Ob Internetprovider von nationalen Gerichten verpflichtet werden können, ihren Kunden den Zugriff auf urheberrechtsverletzende Webseiten zu sperren, war bislang umstritten. Der EuGH hat die Frage am Donnerstag bejaht – und damit ein richtungsweisendes Urteil gefällt, ohne die Problematik komplett durchdrungen zu haben, meint Thomas Stadler.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat heute entschieden, dass Provider, die den Zugang zum Internet ermöglichen, grundsätzlich nach nationalem Recht dazu verpflichtet werden können, ihren Kunden den Zugriff auf urheberrechtsverletzende Websites zu erschweren (Urt. v. 27.03.2014, Az. C 314/12).
Im konkreten Fall hatten österreichische Gerichte einem Access-Provider auf Antrag der Rechteinhaber an Kinofilmen aufgegeben, den Zugang ihrer Kunden zur Website "kino.to" zu sperren. Kino.to war ein populäres, aber illegales Streaming-Portal für Kinofilme und Fernsehserien. Die Website wurde im Jahre 2011 geschlossen, es existieren allerdings verschiedene Nachfolge- bzw. Nachahmerangebote im Netz.
Die seit Jahren kontrovers diskutierte Streitfrage lautet, ob auch von einem Internetzugangsanbieter verlangt werden kann, dass er den Zugang seiner Kunden zu urheberrechtsverletzenden Angeboten erschwert. Sperren im technischen Sinne kann der Provider die Seite mangels Zugriffs auf deren Webserver nämlich ohnehin nicht. Er kann lediglich versuchen, die dort angebotenen Inhalte vor seinen Kunden zu verbergen. Die inkriminierten Websites bleiben gleichwohl online und sind über andere Provider weiterhin erreichbar.
Der feine Unterschied zwischen Sperren und Sperren
Der EuGH geht zunächst davon aus, dass derjenige, der rechtsverletzende Inhalte ins Netz stellt – also im konkreten Fall der Betreiber von kino.to – auch die Dienstleistungen der Provider nutzt, deren Kunden auf die urheberrechtswidrigen Inhalte zugreifen. Begründet wird diese Annahme mit der Erwägung, dass der Internetzugangsprovider an jeder Übertragung von rechtsverletzendem Content zwischen seinem Kunden und dem eigentlichen Rechtsverletzter beteiligt ist, weil er durch die Gewährung des Zugangs zum Netz diese Übertragung möglich macht.
Bei dieser weiten Auslegung wäre freilich jeder technische Dienstleister, der einen beliebigen Beitrag zur Ermöglichung der Internetkommunikation leistet, als ein solcher Anbieter anzusehen. Art. 8 Abs. 3 der Infosoc-Richtlinie (2001/29/EG), auf die sich der EuGH beruft, verlangt aber explizit, dass der Rechtsverletzter die Dienste des Vermittlers für seine Rechtsverletzung nutzen muss.
Weshalb der Rechtsverletzter die Dienste eines beliebigen und damit eines jeden Access-Providers nutzen sollte, wird vom EuGH nicht nachvollziehbar begründet. Dass ein Zugangsanbieter seinen Kunden den Zugang zu illegalen Angeboten im Internet eröffnet, führt zunächst nur dazu, dass seine Dienstleistung von den eigenen Kunden zur Verletzung des Urheberrechts benutzt wird. Der Betreiber der illegalen Angebote hingegen nutzt nur die Dienste seines eigenen Access-Providers, aber nicht diejenigen eines fremden Zugangsanbieters.
Dem liegt letztlich ein Kausalitätsproblem zu Grunde. Der EuGH will offenbar ohne normative Einschränkung jedwedes äquivalent-kausale Verhalten genügen lassen. Eine solche Einschränkung legt die Richtlinie indes nahe. Ein Access-Provider liefert gerade keinen relevanten Beitrag für Rechtsverletzungen beliebiger Dritter. Mit der gleichen Logik könnte man behaupten, der öffentliche Nahverkehr liefere einen Beitrag zur Drogenkriminalität, wenn Kunden den Bus oder die Bahn nutzen, um ihren Dealer aufzusuchen.
Vorgaben des EuGH sind kaum unter einen Hut zu bringen
Der EuGH erkennt zwar an, dass die Anordnung einer Access-Sperre durch ein nationales Gericht mit der unternehmerischen Freiheit des Providers, aber vor allen Dingen mit der Informationsfreiheit der Internetnutzer kollidiert. Er löst dieses Spannungsverhältnis aber nicht erfolgreich auf, sondern bürdet es letztlich den Access-Providern auf.
Diese müssen nach Ansicht des EuGH die Möglichkeit haben, darzulegen, dass sie bereits ausreichende Maßnahmen zur Sperrung urheberrechtsverletzender Angebote ergriffen haben. Bei der Auswahl dieser Maßnahmen haben sie einerseits auf einen effektiven Schutz der Urheberrechte zu achten, andererseits aber auf die Informationsfreiheit der bei ihnen registrierten Internetnutzer.
Die sich in diesem Kontext stellenden Fragen der Wechselwirkung zwischen der Effektivität einer Maßnahme einerseits und der Gefahr der Beeinträchtigung anderweitiger legaler Inhalte andererseits, erörtert der EuGH leider nicht. Denn es ist seit langem bekannt, dass es je nach technischer Umsetzung einer solchen Zugangsblockade zu einem Overblocking kommen kann, also dazu, dass andere legale Angebote und Inhalte gleichsam mitgesperrt werden.
Vorauseilender Gehorsam vorprogrammiert?
Grundsätzlich gilt, dass mit der steigenden technischen Effektivität einer Sperrmaßnahme auch die Gefahr sogenannter Chilling Effects ansteigt. Damit sind Einschüchterungseffekte gemeint, die dazu führen können, dass Provider im Wege des vorauseilenden Gehorsams ohne gerichtliche Anordnung Websites sperren, die sie für rechtswidrig halten, die es möglicherweise aber gar nicht sind.
Die Vorgaben des EuGH, nämlich eine hinreichend wirksame technische Maßnahme, die gleichzeitig die Informationsfreiheit nicht beeinträchtigt, sind somit kaum unter einen Hut zu bringen. An dieser Stelle werden leider die Provider einmal mehr im Regen stehen gelassen, denn sie sollen eine Sperrvorgabe anhand von zwei gegenläufigen Kriterien umsetzen.
Die Entscheidung des EuGH dürfte dazu führen, dass Rechteinhaber künftig verstärkt versuchen werden, Access-Provider in Anspruch zu nehmen. Eine solche Entwicklung könnte sich insgesamt negativ auf die Funktionsfähigkeit des Internets auswirken. Es ist bedauerlich, dass der EuGH eine für die Sperrpraxis in Europa vermutlich äußerst weitreichende Entscheidung getroffen hat, ohne die tatsächlichen Zusammenhänge ausreichend durchdrungen zu haben.
Der Autor Thomas Stadler ist Fachanwalt für IT-Recht und für gewerblichen Rechtsschutz. Er betreibt das Blog "internet-law.de".
Verpflichtung zu Access-Sperren: . In: Legal Tribune Online, 27.03.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11472 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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