Hat der Erblasser im Todeszeitpunkt noch Urlaubsansprüche, so werden auch diese vererbt. Die Erben können dann deren Auszahlung verlangen. Das Urteil des EuGH widerspricht der bisherigen Rechtsprechung des BAG, analysiert Michael Fuhlrott.
Erneut hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) für Bewegung im deutschen Urlaubsrecht gesorgt und die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) für unionsrechtswidrig qualifiziert (Urt. v. 6.11.2018, Az. C-569/16 und C-570/16). Stirbt ein Arbeitnehmer im laufenden Arbeitsverhältnis und standen diesem noch unerfüllte Urlaubsansprüche zu, so wandeln sich diese in einen Urlaubsabgeltungsanspruch um. Die Erben können dann vom Arbeitgeber des Verstorbenen die Auszahlung des Urlaubs verlangen. Wenn das deutsche Recht dies nicht erlaube, könne sich der Erbe unmittelbar auf das Unionsrecht berufen.
Mit seiner Entscheidung bestätigt der EuGH die Sichtweise des Generalanwalts beim EuGH Bot, der bereits in seinen Schlussanträgen auf die besondere Bedeutung des Urlaubsanspruchs hinwies und sich auch nicht durch nationale Bedenken des diese Sachen vorlegenden BAG (Beschl. v. 18.10.2016, Az. 9 AZR 196/16 (A)) umstimmen ließ.
Ausgangspunkt für den Vorlagebeschluss des BAG waren die Klagen zweier Witwen, die Erbinnen ihrer jeweils verstorbenen Ehemänner waren. Deren Ableben erfolgte, während sie noch in einem bestehenden Arbeitsverhältnis standen. Einer der Erblasser war Beschäftigter der Stadt Wuppertal, einem öffentlichen Arbeitgeber, während der zweite Erblasser in den Diensten eines privatwirtschaftlichen Wartungsunternehmens stand. Beide Verstorbene einte, dass sie im Todeszeitpunkt noch im Besitz nicht erfüllter Urlaubsansprüche waren.
Die jeweiligen Witwen als Erblasserinnen machten nunmehr gegenüber den Arbeitgebern die Auszahlung der unerfüllten Urlaubsansprüche geltend. Diese hätten sich mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einen Abgeltungsanspruch gewandelt. Hierfür sei es unerheblich, ob die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Tod der Arbeitnehmer erfolgt sei oder der Arbeitnehmer sein Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis noch erlebt habe. Urlaub sei Urlaub, und wenn dieser nicht durch den Arbeitnehmer genommen werden konnte, sei er zu vererben.
BAG: Vererbbarkeit nur bei "Erleben" der Beendigung
Das BAG sah dies in seiner nationalen Rechtsprechung anders. Es erkannte eine Abgeltung von Urlaubsansprüchen für Erben nur an, wenn bei dem Verstorbenen ein Urlaubsabgeltungsanspruch bereits entstanden war (Urt. v. 12.3.2013, Az. 9 AZR 532/11). Der Arbeitnehmer musste also das Ende seines Arbeitsverhältnisses "überlebt" bzw. "erlebt" haben. Standen ihm dann noch Urlaubsansprüche zu, so verwandelten sich diese in einen Urlaubsabgeltungsanspruch beim Arbeitnehmer. Diesen Anspruch konnte er sodann auch vererben.
Voraussetzung war hiernach also, dass der Arbeitnehmer die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses um jedenfalls die viel zitierte sog. juristische Sekunde überlebt hatte. Wenn er vorher starb, also das Arbeitsverhältnis durch den Tod beendet wurde, verneinte das BAG eine Vererbbarkeit. Der Urlaubsabgeltungsanspruch könne nur bei einem Arbeitnehmer entstehen, nicht aber direkt bei den Erblassern. Diese gingen dann insoweit leer aus.
Der EuGH hatte bereits 2014 (Urt. v. 12.6.2014, Az.: C-118/13, "Bollacke") eine Vererbbarkeit von Urlaubsabgeltungsansprüchen dem Grunde nach bejaht. In dem Leitsatz der Entscheidung urteilte der EuGH ausdrücklich, dass die dem Urlaubsanspruch zugrundeliegende Richtlinie (2003/88/EG) mit "einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten", wonach der "Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ohne Begründung eines Abgeltungsanspruchs für nicht genommenen Urlaub untergeht, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet" unvereinbar sei.
