Zusatzbeiträge für die Versicherten und Rabattverträge mit Arzneimittelherstellern rufen das Bundeskartellamt auf den Plan, die Krankenkassen sollen dem Kartellrecht unterworfen werden. Am Mittwoch fand eine öffentliche Anhörung im Gesundheitsausschuss statt. Bekommen Krankenkassen bald häufiger Besuch vom Kartellamt?
Krankenkassen haben als Solidargemeinschaft die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder den Gesundheitszustand zu bessern. Sie verfolgen damit einen sozialen Zweck.
Die Gretchenfrage ist, ob sich darin ihr wesentliches Strukturprinzip erschöpft. Wäre das nicht der Fall, wären sie also auch als "Unternehmen" im Sinne des Kartellrechts anzusehen, fände das Kartellrecht auf sie Anwendung. Der Weg zum Kartellrecht führt durch die Pforte des Unternehmensbegriffs.
Unternehmen ist nach der Rechtsprechung des Bundeskartellamtes (BKartA) und der europäischen Gerichte jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und ihrer Finanzierung.
Die Kernfrage: Sind Krankenkassen Unternehmen?
Für den Bereich des europäischen Rechts und des Kartellverbots gemäß Art. 101 AEUV hat der Europäische Gerichtshof (EUGH) schon mehrfach Stellung bezogen. Im Fall AOK Bundesverband (Az. C-264/01 u.a.) entschied der Gerichtshof, dass die Tätigkeit von Einrichtungen wie den Krankenkassen nicht wirtschaftlicher Art ist. Ihre Tätigkeit sei nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet, sie seien daher keine Unternehmen.
Das die Unterwerfung der Krankenkassen unter das Kartellrecht die Hürde des "Unternehmensbegriffs" nehmen muss, hat das BKartA auch sehen müssen, als es kürzlich neun Krankenkassen hinsichtlich der Einführung der Zusatzbeiträge zur Auskunft aufforderte.
Abgesehen davon, dass die Einführung der Zusatzbeiträge nur eine Umsetzung einer gesetzlichen Regelung ist und für eine kartellrechtliche relevante Absprache daher erst gar kein Raum wäre, bestreiten die Krankenkassen nämlich insbesondere die Zuständigkeit des BKartA. Sie planen, gegen das Auskunftsverlangen gerichtlich vorzugehen.
Das AMNOG ebnet erstmals den Weg zum BKartA
Bisher regelte § 69 SGB V das Verhältnis der gesetzlichen Krankenversicherung zum Kartellecht so, dass nur eine Missbrauchskontrolle möglich war. Die Rabattverträge wurden durch das Vergaberecht kontrolliert. Denn die zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern, also den Arzneimittelherstellern, ausgehandelten Rabattverträge unterlagen als öffentliche Aufträge dem Vergaberecht.
Bei den Rabattverträgen handelt es sich um Vereinbarungen zwischen den Krankenkassen und Arzneimittelherstellern, die es den Krankenkassen ermöglichen, bezüglich einzelner Wirkstoffe individuelle Rabatte auszuhandeln und für eine gewisse Vertragslaufzeit festzuschreiben. Sie basieren auf der 2007 eingeführten Vorschrift des § 130a Abs. 8 SGB V. So wachten das Bundesversicherungsamt und die Sozialgerichte im Rahmen der Ausschreibung der Wirkstoffe über die Vergabe.
Nun aber mischt sich mit dem BKartA ein (ungeliebter) neuer Player ein und reißt die Kontrolle an sich.
Durch den im Gesetz zur Neuordnung des Arzeimittelmarktes (AMNOG) vorgesehenen § 69 Abs. 2 S. 1 SGB V wird zum einen das Kartellverbot im Verhältnis zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern, also den Arzneimittelherstellern für anwendbar erklärt.
Zudem findet eine Verlagerung der Zuständigkeit statt. Die Sonderzuweisung zu den Sozialgerichten wird aufgehoben, stattdessen sind die allgemeinen Zivilgerichte künftig zuständig. Damit soll das bereits im Koalitionsvertrag von CDU und FDP formulierte Ziel umgesetzt werden, mit dem Kartellrecht auch im Bereich des Gesundheitswesens einen Ordnungsrahmen für das Verhältnis zwischen Krankenkassen und Arzneimittelherstellern zu schaffen.
Rechtlich schwierig, für die Versicherten nicht nur vorteilhaft
Wenngleich das AMNOG insgesamt von durchaus positiven Kommentaren begleitet wird, kritisieren die Krankenkassen die geplante Unterwerfung unter das Kartellverbot scharf. Wird die Regelung des § 69 Abs. 2 S. 1 SGB V vom Bundestag und Bundesrat so verabschiedet, besteht kaum noch Raum für die Rabattverträge. Zwar spricht die Bekämpfung der Nachfragemacht der Krankenkassen für eine Änderung. Durchgreifende rechtliche und praktische Erwägungen stehen einer solchen Änderung aber entgegen.
Zwar ist die Rechtsprechung des EuGH zur fehlenden Unternehmenseigenschaft nicht in Stein gemeißelt. Aber die Konvergenzklausel des Art. 3 Abs. 2 S. 1 VO 1/2003 sperrt eine abweichende Anwendung des Unternehmensbegriffs in Deutschland. Dieser Umstand lässt sich auch nicht durch die weiche Formulierung einer "entsprechenden Anwendung" des § 1 GWB umgehen.
Tatsächlich sparen die Versicherten durch die Rabattverträge viel Geld. Zudem kamen nachweislich bisher viele mittelständische Unternehmen bei der Vergabe zum Zug. Fraglich ist auch, ob der Patient am Ende wirklich profitiert. Bekam er bisher vom Apotheker nicht immer das Medikament, welches auf dem Rezept verzeichnet war, sondern ein wirkstoffgleiches Produkt von einem Hersteller, mit dem die gesetzliche Krankenversicherung einen Rabattvertrag abgeschlossen hat, so soll er künftig nicht mehr auf „sein“ Medikament verzichten müssen. Ob sich dies als so vorteilhaft erweist, bleibt abzuwarten.
Das Kartellrecht ist dort fehl am Platz, wo bereits eine gute Struktur besteht. Das ist im Arzneimittelmarkt der Fall.
Der Autor B.Sc Lars Maritzen LL.B ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer internationalen Sozietät und Rechtsreferendar am Landgericht Duisburg. Er beschäftigt sich mit Fragen des Kartell- und Sportrechts.
Lars Maritzen, LL.B MLE, Gesundheitssystem: . In: Legal Tribune Online, 01.10.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1601 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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