Mutmaßliche Mitglieder der rechtsextremen "Gruppe Freital" müssen sich derzeit vor dem OLG Dresden verantworten. Einer von ihnen, ein ehemaliger NPD-Stadtrat, wollte einen zweiten Pflichtverteidiger. Der BGH lehnte dies ab.
Erstmals hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss zu den Voraussetzungen der Bestellung eines sogenannten Sicherungsverteidigers geäußert, wie er erst seit Ende 2019 explizit in § 144 Strafprozessordnung (StPO) geregelt ist (Beschl. v. 31.08.2020, Az. StB 23/20). Der Sicherungsverteidiger ist ein Pflichtverteidiger, der dem Beschuldigten zusätzlich zu seinem Wahl- oder Pflichtverteidiger in Fällen der notwendigen Verteidigung (§ 140 StPO) zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens bestellt werden kann.
Im kürzlich vor dem OLG Dresden gestarteten Prozess gegen Mitglieder und Unterstützer der rechtsextremistischen "Gruppe Freital" hatte der Angeklagte Dirk A. auf einen solchen zweiten Pflichtverteidiger gehofft. Nachdem ihm zunächst der Vorsitzende des 4. Strafsenats beim OLG im Mai die Beiordnung eines weiteren Pflichtverteidigers verwehrt hatte, lehnte nun auch der BGH die Bestellung eines solchen ab. Allein die Umstände, dass der Prozess sich über fast fünf Monate (30 Verhandlungstage) bis Ende Januar 2021 erstrecken werde und auch der Verfahrensstoff sehr umfangreich sei, rechtfertigen noch keinen zweiten Rechtsbeistand.
Der ehemalige NPD-Stadtrat Dirk A. soll der rechtsextremistischen "Gruppe Freital" von Sommer bis Ende 2015 angehört haben und am 20. September 2015 auch einen Anschlag auf das Parteibüro der Linken mitverübt haben. Dem 53-Jährigen wird die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung, das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion sowie das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vorgeworfen. Außerdem soll er rassistische und fremdenfeindliche Graffitiparolen im Stadtgebiet von Freital angebracht haben.
"Prozessstoff" zu schwierig?
Dirk A. hatte einige Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung beantragt, dass ihm ein zusätzlicher Pflichtverteidiger an die Seite gestellt werde. Begründung: Der "Prozessstoff "ebenso wie "die rechtliche Bewertung der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" seien so schwierig und würfen so viele Fragen auf, dass sie ausschließlich bei arbeitsteiligem Zusammenwirken zweier Verteidiger beherrscht werden" könnten. "Im Hinblick auf den zeitlichen Umfang" des Verfahrens sei zu bedenken, dass "erfahrungsgemäß bei höherer Anzahl von Verfahrensbeteiligten und längerer Dauer der Hauptverhandlung die Wahrscheinlichkeit" steige, "ein Verteidiger werde planmäßig verhindert sein". Der Vorsitzende des OLG-Senats jedoch lehnte diesen Antrag per Beschluss am 8. Mai 2020 ab.
Mit seiner hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde scheiterte der Neonazi nun auch beim BGH. Der entschied: Der Vorsitzende des 4. OLG-Senats in Dresden habe bei seiner Entscheidung die Grenzen des Beurteilungsspielraums, der ihm nach §144 Abs.1 StPO zustehe, nicht überschritten.
BGH: Sicherungsverteidiger nur in "eng begrenzten Ausnahmefällen"
Dem BGH zufolge kommt die gesetzlich vorgesehene Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers als sogenannter Sicherungsverteidiger lediglich "in eng begrenzten Ausnahmefällen" in Betracht. Ein derartiger Fall ist laut BGH nur anzunehmen, wenn hierfür - etwa wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache - ein "unabweisbares Bedürfnis" besteht, um eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Angeklagten und einen ordnungsgemäßen Verfahrensverlauf zu gewährleisten.
Ob das im Verfahren gegen Dirk A. gegeben ist, haben die Karlsruher aber nicht selbst entschieden. Sie stellen in ihrem Beschluss auf das Ermessen des OLG-Vorsitzenden ab und dieses sei nicht in vollem Umfang überprüfbar. Dem OLG-Vorsitzenden obliege vielmehr in eigener Zuständigkeit die Vorbereitung und Leitung der Hauptverhandlung als Herzstück des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens. Nur er habe sicherzustellen, dass der Anspruch des Angeklagten auf eine Verhandlung und ein Urteil innerhalb angemessener Frist gewahrt werde. Seine Beurteilung, dass die Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers nicht erfordert, könne nur dann beanstandet werden, wenn sie sich nicht mehr im Rahmen des Vertretbaren hält. Ansonsten, so die Karlsruher Richter, sei sie hinzunehmen.
BGH: "Verteidiger hatte Zeit genug"
Im Fall von Dirk A. war für den BGH der Rahmen des Vertretbaren noch nicht überschritten: Weder sei die rechtliche Beurteilung des angeklagten Sachverhalts außergewöhnlich schwierig noch zwinge die voraussichtliche Dauer der Hauptverhandlung zu der Bestellung eines zweiten Verteidigers. Und schließlich sei auch der Verfahrensstoff nicht als so außergewöhnlich umfangreich zu beurteilen, dass er überhaupt nur bei arbeitsteiligem Zusammenwirken zweier Verteidiger beherrscht werden könnte.
Die Akten der Generalsstaatsanwaltschaft umfassten zwar u.a. sechs Bände Sachakten, sechs Beschuldigtenbände sowie 18 Sonderbände, die Unterlagen seien Dirk A.s Verteidiger aber "seit langem" bekannt gewesen. Dieser habe auch bereits umfangreich Akteneinsicht genommen, so der BGH.
Der Prozess gegen Dirk A. und drei weitere mutmaßliche Unterstützer und Mitglieder der rechtsxtremistischen Gruppe ist bereits das zweite Freital-Verfharen. Das erste "Gruppe Freital"-Verfahren endete im März 2018 mit langjährigen Haftstrafen für acht Mitglieder. Eine Revision hatte der BGH verworfen.
BGH zur Bestellung eines Sicherungsverteidigers: . In: Legal Tribune Online, 17.09.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42818 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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