Krankheit, Urlaub und dessen Übertragbarkeit: ein leidiges Thema im Job. Nach einem neuen Urteil des EuGH ist zumindest für bestimmte Bereiche klar, dass Urlaub gesetzlich oder gemäß Tarifvereinbarung nach 15 Monaten verfallen darf. Dies gilt auch dann, wenn er wegen langfristiger Krankheit nicht genommen werden kann. Wer kann sich freuen?, fragt Susanne Boller.
Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr genommen werden. Ins folgende Kalenderjahr kann er nur übertragen werden, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Mitarbeiters liegende Gründe dies rechtfertigen.
Im Falle einer solchen Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten genommen sein, sonst verfällt er. So sieht es unser derzeitiges deutsches Bundesurlaubsgesetz (BUrlG). So weit, so klar. Aber was passiert, wenn der Mitarbeiter langfristig, über mehrere Monate oder gar Jahre krank ist? Behält er seinen Urlaubsanspruch?
Nach dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) war klar: War der Urlaub aus einem Jahr nicht bis spätestens zum 31. März des Folgejahres genommen, war er futsch. Das galt selbst dann, wenn er gar nicht genommen werden konnte, weil der Mitarbeiter bis zum 31. März dieses Folgejahres krank war.
Früher galt: Wer länger krank war, hatte auch beim Urlaub Pech
Gut für den Arbeitgeber, denn er wusste schnell, ob er eine etwaige Rückstellung für Urlaubsansprüche auflösen konnte. Pech für den Mitarbeiter, der nicht nur krank war, sondern auch noch zum 31. März des Folgejahres seine Urlaubsansprüche verlor.
Und wenn der Mitarbeiter den Urlaub nicht nehmen konnte, weil er bis zu seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis krank war?
Bis Januar 2009 war auch insofern klar: Dann sollte eine Urlaubsabgeltung nur zulässig sein, wenn der Mitarbeiter bis zum 31. März des Folgejahres wieder gesundete und den Urlaub bei einem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses hätte nehmen können. Pech wiederum in diesem Fall für den Arbeitgeber: Denn hier musste der Chef erst einmal bis zum 31. März des nächsten Jahres abwarten, ob der ausgeschiedene Mitarbeiter nicht doch noch rechtzeitig gesund wurde und seine Urlaubsabgeltungsansprüche geltend machte.
EuGH zum Ersten: Kein Verfall wegen Erkrankung
Zur Freude der Mitarbeiter und zum Leidwesen der Arbeitgeber leitete der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit einer Entscheidung vom 20. Januar 2009 (Az.: C 350/06) einen gravierenden Wandel der bisherigen Rechtslage ein.
Nach diesem Urteil nämlich darf ein nationales Gesetz nicht vorsehen, dass Urlaubsansprüche verfallen, wenn der Mitarbeiter den Urlaub wegen Erkrankung während des Bezugszeitraums und bis zum Ablauf des Übertragungszeitraums nicht nehmen konnte. Auch der Urlaubsabgeltungsanspruch soll in einem solchen Fall nicht mehr entfallen dürfen.
Dem schloss sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seinem Urteil vom 24. März 2009 (Az.: 9 AZR 983/07) an und ging in seinen Folgeentscheidungen sogar über die EuGH-Rechtsprechung hinaus. Die Konsequenz hieraus war, dass, wenn ein Mitarbeiter seinen Urlaub wegen langfristiger Erkrankung auch bis zum 31. März des Folgejahres nicht nehmen konnte, er jedenfalls seinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub von vier Wochen und bei einer anerkannten Schwerbehinderung von weiteren fünf Tagen behielt. Nach dieser Rechtsprechung schien es also so, dass ein erkrankter Mitarbeiter Urlaubsansprüche unbegrenzt ansammeln konnte.
EuGH zum Zweiten: Ein Übertrag von 15 Monaten ist in Ordnung
Jedenfalls ein Teil der Chefs darf sich seit dem 22. November 2011 freuen. Denn mit seinem Urteil hat der EuGH dem unbeschränkten Ansammeln von Urlaubsansprüchen bei langfristiger Erkrankung einen ersten Riegel vorgeschoben (Az.: C-214/10). Dies gilt insbesondere für tarifvertraglich gebundene Arbeitgeber. Solche ohne Tarifbindung müssen hingegen weiter abwarten.
Klargestellt ist nach dieser Entscheidung, dass ein nationales Gesetz und Tarifverträge regeln dürfen, dass und wann Urlaubsansprüche auch bei langfristiger Erkrankung verfallen. Dementsprechend darf auch ein Übertragungszeitraum beschränkt werden. Die Dauer der Übertragbarkeit muss den Zeitraum, in dem der Urlaub an sich genommen werden muss, deutlich überschreiten. Der Arbeitgeber muss hierbei davor geschützt werden, dass Mitarbeiter zu lange Abwesenheitsperioden ansammeln und er deshalb in Schwierigkeiten bei der Arbeitsorganisation kommt. Der EuGH kommt daher zu dem Schluss, dass ein gesetzlich oder tarifvertraglich geregelter Übertragungszeitraum von 15 Monaten nach Ablauf eines Kalenderjahres zulässig ist.
Das aktuelle Urteil aus Luxemburg lässt zahlreiche Fragen offen. So ist unklar, ob auch ein in einem individuellen Arbeitsvertrag geregelter Übertragungszeitraum von 15 Monaten zulässig ist. Die weitere Rechtsprechung bleibt also abzuwarten. Offen ist aber auch die Frage, ob Urlaubsabgeltungsansprüche drei Jahre nach ihrem Entstehen verjähren. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hatte beispielsweise in zwei Urteilen von Oktober 2010 die Anwendung dieser gesetzlichen Verjährungsfrist bejaht. Über die hiergegen eingelegten Revisionen wird das BAG frühestens im Laufe des Jahres 2012 entscheiden. Auch bleibt vorerst ungeklärt, ob und wann unser Gesetzgeber das BUrlG reformiert. Eine Änderung ist längst überfällig. Bis diese kommt, werden die Juristen und insbesondere der EuGH sowie das BAG die offenen Fragen zu beantworten haben. Zur Freude des einen und zum Leidwesen des jeweils anderen im Arbeitsverhältnis.
Die Autorin Susanne Boller ist Fachanwältin für Arbeitsrecht bei FPS Rechtsanwälte & Notare in Frankfurt am Main.
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Susanne Boller, EuGH zum Verfall von Urlaubsansprüchen: . In: Legal Tribune Online, 24.11.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4886 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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