EuGH-Schlussanträge zur Scheinselbstständigkeit: Was mit unver­hofften Urlaubs­an­sprüchen geschieht

von Christian Oberwetter

09.06.2017

2/2: Unternehmen stehen für fehlerhafte Vertragsgestaltung ein

Generalanwalt Tanchev machte mit seinen Schlussanträgen jetzt den Weg für einen Urlaubsabgeltungsanspruch von Herrn King frei. Es sei mit dem Unionsrecht nicht vereinbar, dass ein Arbeitnehmer zunächst Urlaub nehmen müsse, ehe er einen Bezahlungsanspruch feststellen lassen könne. Arbeitgeber seien verpflichtet, Arbeitnehmern die Ausübung des Urlaubsanspruchs zu ermöglichen, zum Beispiel durch eine entsprechende Vertragsklausel.

Arbeitnehmer könnten nicht  darauf verwiesen werden, zunächst bei den Gerichten einen Antrag auf Ausübung des Urlaubs zu stellen. King könne sich auf die Arbeitszeitrichtlinie berufen, um eine Vergütung für ungenommenen Urlaub zu erhalten. Voraussetzung für  einen solchen Anspruch sei,  dass ein Arbeitnehmer ihm zustehenden Urlaub nicht in Anspruch genommen hat, ihn jedoch genommen hätte, wenn der Arbeitgeber ihm den  bezahlten Urlaub nicht verweigert hätte, so der Generalanwalt.

Dieser Urlaubsanspruch werde dann solange übertragen, bis der Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Ausübung des Anspruchs habe. Wenn das Arbeitsverhältnis beendet sei, wandle sich der Urlaubsanspruch entsprechend der Richtlinie in einen Abgeltungsanspruch um. Es sei nun Sache des vorlegenden britischen Gerichts, darüber zu befinden, ob das im Jahr 2008 erfolgte Angebot eines Arbeitsvertrags an King diesem die Möglichkeit gegeben habe, seine Ansprüche geltend zu machen.

Bedeutung für Deutschland

Die Schlussanträge des Generalanwaltes legen die Vorgaben der Arbeitszeitrichtlinie zutreffend aus. Unternehmen sind verpflichtet, Dienstverhältnisse rechtlich so zu gestalten, wie sie auch tatsächlich durchgeführt werden. Verstöße gegen diesen Grundsatz dürfen den Unternehmen keine (finanziellen) Vorteile gewähren. Wenn jemand als Selbständiger tätig ist, im Nachhinein jedoch als Arbeitnehmer deklariert wird, kann er sich auch folgerichtig auf die  Ansprüche berufen, die ihm als Arbeitnehmer zustehen. Das umfasst auch den Anspruch auf bezahlten Urlaub, den der Arbeitnehmer nicht in Anspruch genommen hat, weil sein Vertragspartner einen solchen Anspruch nicht vorsah.

Da bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Urlaub in natura nicht mehr in Anspruch genommen werden kann, verwandelt er sich folgerichtig in einen Abgeltungsanspruch. Der Sachverhalt ist nicht anders zu behandeln als die Fälle des Abgeltungsanspruchs aus krankheitsbedingten Gründen. Man kann im Fall der Arbeitsunfähigkeit von einer tatsächlichen Unmöglichkeit und in Kings Fall der vermeintlichen Selbständigkeit von einer irrtumsbedingten rechtlichen Unmöglichkeit der Inanspruchnahme sprechen.

Die kommende Entscheidung  des EuGH wird für Dienstverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland geringere Auswirkungen haben als für andere Mitgliedstaaten. In § 2 Abs.2 i.V.m. § 7  Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) ist für deutsche Beschäftigte bereits festgehalten, dass neben den Arbeitnehmern auch arbeitnehmerähnliche Selbständige in den Genuss von Mindesturlaub beziehungsweise seiner Abgeltung kommen. Vielleicht wird das Urteil des EuGH jedoch den Anlass bieten, sich diese in der Unternehmenspraxis nicht immer beachtete Regelung wieder ins Gedächtnis zu rufen.

Der Autor Christian Oberwetter, Rechtsanwalt und Maître en droit, ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und IT-Recht in Berlin und Hamburg.

Zitiervorschlag

Christian Oberwetter, EuGH-Schlussanträge zur Scheinselbstständigkeit: . In: Legal Tribune Online, 09.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23149 (abgerufen am: 07.11.2024 )

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