Familiendrama durch Gasvergiftung: Haf­tung für töd­liche Miet­mängel

Dominik Schüller

02.08.2011

In Berlin kam eine sechsköpfige Familie durch eine Kohlenmonoxidvergiftung ums Leben. Bisherige Ermittlungen zeigen, dass die Gastherme schlecht belüftet war, weil ein Rohr durch die Vormieter verstopft wurde. Die Staatsanwaltschaft ermittelt daher auch gegen die früheren Bewohner. Wer für das Unglück zivilrechtlich verantwortlich sein könnte, beleuchtet Dominik Schüller.

Die Puchanstraße ist eine ruhige Seitenstraße im Berliner Stadtbezirk Köpenick. Nicht weit vom hiesigen Amtsgericht entfernt hat sich in der vergangenen Woche eine Tragödie ereignet, die zum Tod einer sechsköpfigen Familie geführt hat. Presseberichten zufolge hatte ein Bekannter der Familie die Behörden alarmiert, nachdem er sie tagelang nicht erreichen konnte.

Die vor Ort befindlichen Einsatzkräfte konnten nur noch den Tod der sechs Familienmitglieder feststellen. Die Obduktion ergab, dass Eltern und Kinder an einer Kohlenmonoxidvergiftung verstorben sind.

Die Wohnung war zuvor an eine Frau und ihren volljährigen Sohn vermietet gewesen. Diese hatten die Gasrechnung nicht bezahlt, so dass der Netzbetreiber bereits 2005 die Gasbelieferung eingestellt und den Gashahn verplombt hatte. Nach Angaben des Bezirksschornsteinfegers war die Anlage seither bis zur letzten jährlichen Routineuntersuchung außer Betrieb.

Nach dem bisherigen Ermittlungsstand hatten die Vormieter das Belüftungsrohr der Gastherme mit Stoff und Zeitungen verstopft, um Zugluft zu verhindern. Bei ihrem Auszug war das der Vermieterin offenbar nicht aufgefallen.

Umstände der Inbetriebnahme undurchsichtig

Die verunglückte Familie war erst kürzlich in die Wohnung eingezogen. Am 11. Juli, zwei Wochen vor dem Unglück, sollte der Gasbetreiber die Gastherme erneut ans Netz anschließen. Bei der Prüfung wurde eine undichte Stelle in der Therme entdeckt, nicht jedoch das verstopfte Lüftungsrohr. Ob die nötige Reparatur von der Eigentümerin des Grundstücks durchgeführt wurde, ist unklar. Diese verweigert bislang die Auskunft.

Fest steht jedoch, dass die Gastherme anschließend in Betrieb genommen wurde und die Mieter bei der Vermieterin eine ungenügende Heizleistung monierten. Durch die mangelhafte Belüftung beim Verbrennungsvorgang reicherten sich die Räume vermutlich unbemerkt mit Kohlenmonoxid an, einem farb- und geruchlosen, aber hochgiftigen Gas.

Inzwischen wurden strafrechtliche Ermittlungen auch gegen die Vormieter wegen fahrlässiger Tötung eingeleitet. Daneben stellen sich jedoch auch zivilrechtliche Haftungsfragen. Die Begutachtung muss zwangsläufig auf Basis des bislang nicht vollständig geklärten Sachverhaltes erfolgen. So sind vor allem die Hintergründe zur Inbetriebnahme der Gastherme bislang nicht geklärt. Dennoch lassen sich gewissen Grundsätze aufstellen.

Gastherme ist Teil der Mietsache und muss mangelfrei sein

Nach § 535 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) hat der Vermieter dem Mieter die Wohnung in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen und sie während der Mietzeit in diesem zu erhalten. Das bedeutet, dass die Wohnung zumindest gefahrlos zum Wohnen genutzt werden können muss.

Auch die Heizanlage, die in der Regel mitvermietet wird, muss der Mieter also nutzen können, ohne ein Risiko einzugehen. Um das sicherzustellen, muss die Anlage regelmäßig durch den Schornsteinfeger geprüft werden (Ziff. 3.1/3.2 Anlage 1 zu § 1 Abs. 4 der Verordnung über die Kehrung und Überprüfung von Anlagen). Anders hat dies der Bundesgerichtshof 2008 für Elektroleitungen entschieden, die der Vermieter nicht regelmäßig auf Mängel überprüfen muss (Urt. v. 15.10.2008, Az.: VIII ZR 321/07).

Ist die Mietsache von Anfang an mangelhaft, bestimmt § 536a Abs. 1 BGB, dass der Vermieter haftet - unabhängig von einem etwaigen Verschulden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die unzureichende Belüftung der Gastherme ein solcher anfänglicher Mangel war. Grundsätzlich haftet die Vermieterin damit also für alle Schäden, die aufgrund dieses Mangels entstehen, weil sie ihre Pflichten aus dem Mietvertrag verletzt hat. Zumindest die Erben der auf tragische Weise zu Tode gekommenen Familie könnten die Ansprüche gegen die Vermieterin geltend machen.

Die Bedeutung einer solchen Haftung wird deutlicher, wenn bei einem vergleichbaren Unglücksfall ein Kind durch die Vergiftung eine dauerhafte Behinderung erleiden würde. Die Folgekosten in einem solchen Fall können leicht hohe sechs- oder siebenstellige Beträge erreichen. Der zivilrechtlich Haftende, gegebenenfalls auch seine Versicherung, muss für die entstehenden Vermögensschäden vollständig einstehen.

