Der Rechnungshof ist unzufrieden, der Bundestag wird unruhig und nun geht auch noch Direktorin Henrike Claussen von Bord: Es könnte besser laufen für das Rechtsstaats-Erlebnisprojekt "Forum Recht". Christian Rath gibt den Überblick.
Natürlich will niemand in Deutschland den Rechtsstaat abschaffen. Dennoch wächst mit zunehmenden Erfolgen der AfD und von Verschwörungsideologen das Gefühl, dass auch bei uns die Grundlagen der freiheitlichen Gesellschaftsordnung - Demokratie, Grundrechte, Rechtsstaat - an Akzeptanz verlieren.
Ein wichtiges Projekt, das gegensteuern soll, ist die Stiftung Forum Recht, die vom Bundestag 2019 per Gesetz beschlossen wurde. In zwei noch zu bauenden Häusern in Karlsruhe und Leipzig soll, so die Vorgabe, ein "auf Bürgerbeteiligung angelegtes Kommunikations-, Informations- und Dokumentationsforum" entstehen, in dem aktuelle Fragen von Recht und Rechtsstaat als Grundvoraussetzung einer lebendigen Demokratie aufgegriffen und erfahrbar gemacht werden sollen.
Wie das genau aussehen soll, darauf sind alle gespannt, weil es ein derartiges Projekt weltweit noch nicht gibt. Es soll jedenfalls kein Museum mit Grundgesetz in der Glasvitrine sein. Eher ein Raum mit vielen interaktiven Angeboten, bei denen die Besucher:innen in Rollen etwa von Richtern:innen schlüpfen können oder sich in größeren Gruppen in Diskussionen verwickeln lassen.
In den beiden Häusern sollen pro Jahr je 100.000 bis 150.000 Besucher:innen über den Rechtsstaat und seine Garantien, aber auch seine Gefährdungen nachdenken, zusammen also 200.000 bis 300.000 Personen pro Jahr. Das ist kein Nischenprojekt, sondern ein gewaltiges Vorhaben, das auf Breitenwirkung zielt. Die beiden Gebäude sollen je bis zu 70 Millionen Euro kosten.
Und weil das Ganze so neu und so komplex ist, dauert es auch quälend lange: Erst 2030 sollen die beiden Forum-Recht-Gebäude eröffnen.
Erst überzeugen, dann bauen?
Kein Wunder, dass die AfD eine Chance sah, das Projekt zu torpedieren. Im Oktober vergangenen Jahres brachte sie im Bundestag ein "Forum Recht-Abwicklungsgesetz" ein. Die zugrundeliegende Stiftung solle aufgelöst werden, weil sie "keine nennenswerten Arbeitserfolge" erziele (DrS. 20/3939). Eine Front aus allen anderen Fraktionen hat dies im Februar im Rechtsausschuss zurückgewiesen.
Allerdings hieb der Bundesrechnungshof Anfang des Jahres in die gleiche Kerbe. In einem 57-seitigen Mängelbericht hieß es im Januar: "Die Stiftung Forum Recht sollte zunächst mit inhaltlicher Arbeit überzeugen und belegen, inwieweit sie Menschen für den Rechtstaat (zurück-)gewinnen kann." Endgültige Entscheidungen über Neubauten sollten deshalb "zunächst zurückgestellt werden". Was für ein Paukenschlag! Die Stiftung solle also zuerst Erfolg haben und dann bauen - und nicht umgekehrt.
Dieser Ansatz wäre vermutlich das Ende von Forum Recht als Großprojekt. Denn ohne attraktive Gebäude mit attraktiven Angeboten würden nicht Hunderttausende mit der Schule, mit dem Verein oder mit der Familie nach Karlsruhe und Leipzig kommen. Forum Recht bliebe ein Nischenprojekt, das die hohen Kosten nicht rechtfertigen könnte, und würde alsbald aufgelöst. Die AfD hätte ihr Ziel erreicht.
Zwar kann der Rechnungshof das Projekt nicht selbst stoppen, aber er hat doch Zweifel gesät. Deshalb hat der Haushaltsausschuss des Bundestags einen Bericht der Stiftung angefordert, wie sie mit der Kritik der Kostenkontrolleure umgehen will.
