Privatwohnungen für Flüchtlinge?: "Das Risiko, gekün­digt zu werden, besteht bei Miete immer"

von Anne-Christine Herr

02.11.2015

Baurecht vereinfachen, Gebäude beschlagnahmen und nun Wohnraum-Mietern kündigen. Kommunen müssen alles tun, um Flüchtlinge unterzubringen. Im Interview erklären Markus Vogt und Sebastian Schmitz, wann eine Kündigung rechtmäßig ist.

LTO: Verschiedene Medien berichten, dass die Gemeinde Mechernich bereits 2014 ihren Mietern in einer Wohneinheit den Vertrag gekündigt hat, um dort Flüchtlinge unterzubringen. Der Konflikt wurde nun offensichtlich in einem Vergleich vor Gericht beigelegt - das Ehepaar muss Ende 2015 ausziehen, bekommt jedoch eine Abfindung von 8000 Euro. Auf welcher Rechtsgrundlage können solche Kündigungen überhaupt erfolgen?

Vogt: Die Stadt Mechernich hat hier als Vermieterin eine ordentliche Kündigung nach § 573 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ausgesprochen. Nach Abs. 1 der Norm ist dies nur zulässig, wenn sie hierfür ein "berechtigtes Interesse" hatte.

Die Konkretisierung in Abs. 2 Nr. 2, der Eigenbedarf, ist hingegen nicht relevant, da eine Gebietskörperschaft keine natürliche Person ist, also weder "selbst" eine Wohnung bewohnen kann noch Familienangehörige hat. Dieser Begriff wird jedoch in den Zeitungen gelegentlich unpräzise verwendet.

In diesem Fall geht es um den für Kommunen geltenden Sonderfall des "öffentlichen Interesses". Dieses muss so gewichtig sein, dass es das berechtigte Interesse des einzelnen Wohnungsmieters am Fortbestand seines Vertrags überwiegt.

Die Stadt als Hoheitsträgerin muss eine Interessenabwägung im Einzelfall vornehmen, die einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ähnelt, wie man sie aus dem öffentlichen Recht kennt. Außerdem muss sie die Gründe, die für eine Kündigung sprechen, im Einzelfall schriftlich darlegen.

Stadt muss Asylbewerber angemessen unterbringen

LTO: Welche Interessen stehen sich bei einer solchen Abwägung gegenüber?

Schmitz: Auf der einen Seite ist die Pflicht der Stadt zu berücksichtigen, Asylbewerber angemessen unterzubringen. Sie folgt für die Stadt aus den Flüchtlingsaufnahmegesetzen der einzelnen Bundesländer. Damit verwirklicht der Staat seinen Auftrag aus der Genfer Flüchtlingskonvention und seine grundgesetzliche Pflicht, die Menschenwürde und die körperliche Unversehrtheit der Schutzsuchenden zu schützen. 

Auf der anderen Seite haben die Mieter durchaus ein nachvollziehbares Interesse daran, den bisherigen Wohnmittelpunkt zu behalten, welches ebenfalls berücksichtigt werden muss. So ist das durch die Normen des zivilen Mietrechts konkretisierte Besitzrecht des Mieters an seiner Wohnung grundgesetzlich durch Art. 14 des Grundgesetzes (GG) geschützt. 

Solange bei den Mietern, bei denen die Stadt eine Kündigung in Erwägung zieht, selbst keine Obdachlosigkeit zu befürchten ist – etwa weil die Stadt ihneneine neue angemessene Wohnung vermitteln kann -, dürfte das städtische Interesse allerdings stark zu gewichten sein. Anders sieht dies natürlich dann aus, wenn den Mietern infolge der Kündigung selbst Obdachlosigkeit drohte. In diesem Fall wäre eine Kündigung ohne weiteres nicht zulässig.

Größe der Wohnung im Verhältnis zur Anzahl der Mieter

LTO: Welche Argumente können dann konkret den Ausschlag geben?

Vogt: Relevant ist vor allem, dass tatsächlich kein anderer Wohnraum, etwa leerstehende Gebäude im Eigentum der Gemeinde, mehr zur Verfügung steht.

Schmitz: Weiterhin ist relevant, wie groß die Wohnung im Verhältnis zur Anzahl der darin lebenden Personen ist. Dabei können die Kommunen auch auf ein Urteil des Amtsgerichts (AG) Göttingen aus dem Jahr  1991 verweisen (Urt. v. 19.7.1991, Az. 25 C 13/91). Damals hatte sich ein Mieter, der von einer kleinen Gemeinde eine 105-Quadratmeter-Wohnung gemietet hatte und diese gemeinsam mit einem Untermieter bewohnte, vergeblich gegen eine Räumungsklage gewehrt: Die Vierzimmerwohnung sei für die Unterbringung größerer Familien besonders gut geeignet. 

Vogt: Im Rahmen der Interessenabwägung kann es zwar auch darauf ankommen, ob die Gemeinde den Mietern alternativen Wohnraum in einer angemessenen Größe oder Hilfe bei der Wohnungssuche anbietet. Generell ist sie dazu aber nicht verpflichtet.

Zitiervorschlag

Anne-Christine Herr, Privatwohnungen für Flüchtlinge?: . In: Legal Tribune Online, 02.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17407 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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