12. Speyerer Tage zum Friedhofs- und Bestattungsrecht: Tote­na­sche mit nach Hause?

Interview von Hasso Suliak

10.09.2020

Einmal im Jahr lädt die Uni Speyer ein zur Tagung zum Friedhofs- und Bestattungsrecht. Prof. Dr. Stelkens organisiert und leitet sie. Ein Gespräch über Wanderurnen, Diamantbestattungen und den strengen Bestattungszwang.   

LTO: Herr Professor Stelkens, Sie gelten als Koryphäe eines Rechtsgebiets, das sich mit juristischen Fragen rund um den Tod des Menschen und seiner Bestattung beschäftigt. Was fasziniert Sie am Friedhofsrecht und welche Rechtsfragen dominieren aktuell?

Prof. Dr. Ulrich Stelkens: Das Friedhofs- und Bestattungsrecht ist ein sehr vielseitiges, praktisch höchst relevantes Rechtsgebiet. Es umfasst alle Fragen, die – mit Ausnahme des Erbrechts – mit dem Todesfall, der Trauerbewältigung, den hiermit einhergehenden kommunalen und kirchlichen Aufgaben sowie der Rolle der Bestattungswirtschaft und deren Regulierung zusammenhängen. Es verknüpft damit Fragen des Europarechts, des Verfassungsrechts einschließlich des Staatskirchenrechts, des Verwaltungs­rechts einschließlich des Bau-, Umwelt- und Gewerberechts, des Privatrechts, des Strafrechts, des Sozialrechts und des Steuerrechts. Es zieht sich damit durch alle Rechtsetzungsebenen und Rechtsgebiete und spiegelt nicht zuletzt auch gesellschaftliche Entwicklungen wieder. Der Kernbereich des Rechtsgebiets findet sich allerdings in den 16 Landesbestattungs- und Landesfriedhofsgesetzen ge­regelt. In vielen Bundesländern aber noch gar nicht so lange, sondern erst seit Anfang der 2000er Jahre.

Noch gar nicht so lange? Gestorben wird doch seit Jahrtausenden... 

Es wurde aber lange kein oder nur geringer Regelungsbedarf gesehen, weil vieles selbstverständlich war, was es heute nicht mehr ist. Tatsächlich haben sich viele Fragen rund um das Thema Bestattung erst gestellt, als das Sterbegeld 2002/2003 aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gestrichen wurde: Damit stellte sich in vielen Fallkonstellationen erstmals die Frage, wer eigentlich die Kosten einer Bestattung tragen muss – und damit auch die Frage, wer sich um die Bestattung kümmern muss, wenn dies niemand freiwillig macht. Muss ich mich als Kind des Verstorbenen mich etwa auch dann um seine Bestattung kümmern, wenn ich zum Verstorbenen ein zerrüttetes Verhältnis hatte? Und was passiert, wenn das Kind nicht erreichbar ist? Das war teilweise nur gewohnheitsrechtlich "geregelt".

(c) Prof. Dr. Ulrich Stelkens 

Heute beantworten diese Fragen die 16 Landesgesetze in oft entscheidenden Details recht unterschiedlich. In Rheinland-Pfalz z.B. werden die Erben verpflichtet, sich um die Beerdigung zu kümmern, in den anderen Bundesländern die "nächsten" Angehörigen – und wer das ist, regeln die Länder wiederum unterschiedlich und in unterschiedlicher Reihenfolge.

"Bestattungspflicht sollte im Familienrecht geregelt werden"

Bundesrecht spielt also keine Rolle? 

Bei der Bestattungspflicht kaum. Und wenn Bundesrecht zur Anwendung kommt, gibt es oft Schwierigkeiten an den Schnittstellen zum Landesrecht. So regelt § 74 SGB XII etwa, dass die Kosten einer Bestattung dann vom Staat übernommen werden, wenn dem eigentlich Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen. Klassischer Fall dafür ist das Kind, das von dem Verstorbenen sexuell missbraucht wurde. Aber es gibt auch weniger klare Konstellationen, die dann durchaus zu Kollisionen mit Landesrecht führen können.

Es würde einiges erleichtern und vereinheitlichen, wenn das Totenfürsorgerecht und die Bestattungspflicht bundeseinheitlich im Familienrecht – in Zusammenhang mit dem Unterhaltsrecht - geregelt würde. Hieran könnten dann die Landesgesetze anknüpfen.

Sie haben es angesprochen: Bestattungen werden für Angehörige zum belastenden Kostenfaktor. Statt Trauer über den Verlust eines Menschen steht die Geldbörse im Vordergrund. Wie nehmen Sie das wahr?

Bei Bestattungen ist es wie beim Möbelkauf: Entweder ich kaufe günstig in einem schwedischen Möbelhaus oder ich gehe in ein Designstudio und hole mir etwas Hochwertiges. Bei Bestattungen gibt auch einen Trend entweder zu Low-Budget oder Premium mit einer wohl zunehmenden Verdrängung mittlerer Segmente. Eine Urnenbestattung auf einem anonymen Grab mit kurzer Ruhezeit kostet wenig, ein edler Holzsarg kann dagegen schon ein paar Tausend Euro kosten. Rechtliche Fragen stellen sich allerdings dann, wenn Angehörige ihre Trauer auf besondere Weise bewältigen wollen.

Von Ascheteilung und Diamantbestattung 

Was meinen Sie?

Nun, zum Beispiel die sogenannte Diamantbestattung, bei der Angehörige einen Teil der Asche in Graphit umwandeln lassen, um daraus einen Diamanten, z.B. für einen Ring, zu transformieren. Hierzu bedarf es vorher einer sogenannten Ascheteilung. 

