Privatwohnungen für Flüchtlinge?: "Das Risiko, gekün­digt zu werden, besteht bei Miete immer"

von Anne-Christine Herr

02.11.2015

2/2: "Härtefälle" – Umstände des Einzelfalls entscheidend

LTO:  Das Ehepaar aus Mechernich legte Widerspruch nach § 574 BGB ein, woraufhin die Stadt mit einer Räumungsklage reagierte, die sie ja schließlich auch gewann. In welchen Fällen könnte ein gekündigter Mieter mit einem solchen Widerspruch Erfolg haben?

Vogt: Ein solcher Widerspruch setzt voraus, dass "die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist", Abs. 1 der Norm.

Eine solche Härte läge zum Beispiel vor, wenn in der Wohnung eine schwer kranke, nicht transportierbare Person wohnen würde. Auch für eine ältere Person, die in einer angemessen großen Wohnung lebt, wäre ein Umzug wohl nicht zumutbar. Wie so oft sind auch hier die Umstände des Einzelfalls entscheidend.

Abs. 2 des § 574 BGB sieht als weiteren "Härtefall" auch vor, dass "angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann". Ein solcher Fall wird eher selten vorkommen, denn ein schwieriger Wohnungsmarkt allein reicht noch nicht aus. Das Risiko, gekündigt zu werden und sich am Markt eine neue, teurere Wohnung suchen zu müssen, besteht in Mietverhältnissen ja immer. Hier ist das öffentliche Interesse bei öffentlich-rechtlichen Vermietern spiegelbildlich zur Möglichkeit der Eigenbedarfskündigung eines privaten Vermieters.

Doch im Extremfall drohender Obdachlosigkeit würde die Pflicht der Stadt zur angemessenen Unterbringung der Flüchtlinge mit ihrer allgemeinen Pflicht zum Schutz von Leib und Leben kollidieren. Hierbei muss die Stadt selbstverständlich auch darauf achten, dass der gekündigte Mieter selbst nicht obdachlos wird. Wäre dies konkret zu befürchten, dürfte eine Kündigung grundsätzlich nicht erfolgen.  Gleichwohl hat das Bayerische Oberste Landesgericht im Jahr 1971 entschieden, dass auch die sofortige Unterbringung des gekündigten Mieters aufgrund öffentlich-rechtlicher Pflichten nicht zwingend dazu führt, dass das öffentliche Interesse an der Kündigung entfällt (BayObLG, NJW 1972, 685).

Beschlagnahme oder Kündigung – welches ist das mildere Mittel?

LTO: Sowohl die Interessenabwägung im Mietrecht als auch die im Polizeirecht zu prüfende Verhältnismäßigkeit bei der Beschlagnahme von Wohnungen sehen vor, dass solche Maßnahmen nur zulässig sind, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind.  Nun stellt sich die Frage: Welches ist der mildere Eingriff, die Kündigung der Mieter einer im Eigentum der Kommune stehenden Wohnung oder die Beschlagnahme von Privateigentum eines leerstehenden Bürogebäudes – entweder auf Basis des polizeilichen Notstandes oder eines neuen Gesetzes, wie es Hamburg und Bremen kürzlich verabschiedet haben

Schmitz: Diese Frage kann man nicht pauschal beantworten, denn es gibt kein abstraktes Rangverhältnis. Auch das ist letztlich eine Einzelfallabwägung. Auf der einen Seite ist die zivilrechtliche Inanspruchnahme grundsätzlich milder als die Nutzung staatlicher Eingriffsrechte zu Lasten von Dritten.

Anders kann dies wiederum zu beurteilen sein, wenn die Stadt die Möglichkeit hat, ein leerstehendes Bürogebäude zu beschlagnahmen, darin eine Vielzahl von Flüchtlingen unterzubringen und dem Eigentümer hierfür eine Entschädigung zahlt. Dies könnte dann doch ein milderes Mittel sein, als privaten Mietern zu kündigen, um lediglich eine Familie zu beherbergen.

LTO: Herr Dr. Vogt, Herr Dr. Schmitz, vielen Dank für das Gespräch.

Dr. Markus Vogt, LL.M. ist Senior Associate im Berliner Büro von CMS Hasche Sigle im Bereich Real Estate & Public. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind Immobilientransaktionen und gewerbliches Mietrecht.

Dr. Sebastian Schmitz ist Senior Associate im Berliner Büro von CMS Hasche Sigle im Bereich Real Estate & Public, Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind das öffentliche Wirtschaftsrecht und Vergaberecht.

Das Interview führte Anne-Christine Herr.

Zitiervorschlag

Anne-Christine Herr, Privatwohnungen für Flüchtlinge?: . In: Legal Tribune Online, 02.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17407 (abgerufen am: 05.11.2024 )

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