Deutsche Sprachtests für türkische Ehepartner verstoßen gegen Unionsrecht – diese Schlussfolgerung aus dem Urteil des EuGH von Donnerstag ist zu kurz, meint Daniel Thym. Die Luxemburger Richter erlauben die Tests durchaus, dabei muss der deutsche Gesetzgeber lediglich individuelle Interessen in einen ausgewogenen Ausgleich mit staatlicher Integrationsförderung bringen.
Deutschtests für Ehegatten gehören zu den umstrittensten Regeln des deutschen Aufenthaltsgesetzes: Ausländische Ehepartner müssen in vielen Fällen "einfache deutsche Sprachkenntnisse" nachweisen, bevor eine deutsche Botschaft ein Visum für den Familiennachzug ausstellt.
Hierzu befand der Europäische Gerichtshof (EuGH) ausweislich des Titels der Pressemitteilung vom Donnerstag, dass die deutsche Regelung "gegen das Unionsrecht verstößt" (Urt. v. 10.07.2014, Az. C-138/13 ). Schnell übernahmen Online-Medien dieses pauschale Fazit, obgleich der Inhalt des Urteils weniger eindeutig ausfällt. Im Kern stößt sich der EuGH an der Strenge der aktuellen Rechtslage; die Luxemburger Richter verlangen mehr Flexibilität, aber keineswegs einen generellen Verzicht auf Sprachtests.
Einschränkungen nur für türkische Staatsangehörige
Bemerkenswert ist die Entscheidung zuerst einmal für ihre Selbstbeschränkung. Der EuGH umgeht ganz bewusst eine Festlegung zu der Frage, ob die europäischen Grundrechte den Deutschtests allgemein entgegenstehen. Ein solches Ergebnis wäre rechtlich auch schwer zu begründen gewesen, da der EU-Gesetzgeber selbst in der Familienzusammenführungs-Richtlinie ausdrücklich niedergelegt hatte, dass die Mitgliedstaaten "gemäß dem nationalen Recht von Drittstaatsangehörigen verlangen (können), dass sie Integrationsmaßnahmen nachkommen müssen" (Art. 7 Abs. 2). Die Forderung nach Sprachtests ist mithin kein deutscher Sonderweg. Vergleichbare Regelungen gibt es auch in anderen EU-Staaten.
Zur Auslegung dieser Richtlinie schweigt der EuGH ebenso wie zu der Frage, ob die Richtlinie und/oder ihre deutsche Umsetzung mit europäischen Grundrechten vereinbar sind. Stattdessen konzentrieren sich die Richter auf das Assoziierungsabkommen, das die frühere Europäische Wirtschaftsgemeinschaft im Jahr 1963 mit der Türkei schloss und im Jahr 1970 um ein Zusatzprotokoll ergänzte. Einzelheiten über die Einreise von Arbeitskräften oder Familienmitgliedern sind dort bis heute nicht geregelt. Allerdings umfasst das Zusatzprotokoll in Art. 41 eine sogenannte Standstill-Klausel, die "neue Beschränkungen" der Niederlassungsfreiheit verbietet und damit letztlich den Rechtszustand des Jahres 1973 einfriert, als das Zusatzprotokoll für Deutschland in Kraft trat.
Auf diese Regelung stützt sich der EuGH, wenn er feststellt, dass der Ehemann der Klägerin selbstständig tätig ist und die Verweigerung des Ehegattennachzugs daher eine Beschränkung seiner Niederlassungsfreiheit im Sinn der Standstill-Klausel ist. Hieraus folgt einschränkend, dass das Urteil nur türkische Staatsangehörige betrifft, die entweder selbst in Deutschland einer Erwerbstätigkeit nachgehen wollen oder die zu ihrem Ehepartner ziehen wollen, der dies tut. Zu anderen Herkunftsländern trifft der EuGH keine Aussage; das Urteil betrifft nur die Türkei. Rechtspolitisch dürfte diese Abstufung dennoch keine entscheidende Rolle spielen, weil der Familiennachzug speziell aus der Türkei immer im Zentrum der deutschen Diskussion um die Sprachtests stand.
