Die Proteste am israelischen Unabhängigkeitstag könnten ein Vorgeschmack darauf sein, was passiert, falls der von Palästinenserpräsident Abbas für September geplante Mitgliedschaftsantrag bei der UNO scheitert. Und das ist durchaus denkbar: Schon lange wird darüber gestritten, ob Palästina die notwendigen Voraussetzungen eines Staats erfüllt. Von Przemyslaw Roguski.
Noch Anfang Mai hatten sich auf Vermittlung des US-amerikanischen Präsidenten Obama Israel und die Palästinenser darauf geeinigt, bis September des Jahres einen umfassenden Friedensvertrag abzuschließen, der die gegenseitigen Streitigkeiten lösen und die Gründung eines Palästinenserstaates ermöglichen soll. Zuletzt war der Friedensprozess wegen des Baus israelischer Siedlungen in den Palästinensergebieten ins Stocken geraten; die jüngsten Ausschreitungen an Israels Grenzen und in Kairo haben nun die Lage noch prekärer gemacht.
Für den Fall, dass bis zum Herbst kein Friedensvertrag zustande kommt, hatte der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, bereits nach den Gesprächen mit der israelischen Regierung angekündigt, einen Antrag auf Mitgliedschaft Palästinas in den Vereinten Nationen (UN) zu stellen.
Die UN-Mitgliedschaft soll eine eindeutige Lösung der Frage nach dem Status der Palästinensergebiete bringen – zugunsten der Staatlichkeit Palästinas. Tatsächlich ist die Aufnahme Palästinas in die UN nicht nur politisch, sondern auch juristisch alles andere als sicher.
Auf Abstimmung im Sicherheitsrat kommt es an
Die Aufnahme neuer Mitglieder in die UN wird durch Art. 4 der Charta der Vereinten Nationen (UN-Charta) geregelt. Demnach können solche Staaten aufgenommen werden, die friedliebend sind, die Verpflichtungen aus der UN-Charta übernehmen und auch fähig und willens sind, diese Verpflichtungen zu erfüllen.
Die Aufnahmeprozedur beginnt mit der Zuleitung eines Mitgliedschaftsantrags an den UN-Generalsekretär. Daraufhin prüft der Sicherheitsrat, ob die Aufnahmevoraussetzungen des Art. 4 UN-Charta vorliegen. Dies kann auch durch ein speziell dafür bestelltes Aufnahmekomitee geschehen.
Kommt der Sicherheitsrat zu dem Schluss, dass die Aufnahmevoraussetzungen erfüllt sind, spricht er gegenüber der Generalversammlung eine Empfehlung aus. Die Generalversammlung kann das Vorliegen der Mitgliedschaftsvoraussetzungen erneut prüfen und beschließt mit einer Zweidrittelmehrheit der anwesenden und abstimmenden Mitglieder über die Aufnahme.
Aufgrund jahrelanger diplomatischer Aktivitäten sind die Palästinenser zuversichtlich, die notwendige Stimmenmehrheit in der Generalversammlung zu erreichen. Da die Generalversammlung jedoch nur auf Empfehlung des Sicherheitsrates handeln kann, kommt es entscheidend auf das Abstimmungsverhalten in diesem Gremium an. Eine solche Empfehlung kann nämlich von jeder der fünf Vetomächte blockiert werden, also auch von den USA, die bisher stets auf der Seite Israels standen.
Palästina hat unbestritten ein "Staatsvolk"
Abgesehen von der politischen Dimension dürfte im Falle einer Antragstellung aber vor allem darüber gestritten werden, ob Palästina überhaupt die Mitgliedschaftsvoraussetzungen erfüllt. Denn wie bereits erläutert können nur Staaten in die UN aufgenommen werden. Es ist allerdings fraglich, ob Palästina bereits jetzt ein eigenständiger Staat ist oder es zumindest im September 2011 nach einer möglichen Unabhängigkeitserklärung sein wird.
Die Staatsqualität bestimmt sich im Völkerrecht nach der so genannten Drei-Elemente-Lehre. Demnach liegt ein Staat dann vor, wenn ein Staatsvolk auf einem eigenen Staatsgebiet lebt und über dieses Staatsgebiet sowohl nach innen, als auch nach außen eine effektive Staatsgewalt ausüben kann.
Unumstritten ist im Falle Palästinas lediglich eines der drei genannten Elemente: Die Palästinenser sind offenkundig ein eigenes Volk, das sich auf sein Selbstbestimmungsrecht berufen kann. Problematisch ist dagegen schon die Frage nach dem Staatsgebiet. Zum einen sind die Palästinensergebiete in den Gaza-Streifen und die Westbank fragmentiert, zum anderen besteht Uneinigkeit über die Grenzen zwischen Palästina und Israel. Diese Frage wurde bei den Oslo-Abkommen von 1993 bewusst ausgeklammert und ist bisher nicht gelöst.