Die Chefin geht
Just in diese neuralgische Situation platzte vorige Woche die Nachricht, dass die Gründungsdirektorin Henrike Claussen zum 30. September ausscheiden wird. Claussen betont zwar, dass sie weder entnervt hinwerfe noch gefeuert wurde. Vielmehr wolle sie aus persönlichen Gründen nach Nordrhein-Westfalen ziehen und habe jetzt überraschend ein passendes Angebot erhalten, über das sie aber noch nichts sagen dürfe. Bis zum 30. September will sie auch noch mit ganzer Kraft für das Forum Recht arbeiten. In der aktuellen Siuation führt der Vorgang aber natürlich zu neuer Verunsicherung.
Claussen ist Historikerin und seit September 2020 im Amt. Zuvor leitete sie das "Memorium Nürnberger Prozesse". Ihr Vize ist der Kunsthistoriker Dr. Stephan Barthelmess, der zuvor Geschäftsführer der Kunsthalle in Mannheim war. Claussen hat die Gesamtleitung, Barthelmess ist für die eher organisatorischen Fragen - Finanzen, Bau und Personal - zuständig. Soweit bisher bekannt, wird Barthelmess bleiben.
Auf Wunsch des Rechnungshofs hatte das von BGH-Präsidentin Bettina Limperg geleitete Kuratorium im April bereits den Standort Leipzig aufgewertet. Während beide Direktor:innen bisher formal ihren Arbeitsplatz in Karlsruhe hatten, soll Vize Barthelmess nun offiziell in Leipzig residieren. Ab Oktober wird so Leipzig eine Zeitlang sogar zum alleinigen Führungssitz der Stiftung.
Stand der Umsetzung
Das Forum Recht hat aktuell 25 Planstellen, davon 17 in Karlsruhe und acht in Leipzig. Das Forum-Recht-Gebäude soll in Karlsruhe am Karlsplatz entstehen, direkt neben dem Bundesgerichtshof. Auf der anderen Seite der Herrenstraße hat das Forum Recht in einem Bürogebäude ein Interimsquartier bezogen.
In Leipzig soll das Forum Recht auf dem zentralen Wilhelm-Leuschner-Platz gebaut werden, im Zuge einer großen Stadtentwicklungsmaßnahme. Das Gebäude soll direkt neben der neuen Juristenfakultät stehen, mit der man ohnehin eng zusammenarbeiten will. Das aktuelle Interimsquartier ist rund 100 Meter davon entfernt in ehemaligen Räumen der Universitätsbuchhandlung. Am ersten Juni-Wochenende wurde dort mit einem Tag der offenen Tür Eröffnung gefeiert. Claussen konnte nicht kommen, weil sie krank war.
Im Herbst 2022 wurde nach mehr als eineinhalb Jahren eine Organisationsuntersuchung abgeschlossen. Im Ergebnis ist exakt berechnet, wieviele Räume und welche Fläche in Karlsruhe und Leipzig für die permanenten Präsentationen, die Sonderausstellungen und für Workshops benötigt werden. In Karlsruhe sind 6.400 Quadratmeter Nutzfläche vorgesehen, in Leipzig sogar 6.700 Quadratmeter (weil dort auch die Garagen für die mobilen Forum-Recht-LKW stehen).
In Karlsruhe sollen nach Eröffnung der Häuser 60 Menschen arbeiten, in Leipzig rund 50. Das Personalplus in Karlsruhe ergibt sich, weil dort der Sitz der Stiftung und des Großteils der Verwaltung ist.
Im Moment liegt die 1.700 Seiten schwere Bedarfsplanung beim Bundesfinanzministerium, das die Konzeption auf Plausibilität prüft und sie billigen muss. Der Rechnungshofbericht hat hier natürlich die Sache ebensowenig erleichtert wie die angespannte Haushaltslage des Bundes. Immerhin ist Finanzminister Christian Lindner ebenso in der FDP wie Justizminister Marco Buschmann, in dessen fachlichen Verantwortungsbereich das Forum-Recht-Projekt fällt.
Der Bedarf wird auch deshalb besonders intensiv geprüft, weil bereits die 2022 novellierte RBBau (Richtlinie für die Durchführung von Bauaufgaben des Bundes) angewandt wird. Hier soll zu Beginn gründlicher untersucht werden, damit später schneller gebaut werden kann, weil weniger Umplanungen nötig sind. Doch auch das kostet zunächst erst einmal Zeit, in der von außen betrachtet nichts passiert.
