EuGH-Urteil betrifft öffentliche Arbeitgeber: Per­so­nal­ge­stel­lung ist keine Leih­ar­beit

Gastbeitrag von Isabel Hexel und Jörn Kuhn

22.06.2023

Die Leiharbeitsrichtlinie gilt nicht für Dauerarbeitsverhältnisse. Arbeiten Beschäftigte durch Personalgestellung bei Dritten, ist das keine Leiharbeit, so der EuGH. Jörn Kuhn und Isabel Hexel erklären, was in dem Urteil steckt.

Eine Personalgestellung gem. § 4 Abs. 3 Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) fällt nicht in den Anwendungsbereich der europäischen Richtlinie zu Leiharbeit (2008/104/EG). Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag entschieden (Az. C 427/21). Öffentliche Arbeitgeber dürften damit Grund zur Freude haben.

Bei einer Personalgestellung besteht das bisherige Arbeitsverhältnis fort, aber der Beschäftigte arbeitet dauerhaft bei einem Dritten. Das ist keine Leiharbeit, stellte der EuGH klar.

Kläger widersprach Betriebsübergang

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte dem EuGH mit Vorlagebeschluss vom 16. Juni 2021 (6 AZR 390/20) zwei Fragen vorgelegt: Zum einen ging es um die Frage, ob die Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD als Arbeitnehmerüberlassung im Sinne der Leiharbeitsrichtlinie zu beurteilen ist. Ferner wollte das BAG wissen, ob bejahendenfalls die Leiharbeitsrichtlinie eine Bereichsausnahme für die Personalgestellung im öffentlichen Dienst zulasse.

Der Entscheidung liegt ein Rechtsstreit über eine Versetzung zu Grunde. Die Beklagte, ein privatrechtlich betriebenes Krankenhaus, hat die Bereiche Poststelle, Archiv und Bibliothek auf die neu gegründete A Service GmbH ausgegliedert. Der seit 2020 beim Krankenhaus angestellte Kläger widersprach dem damit einhergehenden Betriebsübergang.

Die Beklagte, die auf das Arbeitsverhältnis den TVöD anwendet, hat den Kläger auf der Grundlage von § 4 Abs. 3 TVöD zur dauerhaften Erbringung der Arbeit bei der A Service GmbH versetzt. Hiergegen wendet sich der Kläger und macht geltend, dass die tarifliche Norm gegen die Leiharbeitsrichtlinie verstoße.

Personalgestellung: Umstrittener Sonderweg für Privatisierungen

Mit Beginn der Privatisierungswelle im öffentlichen Dienst fanden sich öffentliche Arbeitgeber und die Gewerkschaft im Zugzwang. Schnell war klar, dass die Privatisierung am Widerstand von Beschäftigten scheitern kann. Durch die Möglichkeit des Widerspruchs gegen einen Betriebsübergang (§ 613a Abs. 6 BGB) konnte es passieren, dass die Beschäftigten nicht den Arbeitgeber wechseln. Das Risiko war mit Blick auf einen möglichen Verlust der Besitzstände aus den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes hoch.

Zugleich waren vor allem die Verpflichtungen der Altersversorgung wirtschaftlich für jede neue Gesellschaft kaum tragbar. Faktisch drohte also der Privatisierung das Aus.

Die Lösung lag in der Einführung des § 4 Abs. 3 TVöD, der ein erweitertes Direktionsrecht verankert. Der öffentliche Arbeitgeber kann im Falle einer Aufgabenverlagerung einen Beschäftigten ohne dessen Zustimmung bei einem Dritten dauerhaft einsetzen. Die Regelung des § 123a Abs. 2 Beamtenrechtsrahmengesetz (BRRG) komplettiert dieses für die Beamtenverhältnisse.

Personalgestellung als Kündigungsschutzregel

In der Praxis bedeutet dies, dass im Falle von Widersprüchen gegen Betriebsübergänge – davon gab es reichlich – der öffentliche Arbeitgeber Beschäftigte nach § 613a Abs. 4 BGB zwar nicht betriebsbedingt kündigen kann. Dafür kann er sie auf Grundlage seines erweiterten Direktionsrechts aber bei dem Dritten im Wege der Personalgestellung einsetzen.

Nach § 613 S. 1 BGB muss der zur Dienstleistung Verpflichtete die Leistung grundsätzlich in Person erbringen – und der Anspruch auf die Dienste ist im Zweifel nicht übertragbar, § 613 S. 2 BGB. Trotz erheblicher Bedenken, dass die Personalgestellung mit der Unübertragbarkeit der Dienstverpflichtung kollidiert, ließ das BAG die Regelung bisher unbeanstandet (vgl. u.a. BAG vom 23.09.2004, 6 AZR 442/03).

Kurzum: Die Personalgestellung ist nichts anderes als eine Kündigungsschutzregel. Der Beschäftigte behält seinen öffentlichen Vertragsarbeitgeber und bekommt zusätzlich einen privatrechtlich organisierten Einsatzarbeitgeber. Beide müssen dann nur noch einen Vertrag abschließen, der die dauerhafte Überlassung von Personal vorsieht. Für Grundsatzfragen des Arbeitsverhältnisses bleibt der Vertragsarbeitgeber verantwortlich, für den Rest der Einsatzarbeitgeber.

