In einem aufsehenerregenden Prozess befasst sich der Internationale Seegerichtshof in Hamburg derzeit mit dem Fall des von Russland festgehaltenen Greenpeace-Schiffes Arctic Sunrise. Die LTO war bei der mündlichen Verhandlung und hat den Seerechtsexperten Rainer Lagoni befragt, der ein maßvolles Urteil erwartet. Ob sich Russland an ein solches auch halten wird, ist allerdings offen.
Normalerweise geht es am Internationalen Seegerichtshof (ISGH) in Hamburg vergleichsweise ruhig zu: Verhandlungen sind eher selten, und wenn sie stattfinden, nimmt die breite Öffentlichkeit von ihnen regelmäßig keine Notiz.
Ganz anders ist das jedoch im derzeit anhängigen Fall. Vor dem Gebäude demonstrierte am Mittwochmorgen bereits eine Handvoll Umweltschützer und lieferte den Medienvertretern aus aller Herren Länder die ersten aussagekräftigen Bilder. Eine Sprecherin des Gerichts bestätigte, dass das mediale Interesse an einem Fall des ISGH noch nie ein solches Ausmaß erreicht habe.
Wie kam es dazu? Am frühen Morgen des 18. September 2013 startete Greenpeace von seinem Eisbrecher Arctic Sunrise eine friedliche Protestaktion, die sich gegen die Ölbohrplattform Prirazlomnaya in der Barentsee richtete. Dafür brachen zwei Aktivisten mit einem Schlauchboot zur Bohrinsel auf mit dem Ziel, von der Plattform ein Transparent auszurollen. Bereits wenig später nahm Russlands Küstenwache die beiden jedoch mit Waffengewalt fest.
Die Arctic Sunrise zog sich im Verlaufe des Geschehens zurück. Unter Berufung auf terroristische Aktivitäten und die Gefahr einer Umweltkatastrophe in der Arktis durch die Aktionen der Arctic Sunrise seilten sich am Abend des folgenden Tages bewaffnete russische Sicherheitsbeamte von einem Helikopter ab und enterten das Schiff ohne Zustimmung der Niederlande, unter deren Flagge die Arctic Sunrise fuhr. Das Schiff wurde aufgebracht, in den Hafen von Murmansk geschleppt und die Crew wegen des Verdachts auf Piraterie bzw. Rowdytum festgenommen.
Eilrechtsschutz vor dem ISGH
Die Niederlande sehen in den Aktionen der Russischen Föderation unter anderem eine Verletzung des Seerechtsübereinkommens (SRÜ) und haben mangels außergerichtlicher Einigung den Rechtsweg beschritten.
Sowohl Russland als auch die Niederlande haben das SRÜ ratifiziert. Zur Beilegung von Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung des SRÜ gibt es verschiedene Möglichkeiten. Da sich beide Länder nicht für ein einheitliches Verfahren entschieden haben, kommt gemäß Art. 287 Abs. 5 SRÜ nur ein Schiedsgerichtsverfahren in Betracht. Ein solches wollen die Niederlande anstrengen.
Bis ein Schiedsgericht handlungsfähig ist und tagen kann, vergeht jedoch Zeit. Zeit, in der die Greenpeace-Crew im Gefängnis sitzt und in der die alternde Arctic Sunrise unter harschen Wetterbedingungen und ohne die nötigen Wartungsarbeiten möglicherweise ihre Seetauglichkeit verliert. Dies verdeutlicht die Dringlichkeit des Falles und führte zu dem Entschluss der Niederlande, beim ISGH den Erlass vorläufiger Maßnahmen zu beantragen.
Bis zur Bildung des Schiedsgerichts ist dieser gemäß Art. 290 Abs. 5 SRÜ für solche Anträge zuständig. Hauptanliegen: Die Arctic Sunrise soll ebenso wie ihre Crew freigelassen werden.
Russland kann sich Schiedsverfahren nicht entziehen
Der Erlass von vorläufigen Maßnahmen durch den ISGH setzt voraus, dass das Schiedsgericht in der Hauptsache dem ersten Anschein nach zuständig ist, die Maßnahmen zur Wahrung der Rechte der antragstellenden Streitpartei erforderlich sind und zudem Dringlichkeit vorliegt (Art. 290 Abs. 1 und 5 SRÜ).
Russland ist der Auffassung, dass es dem angestrebten Schiedsverfahren überhaupt nicht unterliegt und damit die nötige Zuständigkeit entfällt. Deshalb erschien auch keine russische Delegation zu dem Verfahren, was von der niederländischen Delegationsleiterin Liesbeth Lijnzaad gleich zu Beginn der mündlichen Verhandlung ebenso scharf wie ausführlich kritisiert wurde.
Tatsächlich hat Moskau bei der Ratifikation des SRÜ eine Erklärung abgegeben, dass es bindende Streitbeilegungsmaßnahmen wie zum Beispiel Schiedsgerichtsverfahren nicht akzeptiere, soweit es um Vollstreckungshandlungen in Ausübung souveräner Rechte oder von Hoheitsbefugnissen gehe. Art. 298 SRÜ ermöglicht derlei Erklärungen zwar – allerdings gemäß Absatz 1 nur bezogen auf bestimmte, hier offenkundig nicht einschlägige Fälle.
Der niederländische Verhandlungsvertreter Thomas Henquet folgerte denn auch, dass die Erklärung Russlands entweder – unter SRÜ-konformer Auslegung – nicht einschlägig oder aber – folgt man dem Wortlaut – wegen ihrer Pauschalität gem. Art. 309 SRÜ unzulässig sei.
Die 21 Richter scheinen dem zuzustimmen, denn die im Verlaufe der Verhandlung gestellten Fragen zum Sachverhalt hätten sie sich sparen können, wenn sie von der fehlenden Zuständigkeit überzeugt gewesen wären.
Jens Kahrmann, Verfahren vor dem Internationalen Seegerichtshof: . In: Legal Tribune Online, 07.11.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9973 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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