Großbritannien hat am Mittwoch eine Klage vor dem EuGH gegen die Einführung einer Finanztransaktionssteuer im Wege einer Verstärkten Zusammenarbeit verloren. Es wird nicht die letzte Klage gewesen sein, meinen Rainer Wernsmann und Cornelia Zirkl. Zu groß ist die Angst vor einer Schwächung des Londoner Finanzplatzes. Unterdessen geraten die Verhandlungen über die Einführung der Steuer ins Stocken.
Die ablehnende Haltung Großbritanniens gegenüber der Finanztransaktionssteuer ist nichts Neues. So scheiterte bereits der Vorschlag der Kommission zur Einführung einer solchen Steuer von 2011 insbesondere am Widerstand Großbritanniens. In der Folge wurde der Gedanke geboren, die Steuer im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit mit nur elf Mitgliedstaaten umzusetzen.
Gegen einen entsprechenden Beschluss des Rates erhob Großbritannien nun erfolglos Nichtigkeitsklage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) (Urt. v. 30.04.2014, Az. C-209/13).
Die Briten müssen abwarten
Das Land fürchtet negative Auswirkungen der Finanztransaktionssteuer auf seinen Finanzsektor und auf den Finanzstandort London. Grund dafür ist das im aktuellen Richtlinienvorschlag von 2013 geregelte "Ausgabeprinzip".
Danach ist die Steuer auch von Finanzinstituten zu entrichten, die in einem Mitgliedstaat ansässig sind, der nicht an der Verstärkten Zusammenarbeit teilnimmt, wenn sie mit einem Finanzinstrument handeln, das in einem teilnehmenden Mitgliedstaat ausgegeben wurde. Eine Londoner Bank, die mit einer an der Frankfurter Börse ausgegebenen Aktie handelt, müsste also beispielsweise die Finanztransaktionssteuer an die deutschen Steuerbehörden entrichten.
Die britische Regierung sieht wegen dieser "extraterritorialen Wirkung" der Steuer Zuständigkeiten und Rechte Großbritanniens beeinträchtigt. Dies sei ein Verstoß gegen Völkergewohnheitsrecht und Art. 327 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), der ausdrücklich regele, dass eine Verstärkte Zusammenarbeit die Zuständigkeiten, Rechte und Pflichten der nicht beteiligten Mitgliedstaaten zu achten habe. Außerdem befürchtet Großbritannien, dass ihm durch die Steuer trotz Nichtteilnahme an der Verstärkten Zusammenarbeit zwangsläufig Kosten entstehen.
Das überzeugte die Luxemburger Richter nicht. Die Klage richte sich nur gegen die Ermächtigung zu einer Verstärkten Zusammenarbeit. Daher könne sich die gerichtliche Kontrolle auch nur auf diese Ermächtigung erstrecken. Die von Großbritannien vorgebrachten Bedenken bezogen sich jedoch auf Elemente einer zukünftigen möglichen Finanztransaktionssteuer, die sich derzeit lediglich aus Vorschlägen der Kommission ergeben. Großbritannien muss also noch abwarten, seine Argumente kann es erst im Rahmen einer Nichtigkeitsklage gegen die – derzeit noch in der Entstehungsphase befindliche – Richtlinie ins Feld führen.
Besteuerung ausländischer Sachverhalte
Inhaltlich stört sich Großbritannien daran, dass allein die Ausgabe eines Finanzinstruments in Deutschland keine hinreichende Verbindung (genuine link) für die Besteuerung einer in Großbritannien stattfindenden Transaktion sei. Ein extraterritoriales Handeln verlangt aber nach dem Völkerrecht einen solchen genuine link.
Im Steuerrecht bedeutet dies, dass ein Staat ausländische Sachverhalte nur besteuern darf, wenn diese Vorgänge einen wirtschaftlichen Bezug zum Inland aufweisen. Typischerweise sind Standort, eine inländische Einkünftequelle oder auch die Staatsangehörigkeit (so ziehen z.B. die USA ihre Staatsangehörigen zur Einkommensteuer heran, auch wenn diese nicht in den USA ansässig sind und dort auch keine inländischen Einkünfte haben) solche möglichen Anknüpfungspunkte.