Kein generelles Verbot von Sprachkenntnissen
Es mag dem Wunsch der Journalisten nach klaren Aussagen geschuldet sein, dass die Medien das Urteil schnell zu einer Generalabrechnung mit den Deutschtests erhoben. Das Kleingedruckte des knappen Urteilstexts trägt ein solch generelles Fazit jedoch nicht. Dies liegt daran, dass die EU-Richter die Standstill-Klausel in einer im Detail durchaus bemerkenswerten Rechtsprechungswende zu einem Beschränkungsverbot umbauen, das nicht anders als der Warenverkehr oder die Arbeitnehmerfreizügigkeit im EU-Binnenmarkt eine ungeschriebene Rechtfertigungsmöglichkeit umfasst. Danach sind die Sprachtests zwar eine Beschränkung der Rechte, die das Assoziierungsabkommen gewährt. Diese Beschränkung kann aber gerechtfertigt sein und der EuGH erkennt die Ziele der deutschen Regelungen, Zwangsheiraten zu vermeiden und die Integration zu fördern, auch als Gemeinwohlziele an, die eine Beschränkung rechtfertigen können.
Allerdings halten die Richter die aktuelle Regelung nicht für verhältnismäßig, weil "der fehlende Nachweis des Erwerbs hinreichender Sprachkenntnisse automatisch zur Ablehnung des Antrags auf Familienzusammenführung führt, ohne dass besondere Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden". Dies ist gerade kein generelles Verbot von Sprachtests, sondern die Forderung, Ausnahmen in besonderen Umständen zuzulassen.
Dieses Ergebnis hat den Charme, dass der EuGH einen unausgesprochenen Gleichklang mit den Grundrechten ermöglicht. Formal betrifft das Urteil zwar nur das Assoziierungsabkommen, in der Sache gilt für die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und die Charta der Grundrechte aber ähnliches. Nach der etablierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) folgt aus dem Grundrecht auf Achtung des Familienlebens kein generelles Einreiserecht, weil die Familieneinheit auch im Ausland gelebt werden kann und die Zielstaaten darüber hinaus entgegenstehende Gemeinwohlbelange berücksichtigen dürfen.
Aus diesen Vorgaben der Grundrechte folgerten das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 30.03.2010, Az. 1 C 8.09), das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 25.03.2011, Az. 2 BvR 1413/10) und der britische High Court of Justice (Urt. v. 16.12.2011) vollkommen zu Recht, dass die Forderung nach Sprachkenntnissen vor der Einreise grundrechtskonform sei, solange es Ausnahmen für besondere Umstände gibt. Eben dies übernimmt der EuGH in der Sache nun für das Assoziierungsrecht.
Balance aus individuellen Interessen und gesellschaftlicher Integrationsförderung
Mit guten Gründen sind die Sprachtests rechtspolitisch umstritten. Sie eignen sich in besonderer Weise dafür, eine Grundfrage der Migrationspolitik in zugespitzter Form sichtbar zu machen: Welches Gewicht besitzen persönliche Interessen der Migranten und inwiefern kann die Aufnahmegesellschaft restriktive Vorgaben treffen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt und sonstige Gemeinwohlbelange fördern? Speziell die Sprachkenntnisse verweisen hierbei auf ein Grunddilemma moderner und pluralistischer Gesellschaften, wenn die Kriterien für die kollektive Identitätsbildung und die Voraussetzungen der sozialen Kohäsion brüchig werden und umstritten bleiben.
Der EuGH und der EGMR sind als überstaatliche Gerichte gut beraten, solche Fragen einer grundrechtlichen Kontrolle zu unterwerfen und anschließend in den nationalen Diskursraum zurückzuverweisen – wie es das aktuelle Urteil macht. Auf dieser Grundlage muss nun die deutsche Politik entscheiden. Wenn die Mehrheit an den Sprachtests festhalten möchte, verlangt eine Minimalumsetzung des Urteils einzig die Einführung einer Ausnahme, die die Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls ermöglicht.
Tatsächlich kennt das Aufenthaltsgesetz schon heute Ausnahmen von den Deutschtests, etwa für Personen mit Hochschulabschluss, bei Krankheit oder Behinderung sowie für Flüchtlinge. Eine weitere Ausnahme für Härtefälle folgerte das Bundesverwaltungsgericht schon früher aus den Grundrechten (Urt. v. 30.03.2010, Az. 1 C 8.09) – ganz ähnlich wie es der EuGH nun explizit einfordert. Wenn eine solche erweiterte Ausnahme eingeführt wird, können weiterhin Sprachtests als Regelvoraussetzung verlangt werden. Es wäre dies eine Balance aus individuellen Interessen und gesellschaftlicher Integrationsförderung, wie sie das aktuelle EuGH-Urteil im Ergebnis einfordert.
Prof. Dr. Daniel Thym, LL.M. ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht mit Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz und Kodirektor des dortigen Forschungszentrums Ausländer- und Asylrecht (FZAA).
Daniel Thym, Deutschtest für zuwandernde Ehegatten: . In: Legal Tribune Online, 10.07.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12527 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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