Euro-Krise und Rettungsschirm: Weicht das Recht der Politik?

Der von den Euro-Staaten am 10. Mai aufgespannte Rettungsschirm sprengt alle bisherigen Dimensionen. Neben der ökonomischen Kritik an diesem Vorgehen wird auch seine rechtliche Zulässigkeit angezweifelt. Doch die europäischen Verträge lassen der Politik mehr Spielraum, als es dem Eindruck der Öffentlichkeit entspricht. Die Verantwortung liegt damit dort, wo sie hingehört.

Am 10. Mai haben die EU-Finanzminister die Errichtung eines gemeinsamen Hilfssystems für Mitglieder der Eurozone beschlossen, die in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Ein Rettungsschirm ähnlich demjenigen, der nur Tage zuvor für Griechenland aufgespannt wurde, soll verhindern, dass an den Finanzmärkten weiterhin auf die Insolvenz einzelner Mitgliedstaaten der Eurozone spekuliert wird und dadurch die Gemeinschaftswährung insgesamt in Gefahr gerät. Das verabschiedete Paket hat drei Komponenten:

  • Die Euro-Staaten übernehmen in ähnlicher Form wie bei der Griechenland-Hilfe Kreditgarantien über eine Gesamtsumme von bis zu 440 Milliarden Euro.
  • Die EU-Kommission stellt aus ihren Mitteln bis zu 60 Milliarden Euro für Kredite bereit.
  • Der Internationale Währungsfonds wird mit der Hälfte der von den Euro-Staaten zugesagten Summe über seine üblichen Kreditlinien eingebunden.

Darüber hinaus hat die Europäische Zentralbank (EZB) zur Unterstützung des Rettungsschirms den Ankauf von Staatsanleihen gefährdeter Staaten zugesagt und mit diesem auch bereits begonnen.

Mit Ausnahme der Einbindung des IWF sind alle diese Maßnahmen im Grundsatz europarechtlich bedenklich.

Art. 125 Abs. 1 AEUV – Die "No-Bail-Out"-Klausel

Soweit die Euro-Staaten wie im Falle Griechenlands bilaterale Hilfen in Form von Krediten bzw. Garantien gewähren, kommt ein Verstoß gegen Art. 125 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in Betracht. Nach dieser Vorschrift haften die Mitgliedstaaten wechselseitig nicht für ihre jeweiligen Verbindlichkeiten und treten auch nicht dafür ein.

Daraus wollen einzelne Stimmen ein grundsätzliches Verbot jeglicher finanziellen Unterstützung innerhalb der Eurozone herleiten. Gegen die Griechenland-Hilfe ist auch bereits eine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig. Die gleichzeitig mit dieser beantragte einstweilige Anordnung hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zwar mit Beschluss vom 7. Mai abgelehnt – allerdings nur aufgrund einer pauschalen Interessenabwägung mit der Begründung, die Nachteile für die Allgemeinheit wögen zu schwer, falls die Hilfe jetzt untersagt und später für rechtmäßig befunden würde.

Diese weitgehende Interpretation der Norm - als ein grundsätzliches Verbot finanzieller Unterstützung der Euro-Staaten untereinander - würde jedoch den Rahmen von Art. 125 AEUV sprengen. Der Sinn dieser Vorschrift besteht darin, alle Formen des finanziellen Einstehenmüssens der Euro-Mitglieder füreinander auszuschließen. Die Betonung dabei liegt aber auf dem Wort "müssen". Gläubiger von Euro-Staaten sollen wissen, dass sie im Falle eines Forderungsausfalls keinen anderen Staat der Eurozone haftbar machen können.

Freiwillige Beistandsleistungen werden dadurch nicht ausgeschlossen. Alles andere würde zu dem sinnwidrigen Ergebnis führen, dass etwa Deutschland jedem Staat der Welt nach freiem politischem Ermessen Kredite und andere finanzielle Hilfen gewähren könnte – nur nicht denjenigen Partnern, mit denen es am engsten verbunden ist und von deren Wohlergehen es am meisten abhängt.