Sollte Großbritannien gegen eine künftige Richtlinie klagen und der EuGH feststellen, dass tatsächlich ein genuine link fehlt, wäre damit aber noch nicht gesagt, dass er die Steuer auch für unionsrechtswidrig erachtet. Bei bloßen Verletzungen des Völkerrechts haben die Luxemburger Richter einer Klage bisher nur bei offensichtlichen Verstößen stattgegeben.
Zähe Verhandlungen
Die nun abgewiesene Klage Großbritanniens ist nur ein Beispiel dafür, wie schwierig sich die Einführung der Finanztransaktionssteuer gestaltet. So stocken seit geraumer Zeit auch die Verhandlungen in Brüssel, so dass die geplante Einführung der Steuer zum 1. Januar 2014 auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschoben wurde.
Die Modalitäten der Steuer bieten ausreichend Zündstoff für Streit unter den teilnehmenden Mitgliedstaaten. Ursprünglich sollten alle Aktiengeschäfte mit 0,1 Prozent und jeder Handel mit Derivaten mit 0,01 Prozent besteuert werden ("All markets! All instruments! All actors!"). Mittlerweile erscheint es wahrscheinlich, dass am Ende doch einige Transaktionen von der Steuer ausgenommen werden.
Auch kompetenzrechtliche Bedenken werden geäußert. So halten einige Art. 113 AEUV, der zur Harmonisierung indirekter Steuern ermächtigt, nicht für eine taugliche Kompetenzgrundlage. Denn bisher kennen nur Italien und Frankreich solche Rechtsvorschriften, die harmonisiert werden könnten. Auch ob eine "indirekte Steuer" vorliegt, bezweifeln manche angesichts des im Richtlinienvorschlag ausdrücklich genannten Ziels, sich mit der Steuer von den Finanzinstituten einen Teil der während der Finanzkrise geflossenen Hilfsgelder als Ausgleich zurückzuholen. Außerdem gibt es bis jetzt noch wenig Erfahrung mit dem erst im Lissaboner Vertrag eingeführten Institut der Verstärkten Zusammenarbeit.
"Präventive" Rechtsangleichung
Zudem schürt die Finanzwirtschaft die Bedenken gegen die geplante Finanztransaktionssteuer. Sie befürchtet eine Abwanderung von Handelsumsätzen in andere Länder, die eine solche Steuer nicht kennen, und eine damit verbundene Schwächung Europas als Wirtschaftsstandort im weltweiten Wettbewerb. Ob statt des Ziels, den Finanzsektor zur Kasse zu bitten, nicht letztlich der Bankkunde mit der Abgabe belastet wird, ist eine andere Sorge.
Andererseits ist angesichts der Finanzkrise die Verbesserung der Finanzmarktstabilität ein dringliches Ziel. Auch aus Sicht der europäischen Idee erscheint eine wenigstens in elf Mitgliedstaaten einheitliche Steuer gegenüber elf verschiedenen, parallel geltenden Systemen vorzugswürdig. Es spricht also vieles dafür, eine Rechtsangleichung gleichsam "präventiv" zuzulassen, wenn sonst eine Rechtszersplitterung einzutreten droht.
Das Urteil vom Mittwoch dürfte den Widerstand Großbritanniens nicht beseitigt haben, da der EuGH (noch) nicht in der Sache entschieden hat. Sollte die Finanztransaktionssteuer eingeführt werden, könnte Großbritannien erneut – dann gegen die Richtlinie – Nichtigkeitsklage erheben. Äußerungen des britischen Finanzministeriums nach dem Urteil gehen bereits in diese Richtung. Eine Tendenz, wie der EuGH letztlich zur Finanztransaktionssteuer steht, lässt sich noch nicht erkennen. Großbritannien hat eine erste Schlacht gegen die Finanztransaktionssteuer verloren, die entscheidende steht aber erst noch bevor.
Der Autor Prof. Dr. Rainer Wernsmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht, insbesondere Finanz- und Steuerrecht.
Die Autorin Cornelia Zirkl ist dort wissenschaftliche Mitarbeiterin.
Britischer Kampf gegen die Finanztransaktionssteuer: . In: Legal Tribune Online, 02.05.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11850 (abgerufen am: 31.10.2024 )
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