Nach EuGH-Urteil zur Löschung von Suchergebnissen: Wie vergesslich muss Google werden?

Seit dem Urteil des EuGH zum "Recht auf Vergessenwerden" wird Google mit Löschanträgen überhäuft, inzwischen sind es über 40.000. Sie rechtssicher zu handhaben, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Der Konzern steht vor der Wahl, einen großen Teil des Internets von der europäischen Landkarte zu streichen oder sich in zahlreichen Prozessen mit unsicherem Ausgang verklagen zu lassen.

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Recht auf Vergessenwerden polarisiert wie kaum eine zweite. Die einen sehen darin eine längst überfällige Möglichkeit, ihr (Privat-)Leben gegen die ungewollte Zurschaustellung im Internet zu schützen, die anderen einen digitalen Radiergummi, um fast nach Belieben unliebsame Abschnitte aus Lebensläufen zu löschen und Geschichtsklitterung zu betreiben.

Vor der Entscheidung aus Luxemburg mussten Bürger in Deutschland, die mit der Publikation persönlicher Daten auf einer Internetseite nicht einverstanden waren, unmittelbar gegen die Betreiber der betreffenden Seite vorgehen. Wurden ihre Persönlichkeitsrechte dort tatsächlich verletzt,  war gerichtlicher Beistand auch bisher schon zu erlangen - wenn auch unter gewissen praktischen Einschränkungen: Contentanbieter mit Sitz außerhalb von Deutschland waren oft nur schwer oder überhaupt nicht haftbar zu machen.

Suchmaschinenanbieter haften praktisch für das gesamte Internet

Ein Anspruch gegen Suchmaschinenanbieter wurde hingegen ganz überwiegend verneint: Diese seien für die Inhalte schließlich nicht verantwortlich, sondern machten sie lediglich auffindbar, befanden die meisten deutschen Gerichte.

Eine Ausnahme hiervon hatte Anfang des Jahres bereits das Landgericht Hamburg gemacht und den Bildersuchdienst von Google verpflichtet, Fotos nicht mehr zu listen, die den ehemaligen FIA-Präsidenten Max Mosley bei einer Sexparty zeigten. Die Entscheidung war jedoch ein Einzelfall, nicht höchstrichterlich bestätigt und betraf zudem einen besonders krassen Eingriff in die Privatsphäre – ein allgemeines Prinzip der Haftung von Suchmaschinen war damit nicht etabliert.

Seit dem EuGH-Urteil sieht es anders aus. Danach muss Google auf Antrag Seiten sperren, welche die Persönlichkeitsrechte der Antragsteller verletzen. Diese verschwinden dadurch zwar nicht aus dem Internet, sind jedoch über die Suche nicht mehr aufzufinden.

Für die Geschädigten ist das deutlich komfortabler: Sie haben einen klaren und problemlos zu ermittelnden Ansprechpartner. Für Suchmaschinenbetreiber ist die Entscheidung  hingegen eine Katastrophe: Ihnen wird faktisch eine Verantwortung für das gesamte Internet aufgebürdet, der sie unmöglich gerecht werden können.

Jeder Mitgliedstaat wird eigene Maßstäbe entwickeln

Die Frage, ob eine Seite gelöscht werden muss oder nicht, ist alles andere als einfach zu beantworten. "Der Gerichtshof hat hierfür praktisch überhaupt keine verwertbaren Kriterien aufgestellt", sagt Niko Härting, der sich intensiv mit dem deutschen und europäischen Internet- und Datenschutzrecht befasst. Vielmehr müssten die Gerichte der Mitgliedstaaten diese Frage jeweils gesondert und nach Maßgabe ihrer nationalen Rechtsordnungen beantworten.

Dass die Antwort nicht einhellig ausfallen wird, liegt auf der Hand. Vielmehr wird jeder Staat im Detail unterschiedliche Akzente setzen, der eine den Datenschutz, der andere die Informationsfreiheit stärker betonen. Hinzu kommt, dass Wertungsunterschiede nicht nur zwischen den Mitgliedstaaten, sondern auch innerhalb selbiger auftreten können und werden: Bis zur Herausbildung einer klaren, höchstrichterlichen Rechtsprechung gehen bekanntlich Jahre ins Land.

