Der internationale Menschenhandel boomt, mit Zwangsprostitution und illegaler Arbeitsausbeutung lässt sich viel Geld verdienen. 2005 hat der Europarat deshalb verbindliche Rechte zum Opferschutz festgelegt – doch die Bundesregierung sieht keinen Bedarf, das Abkommen über die bloße Ratifizierung hinaus in nationales Recht umzusetzen. Ein fatales Signal, meint Julia Schieber.
Der grenzüberschreitende Menschenhandel ist ein schnell wachsender Markt. Nach Schätzungen der International Labour Organization sind weltweit mehr als 12 Millionen Erwachsene und Kinder Opfer von Zwangsprostitution, illegalem Organhandel und Zwangsarbeit. In Deutschland wurden im Jahr 2010 knapp 1.500 Fälle gemeldet, wobei die Dunkelziffer vermutlich bedeutend höher ist.
Dabei ist das Geschäft mit der Ware Mensch äußerst lukrativ. Interpol schätzt, dass der Umsatz jährlich mehrere Milliarden US-Dollar beträgt. Nach Drogenschmuggel und Waffenhandel stellt der Menschenhandel mittlerweile die drittgrößte Einnahmequelle der organisierten Kriminalität dar.
Angesichts dieser Entwicklung hatte der Europarat 2005 ein Übereinkommen zur Bekämpfung der modernen Skalverei verabschiedet, das mit dem von der Bundesregierung nun vorgelegten Gesetzentwurf ratifiziert werden soll. Dabei gehört Deutschland zu den Schlusslichtern, bereits 35 Staaten des Europarats hatten diesen Schritt bereits getan. Grund für Optimismus im Kampf gegen den Menschenhandel bietet der aktuelle Gesetzentwurf allerdings nicht, denn die Bundesregierung hat erklärt, dass sie das Übereinkommen des Europarats zwar ratifizieren will, aber keinen konkreten Umsetzungsbedarf sieht, um die wirksame Anwendung des Abkommens in Deutschland sicherzustellen. Begründung: Das Abkommen sei bereits heute im geltenden Recht verwirklicht.
Abkommen pocht auf Achtung des Opferstatus durch die Behörden
Tatsächlich werden bei der Politik gegen den Menschenhandel drei verschiedene Dimensionen unterschieden: Strafverfolgung, Schutzmaßnahmen für die Opfer und Prävention. Während andere internationale Übereinkommen die strafrechtliche Bekämpfung des Menschenhandels im Blick haben, stellt das Abkommen des Europarats erstmals die Rechte der Opfer in den Mittelpunkt eines völkerrechtlichen Vertrages.
Dieser sieht vor, dass Opfer moderner Skalverei als solche anerkannt werden müssen, um eine Behandlung als illegale Einwanderer oder Kriminelle durch die Polizei oder Behörden zu vermeiden. Zudem sollen sie materielle Unterstützung sowie psychologische und medizinische Betreuung erhalten.
Wird eine Person als Opfer identifiziert, so steht ihr eine Erholungs- und Bedenkzeit von 30 Tagen zu, um sich dem Einfluss der Täter zu entziehen und darüber zu entscheiden, ob sie mit den Behörden bei der Ermittlung oder Strafverfolgung des Täters zusammenarbeitet. Ausländische Opfer sollen darüber hinaus ein Aufenthaltsrecht erhalten, wenn ihre persönliche Situation dies erfordert oder ihre Anwesenheit und Kooperation mit den Behörden bei der Strafverfolgung des Täters erforderlich sind.
Opferschutz und Strafverfolgung müssen Hand in Hand gehen
Was nun die Einschätzung der Bundesregierung angeht, so ist richtig , dass ausländische Opfer von Menschenhandel nach § 25 Abs. 4a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) ein Aufenthaltsrecht in Deutschland erlangen können, wenn sie sich bereit erklären, in einem Strafverfahren gegen die Täter als Zeugen auszusagen. Im Übrigen kann ihnen im Rahmen der allgemeinen Regelungen ein Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen erteilt oder materielle und medizinische Unterstützung gewährt werden.
Damit wird jedoch kaum das Anliegen des Ankommens, nämlich die Rechte der Opfer zu stärken, erreicht: Das Aufenthaltsrecht nach § 25 Abs. 4a AufenthG dient in erster Linie der strafrechtlichen Bekämpfung des Menschenhandels und nicht dem Opferschutz. Es besteht nur für die Dauer eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens. Wird das Verfahren eingestellt oder beendet, entfällt damit also auch das Aufenthaltsrecht.
Dass jedoch Opferschutz und Strafverfolgung notwendigerweise Hand in Hand gehen müssen, zeigen die Zahlen: Ende 2010 verfügten gerade mal 54 Personen über ein Aufenthaltsrecht nach § 25 Abs. 4a AufenthG. Dies steht in krassem Gegensatz dazu, dass jedes Jahr bis zu 2.000 neue Opfer von moderner Sklaverei identifiziert werden. Ein Grund für dieses Missverhältnis liegt darin, dass nur die wenigsten Betroffenen bereit sind, gegen ihre Ausbeuter auszusagen, ohne als Gegenleistung eine dauerhafte Aufenthaltsperspektive in Deutschland zu erhalten - zu groß ist die Angst vor Mittätern oder Mittelsmännern im Herkunftsstaat.
Experten beklagen zudem die mangelnde Sensibilität der Behörden im Umgang mit Opfern von Menschenhandel. Dies könnte sich ändern, wenn die Politik nicht nur auf die allgemeinen Vorschriften zur Gewährung humanitärer Aufenthaltstitel und sozialer Leistungen verweist, sondern vielmehr spezifische Rechte für die Betroffenen schafft.
Es mag sein, dass sich aus dem Abkommen des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels für Deutschland keine über das geltende Recht hinausgehenden konkreten Verpflichtungen ergeben. Dies liegt schon daran, dass das Abkommen – typisch für einen völkerrechtlichen Vertrag – den Vertragsstaaten weitreichende Handlungsspielräume belässt. Einen wirksamen Opferschutz garantiert das geltende Recht jedoch nicht. Will die Bundesregierung nicht nur Symbolpolitik betreiben, sollte sie also dringend noch einmal nachlegen. Spezifische Rechte für Opfer des Menschenhandels wären hierbei ein wichtiger Schritt.
Julia Schieber ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungszentrum Ausländer- und Asylrecht an der Universität Konstanz.
Gesetzentwurf zum Umgang mit Menschenhandel: . In: Legal Tribune Online, 27.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5874 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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