Fusion von Gesetzentwürfen im Bundestag: Kommt die Neu­re­ge­lung zur Sui­zid­hilfe jetzt ganz sch­nell?

Gastbeitrag von Anne Baldauf, M.mel.

13.06.2023

Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf selbstbestimmtes Sterben wird über eine Neuregelung der Suizidhilfe diskutiert. Von drei Gesetzentwürfen sind noch zwei geblieben.

Zwei Abgeordnetengruppen führen ihre jeweiligen Entwürfe zu einem gemeinsamen zusammen, womit die Diskussion über eine Neuregelung der Suizidhilfe wieder neu Fahrt aufnimmt. Das wurde am Dienstag auf der Bundespressekonferenz in Berlin vorgestellt. Bereits im Februar 2020 erklärte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) für verfassungswidrig und betonte ein grundrechtlich geschütztes Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Seitdem gibt es zwar Diskussionen, aber keine neue Regelung. In der aktuellen Legislaturperiode gab es bisher drei Gesetzentwürfe, wovon nun zwei zusammengelegt wurden: Der um die Abgeordnete Katrin Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast (Bündnis 90/ Die Grünen). Daneben gibt es einen weiteren Entwurf um den SPD-Politiker Lars Castellucci. Etwa vor einem Jahr hat der Bundestag über die Entwürfe debattiert. Nun könnte schon ganz bald über den neuen Entwurf abgestimmt werden.

Die früheren Entwürfe

Der Entwurf um die Abgeordnete Katrin Helling-Plahr (BT-Drs. 20/2332) sah ein Gesetz zur Neuregelung der Suizidhilfe vor. Danach musste unter anderem eine freiverantwortliche Entscheidung vorliegen, die durch eine Beratung abgesichert wurde. Der vom Bundesgesundheitsminister Dr. Karl Lauterbach unterstützte Entwurf galt dabei als einer der Liberalen. Darunter reihte sich auch der Entwurf um die Abgeordnete Renate Künast (BT-Drs. 20/2293) ein, der ein Gesetz zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben vorsah. Danach sollte die Suizidhilfe unter verschiedenen Voraussetzungen zulässig sein. Im Gegensatz zum erstgenannten Entwurf war hier bei den Voraussetzungen allerdings eine Differenzierung vorgesehen zwischen Menschen, die sich in einer medizinischen Notlage befinden und solchen, die sich aus anderen Gründen suizidieren wollen. Gleichzeitig enthielt der Gesetzentwurf auch Strafvorschriften und Ordnungswidrigkeiten, die der erstgenannte gerade nicht vorsah.

"Beide Gruppen einte eine Grundhaltung"

Der neue Entwurf ist ein Zusammenspiel der beiden vorherigen Entwürfe. So stellte Helling-Plahr am Dienstag dar, dass es zwar unterschiedliche Vorstellungen gab, allerdings beide Gruppen eines im Blick hatten: Suizidhilfe braucht Menschlichkeit und keine Verbote. Dementsprechend orientierte man sich an einem gemeinsamen Leitbild und konnte sich nach monatelangen Bemühungen auf einen gemeinsamen Entwurf einigen.

§ 1 des Entwurfs formuliert diesen Leitgedanken: Jeder, der aus einem autonom gebildeten freien Willen heraus sein Leben eigenhändig beenden möchte, hat das Recht, hierbei Hilfe in Anspruch zu nehmen. Suizidwillige sollen sich danach an einen Arzt ihres Vertrauens wenden und bei Vorliegen der vorgesehenen Voraussetzungen ein entsprechendes Medikament erhalten können. Im Mittelpunkt stehe der autonome Wille. Die Vorgaben des BVerfG zur Freiverantwortlichkeit wurden in § 3 des Entwurfs eingearbeitet. Wichtig sei zudem, dass Suizidhilfe freiwillig ist und niemand dazu verpflichtet werden kann, womit ein Leitsatz aus dem Urteil des BVerfG übernommen wird. Ebenso ist ein Diskriminierungsverbot gegenüber Menschen vorgesehen, die Hilfe anbieten wollen, sodass sie keine beruflichen Nachteile erleiden (z.B. eine Kündigung).