Sorgfältige Prüfung bei zehntausenden von Einzelfällen?

Sehr viel schneller geht es hingegen auf Seiten der Antragsteller zu: Bereits innerhalb der ersten 24 Stunden nach Freischaltung eines entsprechenden Formulars erreichten Google rund 12.000 Löschanträge, nach sechs Tagen waren es bereits 41.000. Auch wenn es in diesem Tempo nicht weitergehen wird, ist dem Unternehmen doch ein steter Strom von – mal berechtigten, mal unberechtigten und oft grenzwertigen – Anträgen auf Jahre hinaus sicher.

"Bei der Umsetzung dieser Entscheidung werden wir jeden Antrag einzeln prüfen und zwischen den Datenschutzrechten des Einzelnen und dem Recht der Öffentlichkeit auf Auskunft und Informationsweitergabe abwägen", kündigt das Unternehmen auf der Webseite an. Aber wie realistisch ist dieses Versprechen? Die sorgfältige Bearbeitung einer solch gewaltigen Menge von Anträgen würde Unmengen an Zeit und Geld verschlingen – und könnte in Ermangelung klarer Kriterien für oder gegen die Löschung doch keine wasserdichten Ergebnisse liefern. Eine Auskunft zur geplanten praktischen Umsetzung der Entscheidung aus Luxemburg war von Google auch auf mehrfache Nachfrage der LTO-Redaktion nicht zu erhalten.

Private Unternehmen unfreiwillige Wächter der Informationsfreiheit

Am schnellsten, sichersten und kostengünstigsten wäre es für den Internetkonzern daher, pauschal sämtlichen Löschersuchen stattzugeben: Klagen wäre somit von Anfang an die Grundlage entzogen und die Bearbeitung könnte vollautomatisch erfolgen. Für das (europäische) Internet wäre das indes verheerend: Nach Belieben könnten etwa Politiker Berichte über frühere Skandale löschen lassen, Verbrecher ihre Straftaten oder Ärzte negative Bewertungen aus dem digitalen Gedächtnis streichen – entsprechende Anträge hat es bereits am Tag nach dem Urteil gegeben.

Damit wird das private Unternehmen Google in die Not gebracht, das öffentliche Gut der Informationsfreiheit zu verteidigen – eine absurde Situation. Immerhin: Der Suchmaschinenriese kann es sich leisten, Geld ist bei ihm genug vorhanden.

Ganz anders sieht die Lage für kleinere Anbieter aus, die das EuGH-Urteil ebenso betrifft. Der Personensuchdienst Yasni etwa kündigt auf seinem hauseigenen Blog unter der Überschrift "Warum Yasni gegen Zensur ist – und sie dennoch zulassen muss" in einem sichtlich frustrierten Beitrag an, dass Löschanträge künftig in der Regel bewilligt werden müssten.

Wie Google mit den Anträgen praktisch umgehen wird, ist ungewiss. Ole Schröder, Staatssekretär im Innenministerium, hat etwa die Schaffung von Schlichtungsstellen ins Spiel gebracht. Deren Gebrauch wäre aber optional – und ohnehin erscheint fraglich, wie bei der binären Entscheidung zwischen Löschen und Nicht-Löschen ein Kompromiss erzielt werden könnte.

Mit Blick auf die Entscheidung des EuGH, welcher dem Persönlichkeitsrecht einen deutlichen Vorrang gegenüber dem öffentlichen Informationsrecht  einräumt, werden wohl viele Antragsteller eisern auf einer Löschung beharren – und die Demenz der Suchdienste notfalls per Gerichtsentscheid erzwingen.

Zitiervorschlag

Constantin Baron van Lijnden, Nach EuGH-Urteil zur Löschung von Suchergebnissen: . In: Legal Tribune Online, 05.06.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12183 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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