Am Freitag erhielt der chinesische Dissident Liu Xiaobo für seinen Kampf für Menschenrechte den Friedensnobelpreis. Er wird den Preis nicht entgegennehmen können, denn er sitzt in China im Gefängnis. Wie hält es China mit den Menschenrechten? Und was kann der Rest der Welt tun? Eine völkerrechtliche Bestandsaufnahme.
In der Begründung für die Verleihung des diesjährigen Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo hob der Vorsitzende des norwegischen Nobelpreiskomitees dessen "langen und gewaltlosen Kampf" für Menschenrechte hervor. Gleichzeitig mahnte er an, dass China gegen die Einhaltung internationaler Abkommen verstoße, die es selbst unterzeichnet habe.
Und tatsächlich: Am 5. Oktober 1998 unterzeichnete China den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR). Art. 19 dieses Paktes gewährt das Recht zur freien Meinungsäußerung. Eben diese wurde Liu Xiaobo jedoch verweigert, als er im vergangenen Dezember wegen Verfassung und Verbreitung der "Charta 08" zu 11 Jahren Haft verurteilt wurde.
Verstieß China damit gegen seine völkerrechtlichen Verpflichtungen und könnte es deswegen zur Rechenschaft gezogen werden?
Unterzeichnung ist nicht gleich Ratifikation
In aller Kürze lautet die Antwort: nein. Denn China hat den IPbpR zwar unterschrieben, aber noch nicht ratifiziert. Dabei sind beide Begriffe strikt voneinander zu trennen.
Durch die Unterzeichnung eines Vertrages bekundet ein Staat sein Interesse an dem Vertrag und seine Absicht, Vertragspartei zu werden. Er ist jedoch noch nicht an den Vertrag gebunden und nach Art. 18 der Wiener Übereinkunft über das Recht der Verträge (WVÜ) lediglich verpflichtet, sich aller Handlungen zu enthalten, die Ziel und Zweck des Vertrages gefährden würden. Die Unterzeichnung soll den Staaten also vor allem ermöglichen, innerstaatlich über den Vertrag zu beraten und eine Entscheidung über das weitere Vorgehen zu treffen.
Völkerrechtlich verbindlich wird ein Vertrag wie der IPbpR erst durch die Ratifikation (nach voriger Unterzeichnung) oder durch den Beitritt (ohne vorige Unterzeichnung). Dabei gibt es keine Pflicht, einen Vertrag zu ratifizieren, selbst wenn man ihn zuvor unterschrieben hat. In der Praxis können zwischen Unterzeichnung und Ratifikation Jahre vergehen, manchmal unterbleibt die Ratifikation auch gänzlich.
Keine völkerrechtliche Durchsetzungsmöglichkeit
Da also China den IPbpR zwar unterschrieben, aber nicht ratifiziert hat, entfalten die in dem Vertrag vorgesehenen Rechte und Pflichten gegenüber China noch keine Wirkung. Dies ist aber Voraussetzung dafür, dass China von anderen Staaten wegen Verletzung der Konventionsrechte vor dem Menschenrechtsausschuss oder dem Internationalen Gerichtshof verklagt werden könnte.
Dabei ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Staat wegen der Verletzung von Konventionsrechten gegen China klagen würde, wegen der politischen Auswirkungen eines solchen Vorgehens sehr gering. Als wirksamer hat sich daher der Mechanismus erwiesen, dass die Betroffenen selbst – wie etwa bei der Europäischen Menschenrechtskonvention – vor einem internationalen Gericht oder Ausschuss klagen.
Eine solche Option stünde den von Menschenrechtsverletzungen betroffenen Chinesen selbst bei einer Ratifikation des IPbpR jedoch nicht offen. Denn der Pakt sieht für Staatsbürger keine Möglichkeit vor, selbst vor dem Menschenrechtsausschuss zu klagen. Diese Möglichkeit wird erst im Ersten Zusatzprotokoll zum IPbpR geschaffen, das China weder unterzeichnet noch ratifiziert hat.
Auch die Todesstrafe ist in China weiterhin erlaubt
Neben dem IPbpR sind für China auch weitere wichtige internationale Menschenrechtsverträge nicht verbindlich. Hierzu gehört vor allem das Zweite Zusatzprotokoll zum IPbpR, das die Todesstrafe abschafft. Auf diesen Missstand wird sicherlich im Rahmen des Europäischen Tages gegen die Todesstrafe (am Sonntag) hingewiesen werden. Allerdings ist China damit nicht alleine, denn zahlreiche Staaten, darunter die USA, haben dieses Protokoll nicht ratifiziert.
Zwar verschließt sich China nicht allen internationalen Abkommen zum Schutze der Menschenrechte. So hat es zum Beispiel die Völkermordkonvention, das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, die Antifolterkonvention oder die Kinderrechtskonvention unterzeichnet und ratifiziert, ist also an diese gebunden.
Das Land arbeitet auch im Rahmen des UN-Menschenrechtsrates mit und sendet regelmäßig Berichte über die Menschenrechtssituation. Viele der in diesen Konventionen gewährten Rechte werden jedoch weiterhin nicht geachtet und es gibt kein Instrument, das China dazu wirksam zwingen könnte.
Der internationalen Gemeinschaft bleibt daher nur, durch verschiedene Menschenrechtsorganisationen, UN-Gremien und Staaten Druck auf China auszuüben, damit es die Menschenrechtspakte ratifiziert und bestehende Verpflichtungen ehrt. Vielleicht hilft dabei auch der Friedensnobelpreis für Liu Xiaobo. Denn Menschenrechte sind universell und nicht Chinas interne Angelegenheit.
Der Autor Przemyslaw Nick Roguski, Mag. Iur. ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht, Internationales Wirtschaftsrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Przemyslaw Roguski, Friedensnobelpreis für Liu Xiaobo: . In: Legal Tribune Online, 10.10.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1683 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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