Beratungsstellen und ärztliche Beteiligung im Fokus

Ein zentraler Regelungsgedanke bleibt die Einbindung von Beratungsstellen: Die suizidwillige Person benötigt eine Bescheinigung über eine Beratung, bevor ein entsprechendes Mittel verschrieben werden kann. Die §§ 4, 5 des Entwurfs bilden den Rahmen für das Recht auf Beratung: Als präventiver Gedanke soll insbesondere die Aufklärung über Alternativen im Mittelpunkt stehen. Wichtig sei zudem, dass es sich nur um anerkannte Beratungsstellen handeln dürfe, bei denen allein fachlich qualifiziertes Personal tätig wird. Ein materielles Interesse darf nicht verfolgt werden. Man wolle sich dabei an dem Konzept der Schwangerschaftskonfliktberatung orientieren, das seine Wirksamkeit in der Vergangenheit bereits bewiesen hätte. Eine ärztliche Person kann aufgesucht werden (§ 6), sobald die Bescheinigung vorliegt, die mindestens drei und höchstens zwölf Wochen alt sein darf. Dadurch solle ein Zeitrahmen des Nachdenkens geschaffen werden. Die ärztliche Person hat zudem eine Aufklärungspflicht.

Nur wenn es einer Person nicht gelingt, einen unterstützungsbereiten Arzt zu finden, kann sie sich an eine von der Landesbehörde genannte Stelle richten. Damit steht die ärztliche Beteiligung im Fokus und erteilt einer reinen Behördenentscheidung – wie sie im früheren Entwurf von Künast in einem der Verfahren vorgesehen war – eine Absage. Auf Nachfrage lehnte Petra Sitte – die Politikerin der Linken unterstützt den Entwurf von Helling-Plahr– Zweifel an der zentralen Rolle der Ärzteschaft ab: Nach einer neuen Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin gebe es starke Indizien dafür, dass es inzwischen mehr Befürworter gibt. Aufgrund der fachlichen Eignung halte man viel von diesem Konzept. Man sehe laut Helling-Plahr eine Suizidhilfe in einem vertrauten Arzt-Patienten-Verhältnis.

Differenzierung bleibt, nur anders als bisher

Von der eben beschriebenen Vorgehensweise gibt es eine entscheidende Ausnahme, denn der fusionierte Entwurf sieht weiterhin eine Differenzierung zwischen zwei Verfahren vor – nur etwas anders als bisher im Entwurf von Künast. Bei Härtefällen gehören nach § 7 des Entwurfs der Besuch einer Beratungsstelle und eine ausgestellte Bescheinigung sowie die Wartefrist nicht zum Pflichtprogramm. Stattdessen bedarf es eines weiteren weisungsungebundenen Arztes, der das Vorliegen eines Härtefalles bestätigt. Ein solcher Härtefall liegt vor, wenn sich die suizidwillige Person gegenwärtig in einem existenziellen Leidenszustand mit anhaltenden Symptomen, die die Person in ihrer gesamten Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen, befindet oder in absehbarer Zeit befinden wird und insbesondere bei Vorliegen einer nicht heilbaren, fortschreitenden oder weit fortgeschrittenen Erkrankung mit zugleich begrenzter Lebenserwartung. Palliativfälle sollen stets darunter fallen.

Bei der Handhabung mit Minderjährigen habe sich die Abgeordnetengruppe um Künast durchgesetzt: Für Minderjährige ist eine Suizidhilfe nach beiden Verfahren ausgeschlossen. Für sie bliebe allerdings jederzeit die Möglichkeit, eine Beratungsstelle aufzusuchen.

Darf keine "Gewinnveranstaltung" für Sterbehilfevereine werden

Nach den Angaben aus der Bundespressekonferenz haben Sterbehilfevereine zunächst nicht so viel zu befürchten. Seit Beginn der Debatte bildeten sie einen zentralen Diskussionspunkt wegen der Sorge um eine Kommerzialisierung und Normalisierung der Suizidhilfe. Im Entwurf ist zunächst nur eine Übergangsregelung für die Beratungspflicht vorgesehen. Von Bedeutung sei, dass es keine "Gewinnveranstaltung" werden solle. Im Übrigen erhalte die Bundesregierung die Ermächtigung zur näheren Regelung, insbesondere über Dokumentations- und Meldepflichten. Zu starke Einschränkungen wären laut Sitte nicht mit den Vorgaben des BVerfG vereinbar.

Den Verfasser:innen des Entwurfs sei es wichtig, dass das unentgeltliche Beratungsangebot und die insgesamt liberale Regelung dazu führen, dass kein Bedarf mehr besteht, einen Sterbehilfeverein aufzusuchen. Die soziale Situation solle kein relevanter Umstand mehr sein, wenn es um die Inanspruchnahme einer Suizidhilfe geht. Damit spielt Linken-Politikerin Sitte auf die Kosten an, die bei einem Sterbehilfeverein fällig werden.

