Während Hauseigentümer in Teilen Deutschlands massive Schäden durch Überschwemmungen erleiden, sperrt sich der FDP-Bundesjustizminister gegen einen verpflichtenden Versicherungsschutz. Spricht der Bundeskanzler nun ein Machtwort?
Die Diskussion ist nach jeder Flutkatastrophe die Gleiche: Sollten alle Haus- oder Wohnungseigentümer verpflichtet werden, ihre Gebäude bzw. Wohnungen gegen Naturgefahren wie Hochwasser und Überschwemmung zu versichern? Auch mit dem Hintergedanken, dass der Staat nicht mit Hilfsprogrammen einspringen "muss"?
Aktuell sind in Deutschland lediglich 54 Prozent der Gebäude gegen Naturgefahren wie Hochwasser und Überschwemmung versichert. Die Unterschiede sind zwischen den einzelnen Bundesländern dabei gravierend. Während im derzeitig stark betroffenen Bayern nur 47 Prozent der Gebäude gegen Starkregen und Hochwasser versichert sind, ist die Situation in Baden-Württemberg traditionsbedingt komfortabler: Dort liegt die Abdeckung bei 94 Prozent. Grund ist, dass es hier bis in die 1990er Jahre schon einmal eine solche Pflichtversicherung gab.
Im Versicherungsjargon heißt das Produkt "Elementarschadenversicherung". Diese wird in der Regel als zusätzlicher Baustein im Rahmen einer Wohngebäude- oder Hausratversicherung angeboten und schützt Eigentümer und Mieter vor den finanziellen Folgen von Naturereignissen. Versichert sind – je nach Vertrag – das Gebäude und/oder das Eigentum. Allerdings lassen sich die Versicherer das gut bezahlen: Je näher man etwa an einem potenziellen Hochwassergebiet wohnt, desto teurer wird dieser Baustein für die Versicherungsnehmer. Tritt der nahegelegene Fluss häufiger über die Ufer, dürfen Versicherer den Versicherungsvertragsabschluss sogar ablehnen.
Bundesrat ist schon lange für eine Versicherungspflicht
Da sich Starkregenereignisse wie aktuell in Süddeutschland wegen des Klimawandels mehren werden, wird nicht erst seit der Katastrophe im Ahrtal im Jahr 2021 verstärkt die Frage diskutiert, ob die Absicherung gegen Extremwetterereignisse womöglich zur Pflicht für Hauseigentümer werden sollte. Verbraucherschützer und Politiker fordern eine solche Allgefahrdeckung schon länger.
Abgeschlossen werden müsste eine solche Versicherung dann allerdings auch von Menschen, denen aufgrund ihrer Wohnlage womöglich niemals ein solches Schadensereignis droht. Andererseits wären auch alle Eigentümer von Gebäuden in Risikogebieten abgesichert. Ein Akt verpflichtender Solidarität, den der Gesetzgeber auf den Weg bringen sollte?
Im März 2023 hatte der Bundesrat eine Entschließung verabschiedet, der den Bund auffordert, eine bundesweite Pflichtversicherung einzuführen. "Ein Warten auf bessere Zeiten – oder auf das nächste Großschadenereignis – ist keine Option. An die Stelle spontaner staatlicher Ad-hoc-Hilfen muss eine langfristige Risikoprävention durch eine Pflichtversicherung für Elementarschäden treten."
Geschehen ist seither nichts. Dass die Ampel bei dem Thema nicht vorankommt, liegt vor allem am Koalitionspartner FDP, wie auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Montag im Interview mit dem Deutschlandfunk bedauerte.
BMJ warnt vor Kosten für Hauseigentümer
Seit Jahren bremst das FDP-geführte Bundesministerium für Justiz (BMJ) bei diesem Thema. Am Montag nannte das Ministerium gegenüber LTO noch einmal in einem aktualisierten Positionspapier die Gründe für die Ablehnung einer Pflichtversicherung. Die Argumentation aus dem BMJ ist mitunter bemerkenswert: "Eine Elementarschadenpflichtversicherung kann den Eintritt von Elementarschadenereignissen nicht verhindern und deren Eintrittswahrscheinlichkeit nicht reduzieren", heißt es in dem Papier. Als ob jemals der Abschluss eines Versicherungsvertrages bereits das Risiko eines Schadenseintrittes minimiert hätte.
