in der Kfz- oder Berufshaftpflicht, oder in der Krankenversicherung zum Gesundheitsschutz", so eine Sprecherin. "Eine Pflichtversicherung für Wohngebäude würde hingegen verpflichten das eigene Vermögen zu schützen. Das wäre neu."
Allerdings: Im Februar präsentierte der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen ein knapp 50-seitiges Rechtsgutachten des Regensburger Staatsrechtlers Thorsten Kingreen. Kingreen kam zum Ergebnis, dass eine Versicherungspflicht gegen Elementarschäden an Wohngebäuden sowohl mit europäischem Unionsrecht als auch mit deutschem Verfassungsrecht vereinbar ist. Verfassungsrechtlich gerechtfertigt sei etwa der Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art.2 Abs.1 GG der Eigentümer. Überhaupt diene eine Versicherungspflicht, so der Jurist, nur auf den ersten Blick allein dem Eigenschutz des Eigentümers und nicht auch schutzbedürftigen Dritten. "Die Ziele einer Versicherungspflicht lassen sich wegen der sozialen Dimension des Grundeigentums nicht auf Eigenschutz reduzieren. Nicht nur besteht ein ordnungsrechtliches Interesse an der Vermeidung von Obdachlosigkeit und ist es ein städtebauliches Anliegen, zerstörte Wohngebäude wiederherzurichten, sondern es besteht auch ein öffentliches Interesse daran, die öffentlichen Haushalte zu schonen."
Auch der Eingriff in die die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) der privaten Versicherungsunternehmen sei verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn hinreichende Sicherungsmechanismen gegen eine kalkulatorische Unterdeckung getroffen würden, so Kingreen. Gemeint ist damit, dass die Versicherer finanziell auch jederzeit in der Lage sein müssen, die Ansprüche ihrer Kunden im Zweifel zu erfüllen.
Länder hofften auf den Kanzler
Daraufhin begann allmählich auch in den Ländern der Widerstand gegen eine Versicherungspflicht zu bröckeln. Auf ihrer Frühjahrskonferenz im Juni behandelten die Justizminister den Bericht einer Arbeitsgruppe und kamen zu einem Beschluss, der Bewegung in das Thema brachte. Verfassungsrechtlich sei eine Pflichtversicherung "innerhalb eines vom Gesetzgeber auszugestaltenden Korridors" vertretbar. Man kam überein, dass der Bund ein solches Gesetz prüfen soll.
Offenbar glaubte man dabei in den Ländern, in Bundeskanzler Olaf Scholz einen Unterstützer für das Ansinnen zu haben. Schließlich hatte Scholz noch als Finanzminister im Sommer 2021 trotz einiger Bedenken Zustimmung signalisiert: "Diese Debatte müssen zunächst einmal die Länder führen. Wenn es eine Einigung gibt, wird der Bund dem sicher nicht entgegenstehen“, so Scholz damals gegenüber Medien.
Seit Ende vergangener Woche steht nun allerdings das Gegenteil fest. Der Bund steht dem Ansinnen der Länder entgegen. Namentlich der Bundesjustizminister erteilte den 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten auf der MPK eine Absage. "In einer Zeit höchster finanzieller Belastungen privater Haushalte sollten wir von allem die Finger lassen, was Wohnen und Leben in Deutschland noch teurer macht. Ich habe mich deshalb in der Ministerpräsidentenkonferenz gegen eine Versicherungspflicht gegen Elementarschäden ausgesprochen. Eine solche Pflicht wäre verfassungsrechtlich wohl möglich, politisch halte ich sie für falsch. Hierzu haben wir uns innerhalb der Bundesregierung abgestimmt."
Wohneigentümer, so Buschmann, sollten selbst entscheiden, wie sie das Risiko für Schäden am eigenen Gebäude tragen.
Buschmann: Länder können es selbst richten
Entsprechend verärgert reagierten die Länder. "Wir werben sehr dafür, dass es eine Pflichtversicherung für Elementarschäden gibt. Im Juli waren wir uns darüber einig – auch mit dem Herrn Bundeskanzler –, dass es das geben soll. Der Justizminister hat dem heute eine Absage erteilt und damit, wenn ich das sagen darf, Verwunderung ausgelöst", sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) am Donnerstag: Nun müsse das Therma im nächsten Jahr erneut beraten werden.
Wüst zeigte sich angefressen: "Wir sollten so etwas nicht immer dann erst wieder auf die Agenda legen, wenn wieder etwas passiert ist; denn dann ist der Staat wieder gefordert. Ob das das Staatsverständnis ist, das die Partei des Bundesjustizministers üblicherweise vor sich herträgt, beziehungsweise ob es die bessere Lösung ist, dass der Staat dann einspringt, weiß ich nicht genau.“
Doch ob weitere Gespräche mit dem Bund hier überhaupt etwas bringen? Der Bundesjustizminister steht schließlich auf dem Standpunkt, dass es die Länder nun selbst richten könnten: "Sollten die Bundesländer eine Pflichtversicherung wünschen und für richtig halten, wäre die Einführung ihnen rechtlich möglich. Die Gesetzgebungskompetenz dafür haben sie nach dem Grundgesetz, soweit der Bund selbst keine Regelung getroffen hat."
NRW: Bundeseinheitliche Regelung sinnvoll
Überzeugen kann Buschmann die Länder mit dieser Position indes nicht. Diese pochen auf eine bundeseinheitliche Regelung. "Rein rechtlich betrachtet mag die Einschätzung des Bundesjustizministers zutreffen. Jedoch ist eine Versicherungspflicht, die in 16 Ländern jeweils eigenständig unterschiedlich ausgestaltet wird, kaum praktikabel", sagt der Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien und Chef der Staatskanzlei von NRW Nathanael Liminski (CDU).
Es sei einhellige Position der Länder, eine bundeseinheitliche Regelung zu implementieren, so Liminski gegenüber LTO. "Große Katastrophenereignisse treffen häufig zugleich mehrere Bundesländer. Vor diesem Hintergrund ist es den betroffenen Menschen kaum zu erklären, dass die Schadensbewältigung in den Ländern dann nach völlig unterschiedlichen Regeln abläuft."
Begrüßt wurde unterdessen Buschmanns Ablehnung von den Verischerern: "Wir sehen den Ausgang der Bund-Länder-Beratung als Chance, das Thema ganzheitlich neu zu durchdenken und Prävention sowie Klimafolgenanpassung in den Mittelpunkt zu stellen", sagte eine Sprecherin des GDV gegenüber LTO. Schäden durch Naturkatastrophen dürften finanziell nicht aus dem Ruder laufen. Eine singuläre Pflichtversicherung - ob auf Bundes- oder Landesebene - löse das Problem nicht. "Im Gegenteil. Sie verhindert keinen einzigen Schaden", so die Sprecherin.
Keine Pflichtversicherung für Flutschäden: . In: Legal Tribune Online, 12.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50438 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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