Doch wieviel Gramm der Asche darf man dafür verwenden? Grundsätzlich gilt in Deutschland den Friedhofszwang auch für Urnen; man darf die Urne mit der Asche des Verstorben also nicht mit nach Hause nehmen - auch nicht einen Teil davon. In Brandenburg wollte man 2018 eine solche Ascheteilung rechtlich ermöglichen. Im Laufe der Diskussion kam dann das Gegenteil heraus: In dem Bundesland ist die Ascheteilung jetzt explizit verboten und wird als Ordnungswidrigkeit verfolgt.

Weil in Deutschland ein strenger Friedhofszwang herrscht, kommt es immer wieder vor, dass Verstorbene bzw. ihre Asche in die Schweiz oder die Niederlande überführt werden, um dort angeblich bestattet zu werden. Da man in diesen Ländern die Urne auch mit nach Hause nehmen kann, kann eine derartige "Bestattung" dann auch in der schlichten Übergabe der Urne an den Hinterbliebenen bestehen. Auf diese Weise kommt es vor, dass manchmal auch in deutschen Wohnzimmern Urnen Verstorbener zu finden sind. Sollte man in Deutschland den strengen Friedhofszwang lockern?

Nun, für verfassungsrechtlich geboten halte ich den Friedhofszwang nicht. Begründet wird er teilweise mit der postmortalen Menschenwürde, die aus Art.1 Grundgesetz folgt. Ich glaube aber, dass das Bundesverfassungsgericht – sollte es sich einmal mit dieser Frage befassen – durchaus auch anders urteilen könnte. In einer Entscheidung, bei der es um die nachträgliche Einrichtung einer Begräbnisstätte in einer Kirche in einem Gewerbegebiet ging, hat das BVerfG die Menschenwürde weniger absolut und auch dahingehend definiert, dass dem Willen des Einzelnen angemessen Rechnung zu tragen ist (Beschl. v. 09.05.2016, Az. 1 BvR 2202/13)

Aber unabhängig von dieser verfassungsrechtlichen Situation: Es gibt auch wirklich gute Gründe, am strengen Friedhofszwang festzuhalten.

Phänomen "Wanderurne"

Die da wären?

Die "Urne zu Hause" birgt eine Menge Streitpotenzial und es ergäbe sich neuer Regelungsbedarf: Wer bekommt die Urne? Ist es legitim, die anderen Angehörigen vom Trauern in der Nähe der Urne auszuschließen? Und was passiert eigentlich mit den Urnen, die man eines Tages vielleicht bei einer Wohnungsauflösung findet? Am Ende ist es wohl eine politische und ethische Entscheidung, die hier getroffen werden müsste. Ich kann das Festhalten am Friedhofszwang durchaus nachvollziehen. 

Ob man jedenfalls eine Ascheteilung zulassen sollte – dazu habe ich ehrlich gesagt keine Meinung. Totenasche wird zunehmend als "Reliquie" denkbar, die nach Hause genommen werden kann und aus der auch "anfassbare Erinnerungen" hergestellt werden können. Ich müsste mehr von Trauerpsychologie verstehen, um beurteilen zu können, ob so ein Produkt im Einzelfall wirklich helfen kann.

Zu ihrer nunmehr 12. Tagung zum Friedhofs- und Bestattungsrecht kommen Juristen, die als Friedhofsverwalter in den Kirchen und Kommunen arbeiten, aber auch Anwälte, die sich darauf spezialisiert haben. Mit welchen Streitigkeiten befassen die sich denn am häufigsten?

Zu den Klassikern zählen sogenannte Umbettungsfälle bzw. das Phänomen der "Wanderurne". Die Landesgesetze gestatten es nur unter besonderen Voraussetzungen, dass eine Grabstätte verlegt wird. Der bloße Umzug zum Beispiel des Angehörigen, der das Grab pflegt, in eine andere Stadt oder in ein anderes Bundesland gehört jedenfalls nicht dazu. Aber im Einzelfall kann das schon sehr umstritten sein. 

Streitigkeiten können auch auf Friedhöfen entstehen, wenn etwa Grabsteine nicht ordnungsgemäß installiert werden und so gegen Verkehrssicherungspflichten verstoßen wird. Auch die Einhaltung bestimmter, durchaus unterschiedlicher Vorgaben aus der Friedhofsordnung beschäftigen die Anwälte. Manchmal widersprechen zum Beispiel optische Vorgaben, wie ein Grab gestaltet werden darf, den Wünschen der Angehörigen. Von einem Fall wie in Frankreich allerdings, wo die Friedhofsverwaltung den Grabstein in Form eines Stinkefingers verbieten musste, habe ich bei uns noch nicht gehört.

Auch das Thema Corona spielt auf Ihrer Tagung eine Rolle. In welchem Kontext?

Die Corona-Schutzverordnungen haben ja dazu geführt, dass viele Trauerfeiern und Beerdigungen nicht so stattfinden konnten, wie sich die Angehörigen das gewünscht hätten. Auch jetzt ist immer noch nicht ganz klar, wer eigentlich für die Einhaltung der Hygienekonzepte auf einer Beerdigung verantwortlich ist. Und wenn es dann nach Verstoß gegen Hygieneregeln zu COVID-19-Infektionen kommt, wer haftet dann? Die Friedhofsverwaltung oder die Hinterbliebenen?  Und ob das Kondolenzbuch als Anwesenheitsliste im Sinne der Corona-Schutzverordnung dienen kann, wird auch diskutiert.

Vielen Dank für das Gespräch.

Zitiervorschlag

12. Speyerer Tage zum Friedhofs- und Bestattungsrecht: . In: Legal Tribune Online, 10.09.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42759 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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