Bezüglich des Staatsgebiets haben die Palästinenser dennoch gute Argumente. Die Fragmentierung eines Territoriums hat keinen Einfluss auf die Bestimmung des Staatsgebiets, denn dieses muss nicht in sich geschlossen sein. Zudem hat der Internationale Gerichtshof (IGH) entschieden, dass Streitigkeiten über den Grenzverlauf die Staatsqualität nicht beeinträchtigen. Allerdings muss zumindest ein unbestrittenes Kerngebiet vorhanden sein, welches in der Westbank um Ramallah und Jericho liegen dürfte.
Entscheidendes Kriterium ist die Ausübung von Staatsgewalt
Der Hauptstreitpunkt aber wird wohl in der Frage liegen, ob die Palästinenser in völkerrechtlich ausreichendes Maß an Staatsgewalt über die von ihnen bewohnten Gebiete besitzen. Die Staatsgewalt übt die Personal- und Gebietshoheit aus, handelt also als einzige Ordnungsmacht nach innen und vertritt den Staat in seinen Beziehungen mit anderen Staaten.
Problematisch ist hierbei, dass die Palästinenser nur über eine begrenzte Herrschaftsgewalt über die von ihnen bewohnten Gebiete verfügen. In den Oslo-Abkommen hat Israel nur einem Teil der Gebiete im Westjordanland und dem Gaza-Streifen eine begrenzte Autonomie gewährt. Die Befugnisse der Palästinensischen Autonomiebehörde sind lediglich auf die im Autonomieabkommen von Israel übertragenen beschränkt. Wichtige Aspekte der Staatsgewalt, insbesondere die äußere Sicherheit, verbleiben auch nach der Räumung des Gaza-Streifens bei Israel.
Die Vereinten Nationen haben auch bereits mehrmals Anträge auf Mitgliedschaft wegen fehlender effektiver Staatsgewalt abgelehnt. Allerdings verweisen die Befürworter einer Aufnahme Palästinas in die UN auf eine neuere Staatenpraxis, wonach auch solche territorialen Einheiten als Staaten anerkannt worden sind, die zum Anerkennungszeitpunkt nicht über die volle Staatsgewalt verfügten. Als Beispiele werden hier etwa Bosnien-Herzegowina, Ost-Timor oder das Kosovo genannt.
Die Staatseigenschaft Palästinas könne nicht vom Willen Israels abhängig gemacht werden, das seit 1967 in den Palästinensergebieten die Funktionen einer Besatzungsmacht ausübt. Zum einen habe eine Okkupation keine Auswirkung auf staatliche Souveränität, zum anderen kompensiere das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser einen Mangel an effektiver Staatsgewalt.
Anerkennung als Staat keine Lösung der Grenzfrage
Ob diese Argumentation im Ergebnis überzeugen und Palästina tatsächlich in die Vereinten Nationen aufgenommen werden wird, ist allerdings ungewiss.
Aus politischer Sicht würde eine Mitgliedschaft und die damit einhergehende Anerkennung als Staat in jedem Fall einen Sieg für die Palästinenser bedeuten. Israel könnte nicht mehr behaupten, bis zu einer finalen Statusentscheidung in den Palästinensergebieten legitime Staatsgewalt auszuüben, sondern wäre vielmehr als Besatzungsmacht einzustufen.
Als Staat könnte Palästina zudem dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) beitreten und so Jurisdiktion über israelische Truppen im Hinblick auf Kriegsverbrechen begründen. Umgekehrt würde eine Mitgliedschaft beim IStGH jedoch auch Palästina dazu verpflichten, Angriffe auf Israel zu ahnden.
Eines kann die UN-Mitgliedschaft und Anerkennung als Staat sicher nicht erreichen, nämlich eine Regelung der Grenzfrage. Dafür ist weiterhin eine Verhandlungslösung notwendig. Für alle Parteien wäre es in jedem Fall wünschenswert, es nicht auf ein Kräftemessen in der UN ankommen zu lassen, sondern die streitigen Probleme in einem umfassenden Abkommen zu lösen.
Der Autor Przemyslaw Nick Roguski, Mag. Iur. ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht, Internationales Wirtschaftsrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
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Przemyslaw Roguski, Geplante UN-Mitgliedschaft Palästinas: . In: Legal Tribune Online, 17.05.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3286 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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