Am 18. August 2006 trat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in Kraft. Anfängliche Befürchtungen haben sich mittlerweile weitgehend in Rauch aufgelöst. So blieb die prophezeite Klageflut beispielsweise aus. Gleichwohl hat das Gesetz einige mitunter skurrile Früchte hervorgebracht. Ein Geburtstagsgruß mit einem Blick zurück und nach vorn von André Niedostadek.
Fünf Jahre alt wird es nun, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) – ein Gesetz, dessen erklärtes Ziel es ist, Benachteiligungen zu verhindern und zu beseitigen. Bedeutung hat es nicht allein, aber doch vor allem im beruflichen Bereich gewonnen: Wer sich beispielsweise um eine Arbeitsstelle bewirbt, soll nicht aus Gründen der Rasse, wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt werden.
Fünf Jahre, das ist für ein Gesetz kein Alter. Andere Gesetze haben da mehr zu bieten: Das Bürgerliche Gesetzbuch etwa wurde 1896 ausgefertigt – interessanterweise übrigens auch an einem 18. August. Dennoch ist der Geburtstag des AGG in gewisser Weise etwas Besonderes. Denn schon dessen Geburt verlief alles andere als einfach.
Kritik: Diskriminierungsregeln schießen über eigentliches Ziel hinaus
Gleich mehrere Anläufe waren nötig, bevor das AGG am 18. August 2006 überhaupt in Kraft treten konnte. Geburtshelfer war auch hier – wie so oft – das europäische Recht. Es setzte insoweit maßgebliche Impulse, als insgesamt vier europäische Antidiskriminierungsrichtlinien aus den Jahren 2000 bis 2004 umzusetzen waren.
Bei dem eingeschlagenen Weg über das AGG sparten Wirtschaftsverbände ebenso wie Teile der Politik nicht mit Kritik. Während manche den Schutz vor Benachteiligung in dem bereits in Art. 3 des Grundgesetzes verankerten Diskriminierungsverbot sowie in weitere Regelungen zum Schutz bestimmter Gruppen als ausreichend ansahen, hielten andere das Gesetz für ein "bürokratisches Monster" mit handwerklichen Fehlern.
Zudem wurde der Gesetzgeber mit dem Vorwurf konfrontiert, mehr zu regeln, als es das europäische Recht eigentlich verlange und insofern quasi über das Ziel hinauszuschießen. Schon sah man eine regelrechte Klageflut auf die Gerichte zurollen.
So heftig wie er gekommen war, so schnell verflog der politische Sturm allerdings auch wieder. Heute reibt sich lediglich die Rechtswissenschaft beispielsweise noch daran, inwieweit sämtliche europäischen Vorgaben richtig umgesetzt wurden.
Keine Chance für "Geschäftsmodell AGG-Hopping"
Und die Praxis? Die zeigte sich zunächst einmal erstaunt, welche seltsamen Früchte das neue Gesetz hervorbrachte. Während sich die Rahmenbedingungen für die schutzbedürftigen Adressaten zunächst nämlich gar nicht nennenswert verbesserten, sahen sich zahlreiche Unternehmen mit skurrilen Auswüchsen und "Geschäftsmodellen" konfrontiert, wie etwa dem "AGG-Hopping".
Als AGG-Hopper bezeichnet man Bewerber, die sich gezielt auf Stellen bewerben, an denen sie im Grunde gar kein Interesse haben. Sucht ein Unternehmen beispielsweise eine "engagierte Teamassistentin" bewirbt sich ein männlicher AGG-Hopper in der Erwartung abgelehnt zu werden – und damit einen Grund zu haben, sich im juristischen Sinne diskriminiert zu fühlen.
Da ein Einstellungsanspruch nicht besteht und auch gar nicht im Interesse des vermeintlichen Bewerbers liegt, setzt der AGG-Hopper auf eine andere Option, nämlich den Entschädigungsanspruch aufgrund der angeblichen Diskriminierung. Bei einer gesetzlich vorgesehenen Anspruchshöhe von bis zu drei Monatsgehältern offenbarte sich für den einen oder anderen hier eine lukrative Einnahmequelle. Die ist inzwischen allerdings weitgehend versiegt, nachdem verschiedene Gerichte dem Treiben einen Riegel vorgeschoben haben.
Von Deutschkursen und einer ostdeutschen Bewerberin
Inzwischen hat sich die Praxis weitgehend mit dem AGG arrangiert, was einmal mehr belegt: Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Auch die befürchtete Klagewelle ist ausgeblieben, wenngleich das Gesetz die Anwaltschaft und die Gerichte durchaus in vielfacher Weise auf Trab hält. Kürzlich hatte sich das Bundesarbeitsgericht etwa wiederholt mit der Frage zu befassen, ob ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer auffordern darf, an einem Deutschkurs teilzunehmen, um arbeitsnotwendige Sprachkenntnisse zu erwerben. Ergebnis: Er darf. Eine solche Aufforderung begründet keine ethnische Diskriminierung und verstößt nicht gegen das AGG (Urt. v. 22.06.2011, Az. 8 AZR 48/10).
Aber das AGG treibt mitunter auch Stilblüten, wie etwa der "Ossi-Minus"-Fall zeigt. Was war geschehen? Eine gebürtige ostdeutsche Klägerin, die bereits seit vielen Jahren "im Westen" lebte, hatte sich erfolglos auf eine Stelle beworben. Als sie ihre Unterlagen zurückerhielt, bemerkte sie in ihrem Lebenslauf einen Vermerk "Ossi" mit einem eingekreisten Minuszeichen. Sie sah darin ebenfalls eine Diskriminierung aufgrund ihrer ethnischen Herkunft. Vor dem Arbeitsgericht Stuttgart blieb die Klage jedoch zu Recht erfolglos (Urt. v. 15.04.2010, Az. 17 Ca 8907/09). Immerhin: Die dagegen eingelegte Berufung endete mit einem Vergleich.
Bis zum Jahresende bleiben noch 135 Tage. Bis dahin und bis zum nächsten Geburtstag wird das AGG noch häufig eine Rolle spielen. Und es wird auch weiterhin kontrovers diskutiert werden. Für heute bleibt es erst einmal bei einem "Herzlichen Glückwunsch!".
Der Autor Prof. Dr. André Niedostadek lehrt Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht an der Hochschule Harz.
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André Niedostadek, Fünf Jahre AGG: . In: Legal Tribune Online, 18.08.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4051 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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