Das britische Parlament hat den EU-Austrittsvertrag krachend abgelehnt. Wie geht es jetzt weiter? Laut Bundesregierung ist Deutschland auf einen Hard Brexit gut vorbereitet. Auch Wirtschaftsanwälte preisen ihr Knowhow an.
Dass die Niederlage im britischen Unterhaus derart deutlich ausfiel, hat viele überrascht. 432 Abgeordnete stimmten gegen den vorgelegten Brexit-Vertragsentwurf, nur 202 Stimmen votierten mit Ja. Wie es nun weitergeht, ist einigermaßen offen. Am Mittwochabend wird sich die britische Premierministerin Theresa May erst einmal einem Misstrauensvotum stellen müssen. Unabhängig davon, ob May diese Abstimmung übersteht, wird ein ungeregelter Brexit zunehmend wahrscheinlicher.
Während jedoch Bundesjustizministerin Katarina Barley laut Zeitungsberichten unmittelbar nach dem Abstimmungsergebnis am Dienstag vor einem "No-Deal"-Brexit warnte, weil dieser u.a. für Deutschland "dramatische Folgen" hätte, beteuerte ihr Kabinettskollege Heiko Maas am Mittwoch, dass Deutschland auch auf diese Situation gut vorbereitet sei: "Wir haben in Deutschland in den letzten Wochen drei große Gesetzespakete verabschiedet für den Fall des harten Brexits", sagte Maas im Interview mit dem Deutschlandfunk.
Klar ist: Kommt es zum ungeregelten Brexit, endet die Mitgliedschaft des Vereinigten Königreiches in der EU automatisch. Ab dem 30. März 2019 wäre das Land im Verhältnis zur EU ein Drittstaat, das EU-Regelwerk ("Acquis") fände auf das Vereinigte Königreich keine Anwendung mehr. Dies hätte weitreichende Folgen für Bürger, die Wirtschaft und die Verwaltung.
Die Bundesregierung hat im Dezember diverse Gesetze auf den Weg gebracht, die Regelungen sowohl für Bürger als auch für Unternehmen im Falle eines ungeregelten Brexits enthalten.
Sozialversicherungsschutz gilt weiter
Ein Gesetz aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales umfasst unter anderem Regelungen zur Koordinierung der Sozialen Sicherheit (Kranken-, Pflege-, Unfall-, Renten- und Arbeitslosenversicherung), sonstige Regelungen des Zweiten und Dritten Buches Sozialgesetzbuch, des Altersteilzeitgesetzes und des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes.
Deutsche und britische Staatsbürger, die am 30. März 2019 im jeweils anderen Land leben und arbeiten, sollen danach ihren Sozialversicherungsschutz behalten. Das schließt nach Angaben des Ministeriums die Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung ebenso ein wie die Renten- und Unfallversicherung.
Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf des BMAS Übergangsregelungen zur Arbeitsförderung, zur Altersteilzeit und zur Arbeitnehmerüberlassung. Zusätzlich hat die Bundesregierung festgelegt, dass Auszubildende und Studierende, die für eine im jeweils anderen Land begonnene Ausbildung Fördergelder im Rahmen des BAföG beziehen, diese bis zum Ende des begonnen Ausbildungsabschnitts erhalten.
Zudem soll eine Regelung zugunsten von britischen und von deutschen Staatsangehörigen getroffen werden, die vor dem Austritt in Deutschland bzw. im Vereinigten Königreich einen Antrag auf Einbürgerung gestellt haben. Nach allgemeinen verfahrensrechtlichen Regelungen ist die Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Einbürgerung maßgeblich. Danach müssten Briten, die einen Einbürgerungsantrag in Deutschland stellen, grundsätzlich ihre britische Staatsangehörigkeit aufgeben und Deutsche, die die britische Staatsangehörigkeit erwerben, würden ohne vorherige Beibehaltungsgenehmigung ihre deutsche Staatsangehörigkeit verlieren, wenn die Einbürgerungsentscheidung erst nach dem Austritt erfolgt, auch wenn der Einbürgerungsantrag noch vor diesem Zeitpunkt gestellt wurde. Davon soll zugunsten der britischen und der deutschen Einbürgerungsbewerber abgewichen werden. Einbürgerungsbewerber, über deren Anträge nicht bis zum 30. März 2019 entschieden wurde, behalten daher bei einem ungeordneten Brexit ihre jeweilige Staatsangehörigkeit. Mehrstaatlichkeit wird hingenommen, damit längere Bearbeitungszeiten nicht zu ihren Lasten gehen.
Steuerliche Nachteile für Unternehmen vermeiden
Ein weiteres Gesetz ist das Brexit-Steuerbegleitgesetz. Es soll nach Angaben der Bundesregierung dazu dienen, "den deutschen Finanzmarkt stabil und funktionsfähig zu halten". Der Gesetzentwurf enthält Regelungen zu den Bereichen Steuern, Finanzmarkt und Arbeitsrecht: Die steuerlichen Regelungen des Gesetzes, die sowohl bei einem harten Brexit als auch im Fall eines Austrittsabkommens mit Übergangsphase zur Anwendung kommen, sollen verhindern, dass allein der Brexit für den Steuerpflichtigen nachteilige Rechtsfolgen auslöst, obwohl dieser bereits alle wesentlichen steuerlich relevanten Handlungen vor dem Brexit vollzogen hat ("Brexit als schädliches Ereignis"). In Fällen, in denen der Brexit als solcher - also ohne Zutun des Steuerpflichtigen - eine unerwünschte Rechtsfolge auslöst, soll es "Bestandsschutz" geben.
