Ab Oktober müssen alle Gasverbraucher eine Umlage zahlen, von der nur wirtschaftlich gefährdete Importeure profitieren sollen. Mögliche Trittbrettfahrer sollen ausgeschlossen werden. Ohne Gesetzesänderung geht das nicht, meint Martin Burgi.
LTO: Herr Prof. Dr. Burgi, die Bundesregierung hat Anfang August die Verordnung über eine zeitlich befristete Gas-Umlage für sichere Wärmeversorgung im Herbst und Winter erlassen. Nun hagelt es Kritik. Worum gehts?
Prof. Dr. Martin Burgi: Nach der Verordnung dürfen Gasimporteure die Mehrkosten, die ihnen die Drosselung der Gaslieferungen aus Russland bescheren, auf die Verbraucher umwälzen. Ziel ist dabei die Rettung von Gastunternehmen, ohne die wir das Gas nicht mehr importieren könnten und ein Problem mit der Versorgungssicherheit bekämen.
An der Ausgestaltung der VO durch den Bundeswirtschaftsminister entzündete sich allerdings massive Kritik. Die Befürchtung ist, dass auch solche Unternehmen die Umlage für sich beanspruchen, die gar nicht in Not sind. SPD-Chef Lars Klingbeil meinte: "Es kann nicht sein, dass Unternehmen, die in der Krise Milliarden verdient haben, noch Milliarden an Steuergeld kassieren."
Damit liegt Herr Klingbeil allerdings erst einmal falsch. Es handelt sich nämlich nicht um Steuergelder, denn das Geld für die Gasimporteure kommt nicht aus dem Staatshaushalt. Vielmehr hat der Verordnungsgeber aus gutem Grund die Konstruktion einer Umlage gewählt. Die Verbraucher werden zur Kasse gebeten, um die Importeure zu stützen, was wiederum den Verbrauchern zugutekommt, weil der Energiemarkt durch sehr viele komplexe Verhältnisse von mehrfach gestuften Beteiligungen charakterisiert ist. In einem solchen System liegt es nahe, Beträge durchzureichen, um das ganze finanziell innerhalb des Systems zu halten.
EEG-Umlage als Vorbild
Gibt es Vorbilder für diese Konstruktion?
Ja, auf dieser im Grunde genialen Idee beruht auch schon die EEG-Umlage, die dazu dient, die Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energien zu finanzieren. Der Vorteil dieses Systems ist, dass man dafür ein recht weitmaschiges verfassungsrechtliches Kontrollraster hat. Ich kenne auch keine gerichtliche Entscheidung, wonach solche Umlagen verfassungswidrig wäre. Der EuGH hat 2019 bestätigt, dass sich bei der erwähnten EEG-Umlage nicht um eine staatliche Beihilfe handelt.
Hätte die Bundesregierung – wie Herr Klingbeil meint – keine Umlage, sondern eine Steuer beschlossen, wäre das europäische Beihilferecht einschlägig. Dann könnten sich diverse Probleme ergeben. Es würde Zeit kosten und es käme zu Rechtsunsicherheiten – möglicherweise auf Kosten der Versorgungssicherheit der Bevölkerung.
Bei der bis Ende März 2024 angekündigten Absenkung der Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent auf den gesamten Gasverbrauch hat das Europarecht aber sehr wohl eine Rolle gespielt.
An dieser Stelle ja. Eine komplette Abschaffung der Steuer hätte gegen eine EU-Richtlinie verstoßen. Mit der Absenkung auf sieben Prozent hat die Bundesregierung den EU-Mindeststeuersatz in Höhe von fünf Prozent gewahrt. Das europarechtlich Erforderliche ist damit getan.
"Korrekturen verfassungsrechtlich nicht geboten"
Nach der Verordnung in der aktuellen Fassung würden aber ja auch Unternehmen von der Umlage profitieren, die sie wirtschaftlich nicht nötig haben. Welche Änderungen sind geplant und sind diese verfassungsrechtlich geboten?
Minister Robert Habeck plant Korrekturen insofern, als dass Geld aus der Umlage nur die Unternehmen bekommen sollen, die für die Versorgungssicherheit relevant sind und die relevante Lieferausfälle haben. Zudem dürfen die Empfänger keine Boni und Dividenden auszahlen.
