Jede Exekution in den USA wirft sie erneut auf, die Frage nach der Todesstrafe. In Deutschland ist sie seit langem abgeschafft – außer in Hessen? Nach der Verfassung des Bundeslandes ist bei besonders schweren Verbrechen eine Verurteilung zum Tode möglich. Warum die Hessen dennoch nicht befürchten müssen, auf dem elektrischen Stuhl zu landen, erklärt Dr. Alfred Scheidler.
Nachdem vor wenigen Wochen Teresa Lewis im US-Bundesstaat Virginia durch die Giftspritze hingerichtet wurde, wurde in Alabama nun der 1990 wegen Mordes verurteilte Jeffrey Landrigan exekutiert.
In den USA wurden seit 1976, dem Ende eines Moratoriums, über 1.200 Menschen zum Tode verurteilt und hingerichtet. Hinrichtungsmethoden waren vor allem die tödliche Injektion mittels Giftspritze oder der "elektrische Stuhl".
In Deutschland hingegen, das großen Wert legt auf den aufklärerischen Hintergrund seiner Verfassung aus dem Jahr 1949, heißt es in Art. 102 des Grundgesetzes (GG) lapidar: "Die Todesstrafe ist abgeschafft".
Die Aufnahme dieser Regelung in das Grundgesetz erklärt sich hauptsächlich als Reaktion auf die "Vernichtung lebensunwerten Lebens", auf "Endlösung" und "Liquidierung", die vom NS-Regime als staatliche Maßnahmen durchgeführt wurden, so das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil aus dem Jahr 1975 (BVerfGE 39, 1).
Die Hessische Verfassung kennt weiterhin die Todesstrafe
Angesichts dieser deutschen Vergangenheit ist es wenig erstaunlich, dass das Grundgesetz nicht nur keine Grundlage bietet für die Todesstrafe, sondern diese explizit für abgeschafft erklärt.
Umso skurriler und befremdlicher erscheint vor diesem Hintergrund Art. 21 Abs. 1 der Hessischen Verfassung. Dort heißt es: "Ist jemand einer strafbaren Handlung für schuldig befunden worden, so können ihm auf Grund der Strafgesetze durch richterliches Urteil die Freiheit und die bürgerlichen Ehrenrechte entzogen oder beschränkt werden. Bei besonders schweren Verbrechen kann er zum Tode verurteilt werden".
Eine Landesverfassung enthält also in dieser fundamentalen Frage einen Widerspruch zum Grundgesetz. Allerdings ist das Grundgesetz am 23. Mai 1949 verkündet worden. Der Widerspruch erklärt sich daraus, dass die Hessische Verfassung älter ist; sie datiert vom 1. Dezember 1946.
Entspannung für die Hessen: Bundesrecht bricht Landesrecht
Muss nun die Giftspritze oder den elektrischen Stuhl befürchten, wer eine schwerwiegende Straftat begangen hat im Bundesland von Roland Koch, Äppelwoi und Badesalz? Aber die Hessen können sich entspannt zurücklehnen mit einem Blick auf das Grundgesetz.
Art. 31 GG bestimmt, dass Bundesrecht Landesrecht bricht. Außerdem ordnet Art. 123 Abs. 1 GG an, dass Recht aus der Zeit vor dem Zusammentritt des (ersten) Bundestages nur fort gilt, soweit es dem Grundgesetz nicht widerspricht. Art. 21 Abs. 1 S. 2 der Hessischen Verfassung steht aber ganz eklatant im Widerspruch zum Grundgesetz.
Da die Norm also bedeutungslos ist, sollte sie aus der Verfassung gestrichen werden. Der Freistaat Bayern, der bis vor zwölf Jahren die Todesstrafe ebenfalls noch in seiner Verfassung hatte, hat diesen Schritt durch Volksabstimmung am 8. Februar 1998 vollzogen.
Auch in Hessen wäre eine Volksabstimmung erforderlich. Rechtlich gesehen hätte ein solcher Schritt zwar aus den dargelegten Gründen nur deklaratorische Bedeutung. Immerhin könnte er aber neben der Symbolik auch eine kleine Signalwirkung haben für die Abschaffung der Todesstrafe in anderen Staaten wie etwa den USA.
Der Autor Dr. Alfred Scheidler ist Oberregierungsrat in Neustadt an der Waldnaab und Verfasser zahlreicher Publikationen zum öffentlichen Recht.
Alfred Scheidler, Hessen: . In: Legal Tribune Online, 04.11.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1864 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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