Bild- und Tonaufnahmen sind während der Gerichtsverhandlung verboten. Bisher. Nach einem Beschuss der Justizminister soll sich das jedoch künftig ändern. Über das Pro- und Contra debattieren Hendrik Wieduwilt und Lucie Gerhardt.
Als der mutmaßliche Charleston-Attentäter vor dem Haftrichter stand und Hinterbliebene ihm schluchzend vergaben, war das sehr amerikanisch. Wir sind in Deutschland medial zurückhaltender. Wer sich daher für mehr TV im Gerichtssaal ausspricht, bekommt meist erst einmal Gegenwind. Dabei können Kameras und Tonaufnahmen der Justiz zu ihrem guten Recht verhelfen: Mehr Aufmerksamkeit.
Nachrichten werden bewegter
Ja, wir brauchen mehr Kameras im Gerichtssaal. Die Medienwelt ist bekanntlich im Wandel. Gerichte kämpfen mit einer nie da gewesene Medienflut um Aufmerksamkeit. Nachrichten werden bewegter und visueller, das verdrängt reinen Text. Recht und Justiz sind nicht Debattenthemen allein des Edeljournalismus‘, während der Pöbel sich sein Bild von der Justiz mit Hilfe von "Better call Saul" macht. Urteile ergehen im Namen des (ganzen) Volkes, und das Volk schaut nun einmal am liebsten Video.
Selbst der Kameraschwenk über die spektakulären Aufgänge des Berliner Amtsgerichts Mitte nutzt sich irgendwann ab. Wenn Gerichte weiterhin effektiv Rechtsfrieden stiften sollen, müssen sie Bilder produzieren – das ist eine unbequeme, aber erfreulich leicht erkennbare Tatsache.
Die Justizministerkonferenz geht hier einen behutsamen Schritt in die richtige Richtung. So soll zunächst nur um die Verkündung der Entscheidungen oberster Gerichte gehen, die Tonübertragung für Journalisten in einen Nebenraum sowie die Tonaufzeichnung zeitgeschichtlich wichtiger Gerichtsverhandlungen.
Richter haben nichts zu befürchten
Die Urteilsübertragung muss den Betroffenen, auch angeklagten Top-Managern, nicht schaden. Ein Prozess ist medialer Katalysator, er funktioniert in beide Richtungen – nur rückwärts geht es dann ohnehin nicht mehr. Ein Auftritt vor Gericht verleiht kommunikative Wucht. Man muss sie anders nutzen, als für eine als Victory-Zeichen deutbare Fingerübung, wie Josef Ackermann vermutlich lebendig zu schildern weiß. Die PR-"Strategie" Kopf-in-den-Sand ist inzwischen nur noch ein Weg unter vielen, nicht das Allheilmittel, das es vor zwanzig Jahren vielleicht noch war.
Ein weiteres vermeintliches Opfer der Medialisierung sind die Richter – doch auch sie müssen sich nicht fürchten. Wenn sie ihre Sätze nur lang genug spindeln, ist davon exakt nichts sendefähig. Das weiß jeder, der einmal im Übertragungswagen in Karlsruhe saß und einen Beitrag über das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) schneiden musste. Wenn Richter ihre Sache hingegen gut machen, machen sie ihren Spruchkörper bekannt und anerkannt. Eine gute Sache für Richteransehen und Justizvertrauen.
Um Zeugen geht es hier nur, soweit Tonaufzeichnungen zeitgeschichtlicher Art gemeint sind – das scheint tatsächlich eine etwas heikle Idee zu sein, aber vor allem wegen der üblen Angewohnheit von Daten, sich mit Hilfe von Hackern oder Informationsfreiheitsanträgen in alle Winde zu zerstreuen.
Ein Saal voller Unverständnis
Den Medienvertretern mehr Arbeitsräume durch Tonübertragung zu verschaffen, ist wiederum ein segensreicher Gedanke. Platzmangel für Journalisten hat mir die vielleicht schwersten Minuten der Berufstätigkeit bereitet: Im März 2013 blickte ich als Pressesprecher der damaligen Bundesjustizministerin in einen Saal voll Unverständnis, Zorn und Frustration, weil das OLG München zu wenig Platz für türkische Redakteure hatte – ausgerechnet beim NSU-Prozess. Die Bundespressekonferenz transportierte die öffentliche Erwartung, dass die Ministerin endlich "durchgriff", was diese, natürlich, nicht konnte (Unabhängigkeit der Justiz). Es war eine Posse, die erst durch das BVerfG beendet wurde. Kein Redakteur oder sonstiger Bürger hat Verständnis für zu kleine Räume im Informationszeitalter.
Natürlich gibt es Widerstand. Die Juristenzunft ist nicht grad für ihre Dynamik bekannt – die elektronische Akte kommt im Jahr 2018, wenn also viele Wachtmeister die Aktenstapel bereits mit dem Hoverboard über die Flure transportieren. Und als den ersten Betroffenen aufging, dass ein Prozess als Medienereignis auch außerhalb des rechtlichen professionell begleitet werden sollte ("Litigation PR"), war die Hysterie im Justizapparat erst einmal groß – "Sturmangriff auf die Rechtsfindung", hieß es noch im Jahr 2009.
Mehr als Voßkuhle
Inzwischen hat sich die Rechtsfindung mit den PR-Leuten im Großen und Ganzen abgefunden. Es gibt an den meisten größeren Gerichten Pressestellen. Negatives gibt es eigentlich nur von den Ermittlern zu vermelden: In Mecklenburg-Vorpommern entdecken die Staatsanwälte dieser Tage Öffentlichkeitsarbeit für sich, mit der Eleganz einer Abrissbirne. In Niedersachsen plant die Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz wiederum, die überbordende PR-Arbeit Ihrer Staatsanwälte durch einen Compliance-Beauftragten wieder einzufangen. Dass es verfälschte Urteile oder schräge Berichterstattung gab, weil der Präsident des BVerfG Andreas Voßkuhle im Fernsehen oder ein PR-Mensch vor dem Verhandlungssaal zu sehen war, ist dagegen nicht bekannt.
Bekannt sind dagegen die feinfühligen Ausführungen des Richters im Fall Tugce, die allerdings als dürres Textzitat kaum eine Chance hatten, die medialen Dramatisierungen im Vorwege wieder auszutarieren.
Bekannt ist weiterhin, dass das BVerfG eine der beliebtesten politischen Institutionen ist und im Schnitt knapp eine Million TV-Zuschauer einschalten, wenn die Richter in Rot aus der Tür auf ihre Plätze defilieren. Die demokratische Legitimation der Karlsruher Spitzenrichter ist im Verhältnis zu ihrer Wirkmacht indes eher dünn und Gegenstand vielfältiger Anwürfe - wäre es nicht auch deshalb höchste Zeit, dass sich Voßkuhle und sein Team die Medienaufmerksamkeit mit anderen Gerichten teilen?
Der Autor Dr. Hendrik Wieduwilt ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Härting Rechtsanwälte.
Kameras in Gerichtssälen: . In: Legal Tribune Online, 30.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16028 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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