Muss der Vormieter für etwaige Nachmieter sorgen?

Nicht nur im tragischen Fall der Berliner Familie, sondern auch in weniger dramatisch gearteten Fällen drängt sich die Frage auf, ob neben dem Vermieter auch die Vormieter für derartige Schäden zivilrechtlich haften. Eine direkte vertragliche Haftung scheidet allerdings in dieser Konstellation aus, da zwischen Vor- und Nachmieter regelmäßig keine Verträge geschlossen werden.

Doch auch ein die Nachmieter einbeziehender so genannter Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte dürfte zwischen Vermieter und Vormieter nicht bestehen. Durch einen solchen ungeschriebenen, durch die Rechtsprechung entwickelten Vertragstyp werden außerhalb stehende Dritte in das Vertragsverhältnis einbezogen. Hier scheitert die Konstellation jedoch an der geforderten "Leistungsnähe": der Dritte – hier die getötete Familie – muss erkennbar und typischerweise mit den Gefahren des Vertragsgegenstandes in Berührung kommen. Das Kriterium liegt in der Beziehung zumindest zwischen Vormieter und Vermieter nicht vor. Jedenfalls mangelt es an einer Schutzbedürftigkeit des Dritten. Denn diesem stehen, wie bereits gezeigt, eigene Schadensersatzansprüche gegen den Vermieter aus dem eigenen Mietvertrag zu.

Verbleiben die Ansprüche des Deliktrechts, also Folgen aus der so genannten unerlaubten Handlung. In Betracht kommen Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB. Hierzu muss jedoch unterstellt werden, dass die Unfallursache ausschließlich die verstopfte Belüftung der Gastherme gewesen ist. Nur dieser Fall lässt die notwendige Kausalität zwischen der Handlung durch die Vormieter und dem Unfall konstruieren. Da man nicht unterstellen kann, dass die Vormieter den Unglücksfall wollten, also vorsätzlich gehandelt haben, ist entscheidend, ob das Verstopfen der Belüftung zumindest fahrlässig war.

Fährlässigkeit liegt dann vor, wenn jemand bei seiner Handlung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Es muss einer durchschnittlich intelligenten Person auch ohne technischen Sachverstand ohne weiteres einleuchten, dass es gefährlich sein kann, an einer Gastherme zu arbeiten. Ein konkretes Wissen über die Gefahr einer Kohlenmonoxidvergiftung ist hierfür nicht erforderlich. Der Mieter darf sich auch nicht darauf verlassen, dass von ihm geschaffene Gefahrenquelle auch ohne seine Mitwirkung vor der nächsten Inbetriebnahme vom Vermieter behoben wird.

Eine Haftung der Vormieter für die entstandenen Schäden liegt also nahe.

Es lässt sich nach dem derzeitigen Kenntnisstand nicht sagen, ob auch die prüfende Fachfirma oder der Schornsteinfeger Schuld an dem Unglück haben. Ob die Prüfer pflichtwidrig einen solchen Defekt nicht bemerkten, ist bislang unbekannt.

Den Fachleuten überlassen, was gefährlich ist

Im Prinzip ist auch ein Mitverschulden des/der Geschädigten nicht abwegig. Eine solche in § 254 Abs. 1 BGB geregelte Mitursache könnte zum Beispiel darin liegen, dass die Verplombung der Gastherme ohne Wissen oder gegen den Willen der Vermieterin geöffnet worden ist. Ob sich hieraus eine Minderung des Verschuldens der übrigen Beteiligten und damit eine Verringerung des zu zahlenenden Schadensersatzes ergibt, wird im Prozess zu klären sein.

Nach der derzeitigen Sachlage spricht vieles dafür, dass sowohl Vermieter, als auch Vormieter für entstandene Schäden gegenüber den Erben der Geschädigten zivilrechtlich haften. Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit ist hiermit nicht zwingend verbunden. Dies ist aktuell Gegenstand der polizeilichen Ermittlungen.

Solch tragische Unglücksfälle sollten Vermieter jedoch dazu bewegen, vor der Übergabe einer Wohnung sämtliche Gefahrenquellen zu kontrollieren und gegebenenfalls zu beseitigen. Potenzielle Gefahrenquellen finden sich insbesondere in der Elektroinstallation sowie den Einrichtungen für Wasser und Heizung. Häufige Unfälle im Zusammenhang mit Gasheizungen sollten Vermieter dazu veranlassen, vor allem hier besonders aufmerksam zu sein. Im Rahmen einer Prüfung etwa durch den zuständigen Schornsteinfeger wäre die erhöhte Kohlenmonoxidbelastung beim Verbrennungsvorgang mit großer Wahrscheinlichkeit erkannt worden.

Mieter sollten demgegenüber tunlichst darauf verzichten, eigenmächtig Reparaturen oder sonstige Änderungen an der Installation vorzunehmen, und stattdessen auf ihr Recht gegenüber dem Vermieter bestehen.

Der Autor Dominik Schüller ist Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Wohn- und Gewerbemietrecht sowie Immobilienrecht in der Kanzlei SAWAL Rechtsanwälte & Notar in Berlin.

 

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Zitiervorschlag

Dominik Schüller, Familiendrama durch Gasvergiftung: . In: Legal Tribune Online, 02.08.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3915 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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