Healthcare Compliance: Regulierung im Gesundheitsmarkt

von Dr. Volker Daum, Stefan Todt

05.10.2010

Unternehmen im Gesundheitssektor sind auf die Zusammenarbeit mit Ärzten angewiesen, um innovativ zu sein. Auf der anderen Seite handelt es sich bei den Medizinern auch um potentielle Kunden. Dieses Spannungsfeld bestimmt den Umgang mit Zuwendungen wie etwa einer Einladung ins Restaurant. Ein Überblick über die gesetzlichen und freiwilligen Grenzen dieser Praxis.

Im weiten Bereich der Business Compliance stellt die Healthcare Compliance, auch als "Zuwendungsrecht" bezeichnet, einen speziellen Aspekt für Unternehmen aus dem Pharma- und Medizintechniksektor dar.

Das Kernproblem dabei: Einerseits müssen Unternehmen des Gesundheitssektors mit Ärzten, Kliniken oder anderen Angehörigen der Fachkreise zusammenarbeiten. Nur so können ein wissenschaftlicher Austausch stattfinden und die Produkte weiterentwickelt und sicherer gemacht werden.

Andererseits sind die Angehörigen der Fachkreise auch Entscheidungsträger in der Frage der Beschaffung und Anwendung von Arzneimitteln und Medizinprodukten und als solche notwendigerweise maßgebend für den Umsatz der gesamten Industrie.

Wirtschaftliche Interessen und ärztliche Unabhängigkeit

Der Arzt muss in seiner Entscheidung über die Auswahl einer konkreten Behandlung unabhängig sein. Dies ist erforderlich, um einerseits Patientensicherheit und Patientenselbstbestimmung und andererseits die Wirtschaftlichkeit der Gesundheitsversorgung zu sichern. Er hat die für den Patienten optimale Versorgung unter Berücksichtigung der Anforderungen der Wirtschaftlichkeit des Gesundheitswesens sicherzustellen.

Die Kosten seiner Entscheidung aber  trägt, und hier liegt ein wesentlicher Unterschied zu anderen Wirtschaftssektoren, nicht der Arbeitgeber des Arztes selbst, sondern das öffentliche Gesundheitssystem.

Daraus ergibt sich die für diesen Sektor spezielle Anforderung, das Umsatzgeschäft und sonstige Leistungsbeziehungen zwischen Industrie und Fachkreisen strikt voneinander zu trennen. Daher dürfen Leistungen an Fachkreise einen angemessenen Rahmen nicht überschreiten. Das Problem stellt sich bereits bei der einfachen Frage, wie teuer Unterbringung und Bewirtung für einen Arzt sein dürfen, der für ein Unternehmen als Referent auftritt.

Anforderungen des Gesetzgebers

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen dieses Feldes sind komplex. Die Basis bilden die strafrechtlichen Normen, insbesondere Betrug, Untreue sowie Vorteilsnahme beziehungsweise Bestechung sowohl im Amt als auch im geschäftlichen Verkehr.

Auch die Bestimmungen des Gesetzes zur Bekämpfung internationaler Bestechung (IntBestG) sind zu beachten. Neben den unmittelbaren strafrechtlichen Folgen können auch steuerliche Nachteile eintreten wie zum Beispiel der mögliche Ausschluss entsprechender Aufwendungen vom Betriebsausgabenabzug.

Dazu kommen regulatorische Normen, deren Nichtbeachtung ordnungswidrigkeitenrechtlich sanktioniert ist. Hier sind vor allem die heilmittelwerberechtlichen Vorschriften (HWG sowie RL 2001/83/EG) sowie die Vorschriften zur Arzneimittelpreisbildung (insbesondere AMPreisVO) zu nennen, die für die Industrie unmittelbar gelten und auch wettbewerbsrechtliche Relevanz haben können.

Des Weiteren ist das Dienst- bzw. Hochschulrecht relevant, da die Angehörigen der Fachkreise häufig in Kliniken in öffentlicher Hand oder an Hochschulen tätig sind.

Zudem bestehen berufsrechtliche Normen wie die Berufsordnungen der Landesärztekammern (die MBO-Ä wird weitgehend von den Kammern übernommen). Diese sind zwar unmittelbar nur für Ärzte gültig. Allerdings können auch diese Normen im Falle einer Verleitung zur Standesvergessenheit wettbewerbsrechtlich bedeutsam sein.

Nach den Entwicklungen der vergangenen Jahre ist schließlich auch das Sozialrecht zu den Rechtsgebieten zu zählen, aus denen sich die rechtlichen Anforderungen der Healthcare Compliance ergeben. So hat der Gesetzgeber im Fünften Sozialgesetzbuch Normen zur Regulierung des Hilfsmittel- und Arzneimittelvertriebs aufgenommen.

Der Bereich Healthcare-Compliance ist also durch verschiedenste Normen unterschiedlicher Normgeber reguliert. Deren  Ratio ist allerdings jeweils nicht primär die Regelung des Zuwendungsrechts. Wie sich die Industrie genau verhalten soll, ist nicht präzise geregelt. Eine Konkretisierung durch die Rechtsprechung ist wenig praktikabel, da die Öffentlichkeit für das Thema stark sensibilisiert ist.

Neben dem Problem der Zusammenarbeit mit Angehörigen der Fachkreise wurde in der jüngeren Vergangenheit auch die Frage der Zuwendungen an Organisationen der Patientenselbsthilfe diskutiert.  Die Kritik ging dahin, dass diese Organisationen nicht hinreichend unabhängig von der Industrie seien. Die Pharmaindustrie versuche, diese Organisationen durch Zuwendungen zu beeinflussen, um ihre Produkte den Mitgliedern als Endverbraucher präsentieren zu können.

Kodices als Selbstkontrolle der Industrie

Um hier Konsens zu schaffen, hat sich die Industrie selbst durch ihre verschiedenen Verbände Kodices auferlegt. Sie sollen Rechtssicherheit in der Frage schaffen, welche Verhaltensweisen gegenüber Angehörigen der Fachkreise sowie Patientenorganisationen zulässig sind.

Teilweise bestehen zu diesen Kodices ergänzende Auslegungshilfen wie zum Beispiel Leitlinien oder Kommentare. Darüber hinaus haben einige Verbände einen Spruchkörper etabliert, der über eine eigene Verfahrensordnung verfügt und aufgrund der Mitgliedschaft der Unternehmen in den jeweiligen Verbänden über ein gewisses Sanktionspotential verfügt. Die Rechtsprechung dieser Spruchkörper trägt ebenfalls zur Auslegung der Kodices bei.

Aufgrund der Vielzahl der Kodices und der Regelungsbreite wird der praktische Umgang mit der gesamten Materie trotz dieser Hilfestellungen zusehends komplexer. Die Bedeutung der Kodices scheint jedoch zuzunehmen: Vielfach verstehen die ordentlichen Gerichte diese Kodices als Standard der Industrie und verwenden sie als Auslegungshilfe für gesetzliche Normen.

Der Autor Dr. Volker Baum ist General Counsel, der Autor Stefan Todt Rechtsrefendar beim Pharma- und Medizinproduktekonzern B. Braun Melsungen.

Zitiervorschlag

Healthcare Compliance: . In: Legal Tribune Online, 05.10.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1644 (abgerufen am: 19.11.2024 )

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