EuGH zur grenzüberschreitenden Zustellung: Euro­päi­sche Gerichte bald als Kurier­di­enste?

von Dipl.-Jur. Yannick Diehl

11.11.2015

2/2: EuGH: auch private Schriftstücke, die Anspruch beweisen oder wahren sollen

Diesem unklaren Zustand hat der EuGH nun ein Ende bereitet. Unter einem "außergerichtlichen Schriftstück" sind nicht nur Behördenschriftstücke und Schriftstücke von Amtspersonen zu verstehen, sondern auch private Schriftstücke, sofern sie zur Geltendmachung, zum Beweis oder zur Wahrung eines Rechts oder Anspruches in Zivil- und Handelssachen erforderlich sind (EuGH, Urt. v. 11.11.2015, Az. C-223/14. Auch schriftliche Mahnungen, Kündigungen oder Aufrechnungserklärungen fallen also in den Anwendungsbereich der EuZVO.

Mit der Beschränkung auf solche privaten Schriftstücke, "deren förmliche Übermittlung […] zum Beweis oder zur Wahrung eines Rechts oder Anspruchs in Zivil- oder Handelssachen erforderlich ist", begegnet der EuGH der Befürchtung, dass die zuständigen Stellen nun zu Kurierdiensten für private Schriftstücke wie Mahnungen werden könnten.

Eine Zustellung nach der EuZVO ist, so der Gerichtshof, auch dann zulässig, wenn bereits zum zweiten Mal zugestellt wird. Dabei kommt es nicht darauf, ob die erste Zustellung nach der EuZVO erfolgt ist oder nicht.

Neue Fragen

Aber es werden sich künftig neue Abgrenzungsfragen stellen, etwa die, ob auch einfache Fristsetzungen oder gar bloße nach deutschem Recht verjährungshemmende Verhandlungsschreiben (§ 203 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB) förmlich zugestellt werden können.

Auf der Suche nach den Antworten wird zu berücksichtigen sein, dass der EuGH mit dieser Auslegung zentrale Ziele der Europäischen Union fördern will: die Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen und die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.

Es ist Zweck der EuZVO, auf welchen der EuGH ausdrücklich Bezug nimmt, einen reibungslosen und zuverlässigen europäischen Binnenmarktes zu gewährleisten. Diese Voraussetzung muss aber nicht für jede Zustellung im Einzelfall vorliegen, stellen die Luxemburger Richter klar. Diese Zielsetzung der Verordnung wird ihrer Ansicht nach vielmehr bei Vorliegen der Anwendungsvoraussetzungen zwangsläufig verwirklicht.

Mit der Entscheidung knüpft der EuGH an seine Rechtsprechung aus dem Jahr 2009 an und weitet den Begriff des außergerichtlichen Schriftstücks erneut aus. Es wird für Rechtssicherheit sorgen, dass nun eine vollständige Definition vorliegt. Bei den gemachten Einschränkungen sollte es bleiben: Die neue Definition sorgt dafür, dass nicht jedes beliebige private Schriftstück zugestellt werden muss.

Vor einer bevorstehenden Kurierdiensttätigkeit für private Liebesbriefe müssen sich die nationalen zentralen Stellen also nicht fürchten.

Der Autor Dipl.-Jur. Yannick Diehl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Europäisches Privatrecht, Internationales Privat- und Verfahrensrecht und Rechtsvergleichung von Univ.-Prof. Dr. Götz Schulze an der Universität Potsdam. Er promoviert auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts.

Zitiervorschlag

EuGH zur grenzüberschreitenden Zustellung: . In: Legal Tribune Online, 11.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17518 (abgerufen am: 05.11.2024 )

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