Eigener Antrag zur Suizidprävention

Eine weitere Neuigkeit bildete die Ankündigung, dass die Abgeordnetengruppe einen Präventionsantrag geschrieben habe, der von Respekt gegenüber einer autonomen selbstbestimmten Entscheidung getragen sei. Dabei werde eine Nationale Strategie eingefordert: Bis Januar 2024 solle ein Konzept über eine Informationskampagne vorliegen, die insbesondere auf Jugendliche und Senioren zugeschnitten werden soll. Daneben sollen bis zum Juni 2024 Beratungshilfsangebote diskutiert und erweitert werden, sodass etwa Weiterbildungsprogramme für Hausärzte angeboten werden können. Damit ziehen sie mit ihren Konkurrent*innen gleich, die bereits zu Beginn des vergangenen Jahres einen Antrag zum Thema "Suizidprävention stärken und selbstbestimmtes Leben ermöglichen" (BT-Drs. 20/1121) vorstellten.

Der Konkurrenzentwurf: "Wie soll man damit umgehen, wenn man erstmal einen Straftatbestand erfüllt?"

Nicht nur dem Suizidpräventionsantrag, sondern auch dem restriktiven Entwurf um den SPD-Politiker Lars Castellucci (BT-Drs. 20/904) haben die heutigen Redner:innen mit ihrer Mitteilung den Kampf angesagt. Dieser will § 217 StGB neu regeln und dabei den alten Tatbestand übernehmen, der im Februar 2020 vom BVerfG als verfassungswidrig erklärt wurde. Danach bliebe die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung grundsätzlich strafbar. Neu ist hingegen eine Ausnahmeregelung im zweiten Absatz. Er gilt als der strengste Entwurf in der Debatte um die Neuregelung der Suizidhilfe und sei nach heutiger Einschätzung von Nina Scheer (SPD) verfassungswidrig. Auch die übrigen Beteiligten äußerten ihre Bedenken, weil erneut die Strafbarkeit und die Geschäftsmäßigkeit den Ausgangspunkt bildeten und hohe Hürden bewältigt werden müssten. Während der jeweils vorherige Entwurf von Helling-Plahr bisher 69 und der von Künast 45 Unterzeichner:innen gefunden hat, wurde der Entwurf von Castellucci bereits von 111 Abgeordneten unterzeichnet. Die Rechnung könnte gemessen an diesen Zahlen aufgehen: Durch die Fusionierung ist eine Mehrheit des gemeinsamen liberalen Entwurfs denkbar.

Endspurt vor der Sommerpause

Es sieht so aus, als würde die Neuregelung der Suizidhilfe nun doch schneller kommen als erwartet. Laut den heutigen Angaben soll es noch am letzten Plenartag vor der Sommerpause zu einem Abschluss kommen. Die verbleibende Zeit wolle man nun nutzen, um für weitere Unterstützung zu werben. Die Nachfrage der Presse zur Anzahl der Unterstützenden wurde dabei zwar nicht konkret beantwortet. Man gehe aber davon aus, dass sich einige Abgeordnete, die vorher zwischen den beiden liberalen Entwürfen standen und sich eine Fusionierung wünschten, nun für diesen Entwurf entscheiden werden. Kolleg:innen aus der Union habe man bisher nicht überzeugen könne, man freue sich aber über jeden, der sich anschließt. Letztlich muss aber auch der Bundesrat überzeugt werden, denn die Einrichtung von Beratungsstellen durch die Bundesländer löse eine Zustimmungspflicht aus. Man würde sich allerdings wundern, wenn sich der Bundesrat weigern würde.

Mit der heutigen Ankündigung haben die Abgeordneten für neuen Wind in der Debatte um die Neuregelung der Suizidhilfe gesorgt. Es bleibt spannend, ob es noch vor der Sommerpause zur geplanten Abstimmung kommt und wenn ja, wie diese ausgehen wird.

 

Anne Baldauf ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie und Doktorandin an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Sie hat außerdem einen Masterabschluss im Studiengang Medizin-Ethik-Recht (M.mel.).

Zitiervorschlag

Fusion von Gesetzentwürfen im Bundestag: . In: Legal Tribune Online, 13.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51986 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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