Für den Fall, dass Großbritannien ohne Austrittsabkommen aus der EU ausscheidet, sieht der Gesetzentwurf außerdem Regelungen im Finanzmarktbereich vor. So wird der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) im Bank- und Versicherungsbereich die Möglichkeit gegeben, Unternehmen mit Sitz im Vereinigten Königreich, die bislang grenzüberschreitend im Inland tätig waren, zu gestatten, ihr Bestandsgeschäft für einen Übergangszeitraum bis spätestens Ende 2020 fortzuführen, soweit dies nötig ist, um Nachteile für die Funktionsfähigkeit oder die Stabilität der Finanzmärkte zu vermeiden oder aber für inländische Versicherungsnehmer erforderlich ist.
Außerdem soll der Banken-Standort Frankfurt attraktiver für Londoner Banken werden, die wegen des Brexits ein zweites Standbein in der EU suchen. Hierzu sieht das Gesetz die Lockerung des Kündigungsschutzes für sogenannte Risikoträger bedeutender Banken vor. Dabei handelt es sich um eine Spezialregelung für Banker, deren jährliche fixe Vergütung das Dreifache der Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung übersteigt. Die entsprechende Anpassung des Kreditwesengesetzes (KWG) betrifft demnach Banker, die eine jährliche fixe Vergütung von mindestens 241.200 Euro (West) oder 221.400 Euro (Ost) beziehen. Für alle anderen Beschäftigten der Finanzwirtschaft bleibt der Kündigungsschutz unverändert bestehen.
Wirtschaftsanwälte bringen sich in Stellung
Doch trotz aller rechtlichen Vorkehrungen: Wirtschaftsvertreter wie etwa der Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Britischen Industrie- und Handelskammer in London, Ulrich Hoppe, befürchten Medienberichten zufolge, dass nach einem ungeregelten Brexit ein "riesiges Chaos" ausbricht. Joachim Lang vom Bundesverband der Deutschen Industrie warnte vor einem Szenario, das "mit enorm hohen Kosten und Schäden" verbunden sei.
Sorgen, die Anwaltskanzleien nun gerne aufgreifen. Etliche Wirtschaftskanzleien bieten an, Unternehmen auf einen harten Brexit vorzubereiten. GSK Stockmann haben auf ihrer Homepage sogar eine 24-Stunden "Brexit Emergency Hotline" geschaltet. Der Brexit werde "schwere wirtschaftliche, rechtliche und politische Folgen haben, vor allem im Vereinigten Königreich", heißt es bei GSK.
Auch CMS Deutschland bringen sich einen Tag nach der Abstimmung in London in Stellung: "Die Wirtschaft auf beiden Seiten des Kanals muss nun mit dem Schlimmsten rechnen", heißt es in einer Erklärung der Wirtschaftskanzlei. Aus Sicht von Rechtsanwalt John Hammond, der in der Kanzlei die Brexit-Gruppe leitet, "müssen Unternehmen, die bislang stillschweigend darauf gewartet haben, wie sich der Prozess entwickelt, jetzt dringend Maßnahmen ergreifen, um ihre Situation auf dem britischen Markt zu verstehen und mögliche Schäden zu mindern."
Unternehmen müssten jetzt unbedingt ihre Lieferketten und die dazugehörigen Verträge prüfen und genau analysieren, was sie in Großbritannien kaufen und verkaufen. Sie sollten dabei auch die Auswirkungen von Zöllen hinterfragen und darüber nachdenken, ob sie überhaupt über die Ressourcen verfügen, um zusätzliche Zollformalitäten abzuwickeln.
Lothar Harings, Rechtsanwalt in der Wirtschaftskanzlei Graf von Westphalen, weist gegenüber LTO darauf hin, dass Großbritannien bei einem harten Brexit ohne geregelte Übergangsphase oder Freihandelsabkommen zu einem Drittland wird, das sich zollrechtlich nicht von den USA oder China unterscheide. "Das bedeutet, dass von Unternehmen gegebenenfalls tausende zusätzliche Zollanmeldungen abzugeben und Formalitäten beim Export/Import einzuhalten sind; der Aufwand für Lieferungen nach Großbritannien würde sich deutlich erhöhen," prophezeit der Anwalt. Insgesamt werde die internationale Lieferkette von europaweit agierenden Unternehmen empfindlich gestört.
Übergangsregelungen im Bundestag
Am Donnerstag wird sich allerdings der Bundestag zunächst mit dem von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf für ein Brexit-Übergangsgesetz befassen. Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union wird dazu eine Beschlussempfehlung vorlegen.
Der Entwurf geht noch davon aus, dass das Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (Austrittsabkommen), das am Dienstag im britischen Unterhaus scheiterte, doch irgendwann in Kraft tritt. Das Abkommen sieht ja bekanntlich für die Zeit nach Ende der Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs am 30. März 2019 einen Übergangszeitraum bis zum 31. Dezember 2020 vor, in dem das Unionsrecht grundsätzlich weiter auf das und in dem Vereinigten Königreich anzuwenden ist.
Hauptziel dieses Gesetzentwurfs ist es, für den Übergangszeitraum Rechtsklarheit bezüglich jener Bestimmungen im Bundesrecht herzustellen, die auf die Mitgliedschaft in der Europäischen Union oder in der Europäischen Atomgemeinschaft Bezug nehmen. Ohne ein solches Gesetz könnte es für den Rechtsanwender in Deutschland unklar sein, in welchen Fällen das Vereinigte Königreich während des Übergangszeitraums von solchen bundesrechtlichen Bestimmungen erfasst ist und in welchen nicht.
Ungeregelter Brexit?: . In: Legal Tribune Online, 16.01.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33267 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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