Es widerspricht dem Gerechtigkeitsgefühl vieler Menschen, dass es unter den Importeuren Unternehmen gibt, die aufgrund anderer Aktivtäten in ihrem Unternehmens-Portfolio wirtschaftlich zurzeit hervorragend dastehen und trotzdem – Stand jetzt – Anspruch auf die Umlage hätten. Das betrifft allerdings nur eine geringe Anzahl von Importeuren.
Verfassungsrechtlich geboten sind diese Korrekturen nicht, denn im Bereich der Umlagen gilt ein weiter verfassungsrechtlicher Spielraum. Auch Probleme mit dem immer wieder angeführten Gleichheitsgrundsatz sehe ich nicht: Die Umlage-Verordnung beruht auf dem schon 1974 erlassenen Energiesicherungsgesetz (EnSiG). Und dieses stellt ausschließlich darauf ab, ob die Versorgungssicherheit gefährdet ist. Das Gesetz sieht keinerlei soziale Umverteilungs- oder Entlastungsgesichtspunkte vor, die unter dem Aspekt des Gleichheitsgrundsatzes relevant werden könnten. Vielmehr ist es ausschließlich auf die Energiesicherung gerichtet.
Letztlich ist es also eine Frage der politischen Akzeptanz, keine der rechtlichen Durchsetzbarkeit. Ich kann nachvollziehen, dass das Wirtschafsministerium hier nun nachsteuern will.
Was ist rechtlich nötig, um die unerwünschten Profiteure auszuschließen?
Es gibt keine Rechtsprechung oder Präzedenzfälle hierzu. Aber aus meiner Sicht hat sich aber das von Habeck ins Auge gefasste Merkmal der "Systemrelvanz" infolge der Finanzkrise in der Rechtsordnung inzwischen als Differenzierungskategorie durchaus etabliert. Es erscheint mir daher auch in diesem Kontext plausibel, daran anzuknüpfen.
Aus meiner Sicht müssen aber - um Trittbrettfahrer auszuschließen - die Verordnung und das ihr zugrunde liegende Gesetz im Bundestag geändert werden. Denn die einschlägige Ermächtigungsgrundlage nach § 26 Abs.5 EnSiG kennt keine Einschränkungen. Dort heißt es: "Die Anspruchsberechtigten des finanziellen Ausgleichs sind die von der erheblichen Reduzierung der Gasimportmengen nach Deutschland unmittelbar betroffenen Energieversorgungsunternehmen (Gasimporteure)."
Wenn man also künftig Einschränkungen wie "systemrelevant" oder "Gewinne an anderer Stelle" einführt, schafft man zwei neue Eingriffe bzw. Diskriminierungen, die die bisherige gesetzliche Ermächtigung nicht vorsieht.
Passt man das EnSiG nicht entsprechend an, bekommt man ein Problem mit Art. 80 Grundgesetz (GG). Dieser verlangt, dass "Inhalt, Zweck und Ausmaß", der der Bundesregierung erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden musss.
"Es wird Klagen geben"
Das zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat LTO gegenüber erklärt, an der Umsetzung nun mit Hochdruck zu arbeiten und am Ende einen rechtssicheren Weg zu präsentieren. Gleichwohl rechnen Sie mit gerichtlichen Verfahren. Wer wird klagen und besteht die Gefahr, dass damit die Umsetzung gestoppt wird?
Bei so einem komplexen Vorhaben mit erheblicher Belastungswirkung wird es voraussichtlich vor den ordentlichen Gerichten Klagen von denjenigen geben, die zur Kasse gebeten werden. Das kann auch ein großer Endverbraucher sein, also z.B. ein großes Industrieunternehmen mit hohem Gasverbrauch, aber auch Privatverbraucher.
Die könnten dann ihrem Stadtwerk gegenüber sagen: "Wir bezahlen das nicht, weil die zugrundeliegende Verordnung verfassungswidrig ist." Folgt das Gericht dieser Auffassung, würde die Verordnung verworfen. Schließlich besteht bei einer Verordnung keine Vorlagepflicht zur Normenkontrolle an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG).
Ich rechne aber damit, dass sich die Gerichte angesichts des anerkannten Spielraumes des Gesetzgebers bei derartigen Umlagen eher zurücknehmen werden.
Prof. Dr. Martin Burgi ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Umwelt- und Sozialrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Von 2014 bis 2015 war er Vorsitzender der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer. Als Gutachter, Sachverständiger und Prozessvertreter ist er u.a. für Bundes- und Landesministerien sowie für Wirtschaftsunternehmen und -verbände tätig.
Geplante Änderungen bei der Gasumlage: . In: Legal Tribune Online, 01.09.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49500 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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