Die neue GWB-Novelle wird für die Internet-Wirtschaft einiges ändern, erläutert Ulrich Soltész. Doch nicht nur Google, Amazon & Co. müssen aufpassen, auch Schlupflöcher in der Realwirtschaft will der aktuelle Entwurf schließen.
Google, Facebook, Apple, Amazon, etc. - die Liste der Online-Unternehmen, die in jüngerer Zeit die Aufmerksamkeit der Kartellbehörden auf sich gezogen haben, ist lang. Nicht immer konnte das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), das ursprünglich einmal für eine analoge Welt konzipiert wurde, den spezifischen Herausforderungen der Internet-Wirtschaft gerecht werden.
Um mit der zunehmenden Digitalisierung der Märkte Schritt zu halten, hat das Bundeskabinett nun eine Änderung des Kartellrechts beschlossen. Mit dem Gesetzentwurf sollen zudem Rechtslücken – auch in der Realwirtschaft – geschlossen werden.
Neue Umsatzschwellen für die Fusionskontrolle
Bisher mussten Fusionen und Übernahmen nur dann beim Bundeskartellamt angemeldet werden, wenn die beteiligten Unternehmen bestimmte Umsatzschwellen erreichten. Viele Internet-Unternehmen, die zwar geringe Umsätze erzielen, aber dennoch eine erhebliche Marktmacht haben, können der Anmeldepflicht so entkommen. Dies ist dann problematisch, wenn ein Technologieunternehmen ein Start-Up kauft, das zwar noch geringe Einnahmen hat, aber ein ganz erhebliches wettbewerbliches Potenzial mit sich bringt, weil es über umfangreiche Nutzerdaten verfügt, wie etwa im Fall der Übernahme von WhatsApp durch Facebook zu einem Milliarden-Preis gezeigt hat.
Aus Sicht der Kartellwächter waren solche Fälle besonders problematisch, weil internet- und datenbasierte Geschäftsmodelle besonders schnell zu einer Marktkonzentration führen könnten. In derartigen Situationen soll die Anmeldepflicht künftig auch dann gelten, wenn der nicht nur der Umsatz des kleineren Unternehmens, sondern auch der Kaufpreis bei der Übernahme eine gewisse Schwelle überschreitet. Dies bedeutet zusätzlichen Aufwand für die Vertragsparteien – sie müssen ein Fusionskontrollverfahren in Bonn einplanen – und natürlich ein latentes Untersagungsrisiko für den Deal.
Klarstellung: auch "kostenlose" Dienste kartellrechtsrelevant
In der virtuellen Welt sind viele Dienstleistungen zumindest auf den ersten Blick kostenlos. Im neuen GWB soll klargestellt werden, dass auch im Fall einer unentgeltlichen Leistungsbeziehung ein Markt vorliegt, also auch dann, wenn zwischen den unmittelbar Beteiligten kein Geld fließt.
Dies bedeutet insbesondere, dass das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung Anwendung finden kann. So hat das Bundeskartellamt Anfang des Jahres eine Untersuchung gegen Facebook eingeleitet, in dem es den Umgang mit den Nutzerdaten kritisch beleuchtet.
Eltern haften für ihre Kinder
Die GWB-Novelle bezieht sich jedoch nicht nur auf die Digitalwirtschaft, sondern enthält auch einige Neuerungen für die Realwirtschaft. Nach dem Regierungsentwurf soll es zum Beispiel für das Bundeskartellamt künftig leichter werden, eine Kartellgeldbuße gegen eine Konzernobergesellschaft zu verhängen, wenn deren Tochtergesellschaft einen Kartellverstoß begangen hat. Dies soll dann möglich sein, wenn die Gesellschaften eine "wirtschaftliche Einheit" bilden.
Hiermit soll das deutsche Kartellrecht an das EU-Recht angeglichen werden. Dies wird voraussichtlich nicht ohne Folgen für die Verfolgungspraxis bleiben. Zahlreiche Beobachter gehen davon aus, dass auch das Bundeskartellamt künftig vermehrt Bußgelder gegen Muttergesellschaften verhängen wird. Da in solchen Fällen die wirtschaftlichen Verhältnisse des gesamten Konzerns bei der Bußgeldbemessung berücksichtigt werden, könnte diese (eher technische) Änderung zu einem Anstieg der Bußgelder führen.
Schlupflöcher schließen, Schadensersatz erleichtern
Die geplante Änderung sieht ferner vor, dass Schlupflöcher geschlossen werden, die nach der Vorstellung der Kartellverfolger noch bestehen. So gab es in der Vergangenheit Fälle, in denen sich Unternehmen einer Geldbuße entzogen, indem sie im Rahmen von gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierungen das haftende Tochterunternehmen vom Markt verschwinden ließen. Diese Haftungslücke – die im bekannten "Wurstkartell" virulent wurde und daher auch die Bezeichnung "Wurstlücke" trägt – soll nun geschlossen werden. Der Regierungsentwurf sieht vor, dass auch gegenüber den Rechtsnachfolgern eine Geldbuße verhängt werden kann.
Schließlich sollen mit der Gesetzesänderung die Kartellgeschädigten, also die Abnehmer von Kartellanten, künftig leichter Vermögensschäden gegenüber diesen geltend machen können. Hierzu setzt das GWB die EU-Schadensersatzrichtlinie 2014/104/EU in nationales Recht um. Zwar gibt es in Deutschland schon seit langem die Möglichkeit der Kunden, den Kartellschaden (meist in Form überhöhter Preise) einzuklagen. Die neuen Regeln sollen dies jedoch vereinfachen und sehen zum Beispiel für potentielle Geschädigte einen Anspruch auf Herausgabe von Beweismitteln und auf Auskunftserteilung vor.
Der Entwurf enthält auch Haftungsprivilegierungen für sogenannte Kronzeugen, das heißt Kartellsünder, die zur Aufdeckung eines eigenen Kartellverstoßes beigetragen und mit der Kartellbehörde kooperiert haben. Diese sollen bestimmte Vorteile gegenüber ihren Mitkartellanten genießen, womit vermieden werden soll, dass sich Unternehmen künftig durch Schadensersatzrisiken von einer Kooperation abhalten lassen.
Mehr Aufwand für Unternehmen
Für Unternehmen wird es nicht leichter. Um sich gegen die Risiken in Form von Bußgeldern, Schadensersatzansprüchen, Strafverfahren, Anwaltskosten Aktionärsklagen etc. abzusichern, gibt es für nur ein Rezept: Compliance, und zwar möglichst weitreichend.
Eines scheint mit ziemlicher Sicherheit absehbar: Die neuen Regeln werden sicherstellen, dass die kartellrechtliche Beratung ein Wachstumsmarkt bleibt. Sowohl die öffentliche Kartellrechtsdurchsetzung durch Behörden sowie die private Kartellrechtsdurchsetzung durch Unternehmen werden dafür sorgen, dass den Kartellrechtsspezialisten nicht die Arbeit ausgeht.
Der Autor Dr. Ulrich Soltész ist Rechtsanwalt und Partner bei Gleiss Lutz in Brüssel. Er arbeitet seirund 20 Jahren im Europäischen Wettbewerbsrecht, insbesondere im Kartell- und Beihilferecht.
Geplante GWB-Novelle: . In: Legal Tribune Online, 04.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20766 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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