Art. 122 Abs. 2 AEUV – Die Beistandsklausel

Für die direkt von Seiten der Union zu gewährenden Hilfen gilt unter dem Aspekt von Art. 125 Abs. 1 AEUV das Gleiche. Hier entsteht allerdings ein zusätzliches Problem: Nach dem in Art. 7 AEUV festgeschriebenen Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung bedarf die Union dafür einer besonderen Kompetenzgrundlage. Hier bietet sich Art. 122 Abs. 2 AEUV an, nach dem die Union einem Mitgliedstaat finanziellen Beistand gewähren kann, wenn dieser aufgrund von außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, von (gravierenden) Schwierigkeiten betroffen oder ernstlich bedroht ist.

Ob die Probleme, die sich der Kontrolle des betreffenden Mitgliedstaates entziehen, von diesem selbst verursacht sind, spielt dabei eigentlich keine Rolle. Dennoch wird versucht, aus dieser Formulierung abzuleiten, dass Beistand nur in solchen Situationen gewährt werden dürfe, die auch finanziell gesunde Staaten in ihrer Zahlungsfähigkeit bedrohten.

Auf eine solche Einschränkung hat man bei der Formulierung von Art. 122 Abs. 2 AEUV aber gerade verzichtet. Die Einschätzung der Lage und der Notwendigkeit eines Beistands bleibt daher mit guten Gründen bei den politischen Organen der Union.

Art. 123 AEUV – Das Schuldtitelerwerbsverbot

Hinsichtlich des Verhaltens der Europäischen Zentralbank ist Art. 123 AEUV zu beachten, der ein Verbot der Finanzierung mitgliedstaatlicher Haushalte durch die EZB statuiert. Dazu werden direkte Zentralbankkredite ebenso verboten wie der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln, das heißt Staatsanleihen.

Die EZB umgeht dieses Verbot zur Zeit, indem sie die Anleihen der betroffenen Staaten nicht direkt von den öffentlichen Emittenten übernimmt, sondern mittelbar am Kapitalmarkt erwirbt. Auch hierfür gilt jedoch: Das Wort "unmittelbar" ist bewusst in Art. 123 AEUV aufgenommen worden, um der Zentralbank eine Offenmarktpolitik ohne größere Begrenzungen zu ermöglichen. Man kann es nicht nachträglich im Wege der Interpretation wieder aus dem Vertrag streichen.

Der Rettungsschirm ist damit in allen seinen Aspekten von europäischem Recht gedeckt. Dennoch bleibt ein gewisses Unwohlsein zurück: Die gegenwärtige Krise zeigt, dass die Währungsunion nicht zum Nulltarif zu haben war. Der in Art. 125 Abs. 1 AEUV festgeschriebene Haftungsausschluss behält zwar seinen Sinn – aber es wird deutlich, dass dieser nur in der Gewährleistung eines Notausgangs besteht.

Wenn alle Stricke reißen, können die einzelnen Mitgliedstaaten aus der Währungsgemeinschaft flüchten, ohne die Schulden der anderen mitnehmen zu müssen. Umgekehrt wird die Gemeinschaftswährung jedoch nur so lange Bestand haben, wie sich die Mitgliedstaaten – wie soeben geschehen – politisch nach außen als Haftungsgemeinschaft definieren.

Es ist nicht zu leugnen, dass das bei der Vereinbarung des Maastrichter Vertrages so nicht gesehen oder jedenfalls nicht so dargestellt wurde. Inwieweit das ökonomisch als positiv oder negativ zu bewerten ist, ist eine andere Frage. Das Recht entscheidet diese Frage aber nicht. Vielmehr überlassen die europäischen Verträge diese Beurteilung bewusst den politischen Entscheidungsorganen. Und die Politik wird auch die Verantwortung zu tragen haben, wenn es schiefgeht.

Der Autor Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz ist Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches und Ausländisches Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Zitiervorschlag

Ralph Alexander Lorz, Euro-Krise und Rettungsschirm: . In: Legal Tribune Online, 14.05.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/525 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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