Marco Buschmann (FDP) ist jedoch davon überzeugt, dass eine Pflichtversicherung keine der Vorteile hat, die sich die Befürworter von ihr erhoffen. Unter anderem führe sie "anders als vielfach behauptet" grundsätzlich nicht flächendeckend und unabhängig vom Risikobereich zu niedrigeren Versicherungsprämien. "Sie führt aber zu mehr Bürokratie, wenn die Einhaltung der Versicherungspflicht kontrolliert werden soll. Diese Kontrolle ist bei vielen Millionen Wohngebäuden in Deutschland und der zur Prüfung notwendigen versicherungsrechtlichen Expertise überaus aufwendig und kostenintensiv", heißt im BMJ-Papier.
Nach Ansicht des BMJ wäre eine Versicherungspflicht für sehr viele Haushalte mit drastischen neuen finanziellen Belastungen verbunden. "Ein Versicherungszwang für Elementarschäden würde das Wohnen in ganz Deutschland teurer machen – für Eigentümerinnen und Eigentümer und für Mieterinnen und Mieter. Die Versicherungsbranche schätzt, dass die Kosten je Einfamilienhaus bei 100 bis 2.000 Euro jährlich liegen würden." Geteilt wird diese Position auch in der FDP-Bundestagsfraktion.
Versichererverband GDV: Prävention "das A und O"
Anders als die FDP bzw. der Bundesjustizminister ist überraschenderweise die Versicherungswirtschaft in jüngster Zeit in ihrem Wording ein stückweit von ihrer früheren Fundamentalablehnung einer Pflichtversicherung abgerückt. Sie warnt heute nur noch davor, in einer Pflichtversicherung ein Allheilmittel zu sehnen.
"Eine Pflichtversicherung als alleiniges Mittel hilft niemandem – weder Hausbesitzern noch Ländern und Kommunen", bekräftigte Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft. Stattdessen müsse auf Prävention gesetzt werden. "Oberste Priorität sollten klimaangepasstes Planen, Bauen und Sanieren haben", so Asmussen. Prävention solle fester Bestandteil der Landesbauordnungen werden. "Sonst können wir uns schon jetzt auf Milliardenschäden bei künftigen Hochwassern gefasst machen", bekräftigt Asmussen.
Kanzler-Machtwort am 20. Juni?
Ob der Widerstand der FDP alsbald überwunden wird, dürfte sich noch in diesem Monat entscheiden. Am 20. Juni treffen sich die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder mit dem Bundeskanzler. Vorgestellt werden auf dem Treffen dann auch die Ergebnisse einer im Juni 2023 zu diesem Thema eingerichteten Bund-Länder-Arbeitsgruppe.
Nach Angaben des BMJ hatte die Arbeitsgruppe die Aufgabe, alle Optionen zu prüfen, wie die Verbreitung der Elementarschadenversicherung erhöht werden kann. Auch sollte untersucht werden, welche Präventionsmaßnahmen z. B. im Bau- und Umweltrecht ergriffen werden müssen, um die Eintrittswahrscheinlichkeit von Schäden bei Naturereignissen zu reduzieren. Schließlich hatte sie zu prüfen, wie finanzielle Risiken für die öffentlichen Haushalte durch Großschadensereignisse beherrschbar werden können.
Verfassungsrechtliche Bedenken an einer Pflichtversicherung hatte der Regensburger Staatsrechtler Prof. Dr. Thorsten Kingreen bereits im Februar 2022 ausgeräumt. In einem ausführlichen Gutachten kam er zum Ergebnis, dass die mit der Einführung der Versicherungspflicht verbundenen Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) der Eigentümer sowie die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) der privaten Versicherungsunternehmen verfassungsrechtlich gerechtfertigt wären.
Flut-Katastrophe in Süddeutschland: . In: Legal Tribune Online, 03.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54684 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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