Eltern sind gesetzlich zur Sorge gegenüber ihren Kindern verpflichtet. Hieraus erwachsen Ängste vor Entführungen und Missbrauch, die eine Nachfrage nach digitalen Überwachungsgeboten schaffen. Die Kontrolle erzeugt aber auch neue Gefahren. Triebtäter könnten die Daten zur Ausspähung ihrer Opfer nutzen. Hier hilft nur das Datenschutzrecht, meint Stephan Gärtner.
Die Newsseite heute.de berichtet am 13. November über ein neuartiges Phänomen "elterlicher Sorge". Darin erklärt der Fachjournalist Alfred Krüger, dass Eltern mittels moderner Ortungstechnik leicht kontrollieren könnten, wo sich ihre Kinder gerade aufhalten. Diese Überwachungsmentalität ist aus elterlicher Sicht nur allzu verständlich – wenn nicht sogar genetisch vorprogrammiert. Doch damit setzen Eltern ihre Kinder neuen Gefahren aus; möglicherweise ohne dies zu wissen.
Doch die Fakten der Reihe nach: Das Kunstwort Geofencing setzt sich aus den Einzelbegriffen Geographie und fence (engl. für Zaun) zusammen. Hierbei werden Geoinformationen und der Aufenthaltsort eines Objektes derart in Verbindung gebracht, dass bestimmte Konsequenzen ausgelöst werden, wenn das Objekt einen vorab definierten Bereich verlässt.
Die Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig. Einige Anbieter ermöglichen besorgten Eltern die Satellitenortung ihrer Kinder mittels deren Handys. Verlassen die Kinder etwa den vordefinierten Schulweg, schlagen Geofencing-Programme Alarm.
Überwachung fördert Missbrauchsmöglichkeiten
Nun kann eine aufgeregte Debatte zugleich antizipiert und entschärft werden. Datenschützer wollen einen Ausgleich schaffen zwischen legitimer Überwachung und dem Schutz der dabei aufgezeichneten Daten. Viele aufgeregte Stammtische werden rufen: Wieder einmal verhindern Datenschützer wichtige Schutzmaßnahmen, etwa diejenigen zur Sicherheit von Kindern. Diese Unkenrufe sind aber unbegründet.
Denn das Datenschutzrecht kommt dann nicht zur Anwendung, wenn der Umgang mit den Informationen ausschließlich für familiäre Tätigkeiten erfolgt (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 Bundesdatenschutzgesetz, BDSG).
Dieses Ausschlusskriterium greift hier aber nicht und dies aus gutem Grund. Denn beim Geofencing werden die Aufenthaltsorte der Kinder erhoben, gespeichert, übermittelt und genutzt; und zwar nicht von den Eltern, sondern von Dritten. Also verlassen die Kinderdaten den Kreis der Familie und werden von großen Unternehmen wahrgenommen.
Was nur wenige bedenken: Diese Daten könnten missbraucht werden; schlimmstenfalls vom nächsten Sexualstraftäter. Der muss künftig Kinder nicht mehr in der Öffentlichkeit ausspähen, er kann bequem die übertragenen Handyortungsdaten abfangen und weiß, wo seine potentiellen Opfer sind.
Datenschutzrecht "zum Schutz der Kinder" anwendbar?
Gerade deshalb müsste das Datenschutzrecht hier anwendbar sein. Insbesondere, um diese Missbrauchsgefahr abzuwehren. Hierin ist ein wichtiges Beispiel zu sehen, warum Datenschutz keinem Selbstzweck, sondern dem Schutz von Personen dient.
Bei der Überwachung der Kinder werden deren Daten erhoben, verarbeitet und genutzt. Daher unterfällt dieser Vorgang dem so genannten datenschutzrechtlichen Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Hiernach ist jeder Datenumgang verboten (=Regelfall), es sei denn, es gibt eine Rechtsgrundlage (=Ausnahme).
Als Rechtsgrundlage könnte § 1626 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) herhalten. Denn hiernach sind die Eltern sogar verpflichtet, auf ihre Kinder zu achten. Aber insbesondere der Begriff der Personensorge ist auslegungsbedürftig. Eine Maßnahme ist hiernach nur gerechtfertigt, wenn diese verhältnismäßig ist. In juristischer Betrachtung wird deshalb verlangt werden müssen, dass das Geofencing geeignet zum Kinderschutz, hierfür erforderlich und im Ergebnis angemessen ist.
Die Hersteller müssen Informationssicherheit gewährleisten
Bereits die Eignung kann bezweifelt werden. Ausweislich des ZDF-Beitrages meint Maria Vornholt, Psychotherapeutin, dass durch moderne Ortungssysteme ein Schutz vor Missbrauch kaum möglich sei. Diese Gefahr setze nämlich voraus, dass das größte Risiko für Gewalttaten gegenüber Kindern bestünde, wenn sie unterwegs sind. Dies sei falsch, so die Psychologin. Die meisten Täter kämen aus dem näheren Umfeld der Kinder. Aber auch in der Abwägung mit den Persönlichkeitsrechten der Kinder wird man annehmen müssen, dass diese mit steigendem Alter die elterliche Sorge zurückdrängen. Wieder einmal muss also der Einzelfall entscheiden.
Doch selbst wenn eine Rechtfertigung im individuellen Fall bestünde, sind die Eltern dazu verpflichtet, die technischen und organisatorischen Maßnahmen zu treffen, die zum Schutz des Datenmissbrauchs erforderlich sind (siehe § 9 BDSG). Dies gilt auch, wenn sie externe Unternehmen damit beauftragten (§ 11 Abs. 1 BDSG).
Mit anderen Worten: Sie müssen verhindern, dass potentielle Sexualstraftäter die Ortungsdaten abfangen und zu ihren Zwecken nutzen. Daher sollten Eltern nur solche Geofencing-Anbieter auswählen, die schon bei der Entwicklung ihrer Überwachungsprodukte den Datenschutz mitbedacht haben. Dieses Konzept heißt "Privacy by design". Das können die Eltern tun. Doch auch die Herstellerseite, die solch datenschutzrechtlich sensiblen Produkte auf den Markt bringen, ist es zu empfehlen, frühzeitig die Sicherheit der erhobenen und verarbeiteten Informationen zu berücksichtigen.
Nur so kann Big Mother beruhigt sein und nicht gegen das Datenschutzrecht verstoßen.
Dr. Stephan Gärtner ist Compliance-Manager bei der ilex Datenschutz GbR und berät hierbei unter anderem Hersteller von IT-Geräten in Datenschutzfragen. Daneben hat ihm die Humboldt Universität im September 2010 den akademischen Grad des Doctor iuris für eine Dissertation im Bereich Datenschutzrecht verliehen.
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Geofencing und Datenschutz: . In: Legal Tribune Online, 16.11.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4816 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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