Wenn hier alles glatt geht, kann 2024 mit dem Architektenwettbewerb begonnen werden, der Ende 2025 beendet sein soll. Noch ist offen, ob es einen gemeinsamen Wettbewerb gibt oder zwei getrennte Verfahren. Ist ein einheitlicher Auftritt wichtig? Oder geht es eher um die Einpassung in die Umgebung mit dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe und der Juristenfakultät in Leipzig?
Ein Labor zum Ausprobieren
Bis 2030 beschränkt sich das Forum Recht nicht auf die Konzeption der Häuser und die Planung der Bauten. Es gibt inzwischen auch eine Vielzahl von Programmangeboten. So wird seit März 2023 der Podcast "Justice, Baby" veröffentlicht. Alle zwei Wochen gibt es eine neue von insgesamt 13 gut gemachten Folgen zu Gerechtigkeitsthemen, von Rache über Sport bis Klimaschutz.
Es gab beim Forum Recht auch Projekte mit Jugendlichen ("Junges Forum Recht", "Unboxing the Law"), eine Filmreihe in Karlsruhe und eine Theaterkooperation in Braunschweig. Neben dem Zweck, die Stiftung bereits jetzt irgendwie "sichtbar" zu machen, geht es dabei immer auch ums Experimentieren. Was interessiert Jugendliche, welche Formate sprechen sie an, wie erreicht man Publikum an ungewohnten Orten?
Im Moment ist das Forum Recht also auch ein Labor, dessen Ergebnisse ins große Ganze einfließen sollen: in die Konzeption der beiden Häuser, in das digitale Forum Recht und in das mobile Forum Recht, das zu Menschen in die Fläche kommen soll. Angebote sollen skalierbar sein und als Pakete idealerweise auch ohne eigenes Personal zum Beispiel in Schulen funktionieren.
Doch ohne die beiden geplanten Häuser können diese Kleinprojekte die Existenz der Stiftung nicht rechtfertigen. Eher könnten die Projekte auch an etablierte Strukturen wie die Bundeszentrale für politische Bildung angedockt werden, die ja auch nicht nur solide Broschüren produzieren will.
Zu wenige Juristen
Neben der Grundsatzkritik hat der Bundesrechnungshof zahlreiche speziellere Kritikpunkte angebracht. So fiel den Kontrolleur:innen auf, dass in der Stiftung fast keine Jurist:innen arbeiten, weder in der Führungsebene noch in der inhaltlichen Planung - obwohl es doch um Recht geht.
Tatsächlich würde die Stiftung gerne mehr Jurist:innen einstellen, aber der Markt ist insbesondere in Karlsruhe und Leipzig abgegrast. Vor allem aber betont die Stiftung, dass im Mittelpunkt die innovative Vermittlung von Inhalten steht, was auch nicht bei allen Jurist:innen zur Kernkompetenz zählt.
Besserung soll in Zukunft aber die Zusammenarbeit mit der Leipziger Juristenfakultät bringen, die schon frühzeitig Kontakt zu späteren passenden Mitarbeiter:innen verschaffen kann.
Die Suche nach dem Namen
Der Rechnungshof kritisierte auch, dass in die Diskussion um den Namen "Forum Recht" eine externe Agentur eingeschaltet wurde. Tatsächlich steht der Name für das Gesamtprojekt gar nicht zur Disposition, denn er ist im Gesetz festgelegt und in Karlsruhe, wo das Forum Recht als zivilgesellschaftliche Initiative entstand, fest verankert.
Ein Problem besteht aber am zweiten Standort Leipzig, der erst auf Wunsch des Bundestags später hinzukam. Hier könnte der Name für Verwirrung sorgen, weil es ganz in der Nähe auch das "Zeitgeschichtliche Forum" gibt und das "Forum für Freiheit und Bürgerrechte" geplant ist. Die Sorge der Stiftung gilt dem Anreisenden, der am Leipziger Hauptbahnhof zum Taxifahrer sagt, er wolle zu diesem "Forum mit der Demokratie", und der Taxifahrer dann nicht weiß, welches Forum gemeint ist.
Das aber sind Probleme, die lösbar erscheinen. Kurzfristig muss das Kuratorium der Stiftung nun aber erst einmal eine neue Direktor:in finden; eine Person mit Erfahrung in moderner interaktiver Museumspräsentation, die gleichzeitig bereits Bezug zu rechtlichen Themen hat. Das wird nicht leicht und sollte trotzdem schnell gehen, damit kein Vakuum entsteht.
Rechtsstaats-Erlebnisprojekt in Karlsruhe und Leipzig: . In: Legal Tribune Online, 12.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51975 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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