Das BAG zeigte sich jedoch recht unbeeindruckt. Es argumentierte nunmehr mit den Besonderheiten des deutschen Erbrechts. Hiernach sei zwar im Falle des Todes eines Arbeitnehmers ein Übergang des Vermögens auf die Erben im Wege der Universalsukzession gem. § 1922 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch vorgesehen. Urlaubsansprüche würden hiervon aber nicht umfasst. Denn diese gingen mit dem Tod des Arbeitnehmers unter. Ein vererbbarer Urlaubsabgeltungsanspruch setze voraus, dass der Arbeitnehmer die Beendigung des Arbeitsverhältnisses "überlebe". Anders ließe sich die maßgebliche Vorschrift des § 7 Abs. 4 Bundesurlaubsgesetz nicht auslegen. Mit dieser Begründung verweigerte das BAG dem EuGH die Gefolgschaft und wollte mit der aktuellen Vorlage entschieden wissen, ob die Aussagen der Bollacke-Entscheidung auch dann zu gelten hätten, wenn das deutsche Erbrecht eine entsprechende Übertragung der Abgeltung auf die Erben ausdrücklich versage.
EuGH: Nationale Vorschriften bleiben unangewendet
Nationale Bedenken wischte der EuGH mit seinen heutigen Urteilen beiseite. Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub nach dem Unionsrecht dürfe nicht mit dem Tod des Arbeitnehmers untergehen. Die Erben eines verstorbenen Arbeitnehmers seien berechtigt, eine finanzielle Vergütung für den vom verstorbenen Arbeitnehmer nicht genommenen Jahresurlaub zu verlangen. Wenn das nationale Erbrecht dies ausschließe, sei dieses mit dem Unionsrecht unvereinbar.
Die Erben könnten sich dann zur Begründung ihres Anspruchs unmittelbar auf das Unionsrecht berufen und zwar sowohl gegenüber einem öffentlichen, als auch gegenüber einem privaten Arbeitgeber. Zwar sei anzuerkennen, dass der Tod des Arbeitnehmers unvermeidlich zur Folge habe, dass der verstorbene Arbeitnehmer die Entspannungs- und Erholungszeiten nicht mehr wahrnehmen könne. Der zeitliche Aspekt sei aber nur eine Komponente des Urlaubsanspruchs. Die finanzielle Komponente bestehe ebenfalls. Diese sei rein vermögensrechtlich und daher vom Arbeitnehmer vererbbar. Mit dem Tod dürfe sie nicht untergehen und dürfe daher von den Erben geltend gemacht werden.
Welchen Weg das BAG nunmehr zur Umsetzung der Vorgaben des EuGH gehen wird, bleibt abzuwarten. Das Ergebnis ist indes bereits vorgegeben: Den Erben muss ein Abgeltungsanspruch zustehen. Denkbar erscheint es, dass das BAG nunmehr doch eine unionsrechtskonforme Auslegung der erb- und urlaubsrechtlichen nationalen Vorschriften für möglich hält. Verschiedene Landesarbeitsgerichte (LAG) hielten eine derartige unionsrechtskonforme Auslegung der deutschen (Erbrechts-)Vorschriften bereits für möglich (s. etwa LAG Köln, Urt. v. 14.7.2016, Az. 8 Sa 324/16; LAG Düsseldorf, Urt. v. 15.12.2015, Az. 3 Sa 21/15) und sprachen Erben von im Arbeitsverhältnis verstorbenen Arbeitnehmern bereits einen Zahlungsanspruch zu. Für das BAG wäre dies allerdings ein Bruch mit der bisherigen eigenen Rechtsprechung. Daher spricht einiges dafür, dass das BAG die deutschen Erbrechtsvorschriften insoweit für unionsrechtswidrig bewertet und bei Erbfällen von Urlaubsansprüchen nicht mehr anwenden wird.
Ob dies dem ursprünglichen Sinn und Zweck des Urlaubsanspruchs dient, darüber kann man trefflich streiten. Für Erben verstorbener Arbeitnehmer bleibt damit wenigstens ein kleiner finanzieller Trost in Form des abzugeltenden Urlaubs.
Der Autor Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Professor für Arbeitsrecht und Studiendekan Wirtschaftsrecht an der Hochschule Fresenius sowie Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei der Kanzlei FHM – Fuhlrott Hiéramente & von der Meden Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB in Hamburg.
EuGH bejaht Vererbbarkeit von Urlaubansprüchen: . In: Legal Tribune Online, 06.11.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31903 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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