Windungen im Rahmen der AÜG-Reform

Die Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) aus dem Jahr 2017 stellte eine große Gefahr für das Modell der Personalgestellung dar. Der Gesetzgeber hatte sich zum Ziel gesetzt, die Überlassung von Personal auf 18 Monate zu begrenzen. Es war schnell klar, dass dieses den öffentlichen Sektor berühren wird.

Die Bereichsausnahme des § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG sollte die Lösung sein. Demnach ist das AÜG in weiten Teilen nicht anwendbar auf die Arbeitnehmerüberlassung zwischen Arbeitgebern, wenn auf Grundlage eines Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes das bisherige Arbeitsverhältnis fortbesteht, die Arbeit aber künftig bei dem anderen Arbeitgeber erbracht wird.

Mit den insgesamt vier Bereichsausnahmen in § 1 Abs. 3 AÜG hat der Gesetzgeber im AÜG Sachverhalte definiert, die zwar einerseits als Arbeitnehmerüberlassung betrachtet werden können, andererseits aber von nahezu allen gesetzlichen Vorgaben wie der Erlaubnispflicht, der zeitlichen Begrenzung des Einsatzes sowie des Equal-Pay und Equal-Treat ausgenommen sind. Einzig einzelne Rückausnahmen zum AÜG – wie beispielsweise Regelungen zur Zusammenarbeit mit Behörden – sollen weiter Anwendung finden.

BAG: Personalgestellung nicht von Leiharbeitsrichtlinie erfasst

Nach Art. 1 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie gilt diese für Arbeitnehmer, die mit einem Leiharbeitsunternehmen ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen sind und den entleihenden Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, um vorübergehend unter deren Aufsicht und Leitung zu arbeiten.

Eine Personalgestellung setzt voraus, dass zwischen dem bisherigen Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis besteht. Aufgrund der Gestellung unterliegt dieser jedoch der Weisungsbefugnis des Drittunternehmens. Das BAG konnte nicht ausschließen, dass dieses Arbeitsverhältnis unter der "Aufsicht" und "Leitung" des Drittunternehmens im Sinne der Leiharbeitsrichtlinie durchgeführt wird und leitete ein Vorabentscheidungsersuchen ein.

Da eine Personalgestellung im Sinne von § 4 Abs. 3 TVöD jedoch aufgrund ihrer Besonderheiten und dem mit ihr verfolgten Ziel so maßgeblich von dem Leitbild der Leiharbeit der europäischen Richtlinie abweiche, sah das BAG die Personalgestellung nicht als vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst an.

EuGH: Leiharbeitsrichtlinie nicht auf Dauerarbeitsverhältnisse anwendbar

Dem stimmte der EuGH im Ergebnis zu. Damit ein Arbeitsverhältnis in den Anwendungsbereich der Leiharbeitsrichtlinie falle, müsse ein Arbeitgeber sowohl bei Abschluss des Arbeitsvertrags als auch bei jeder tatsächlich vorgenommenen Überlassung die Absicht haben, den betreffenden Arbeitnehmer einem entleihenden Unternehmen vorübergehend zur Verfügung zu stellen.

Dies war hier aber nicht der Fall: weder beim ursprünglichen Abschluss des Arbeitsvertrages noch bei der Ausgliederung selbst. Das Arbeitsverhältnis zu dem Arbeitgeber bestand nur deshalb fort, weil der Arbeitnehmer von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch gemacht hat.

Die Leiharbeitsrichtlinie beziehe sich ausschließlich auf vorübergehende Arbeitsverhältnisse, Übergangsarbeitsverhältnisse oder zeitlich begrenzte Arbeitsverhältnisse und nicht auf Dauerarbeitsverhältnisse wie im vorliegenden Fall. Die mit der Leiharbeitsrichtlinie verfolgten Ziele der Flexibilität der Unternehmen, der Schaffung neuer Arbeitsplätze oder der Förderung des Zugangs der Leiharbeitnehmer zu unbefristeter Beschäftigung seien für Dauerarbeitsverhältnisse nicht relevant. Zudem bedürfe ein dem Betriebsübergang widersprechender Arbeitnehmer auch nicht den in der Leiharbeitsrichtlinie vorgesehenen Schutzmechanismen. Auf die zweite Vorlagefrage des BAG, der Europarechtskonformität des § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG, kam es somit nicht mehr an.

Für öffentliche Arbeitgeber ändert sich nichts

Auf Seiten der Arbeitgeber wie auch möglicherweise auf Gewerkschaftsseite wird man nun aufatmen. Alles kann so bleiben, wie es ist. Öffentliche Arbeitgeber können weiterhin auf der Basis des § 4 Abs. 3 TVöD per erweitertem Direktionsrecht die Verrichtung der Tätigkeit bei einem Dritten anordnen, wenn es zu einer Aufgabenverlagerung kommt.

Auch Gewerkschaften brauchen in diesen Konstellationen keine Kündigung von Beschäftigten fürchten, die einem Betriebsübergang widersprechen. Denn vor Ausspruch einer etwaigen Kündigung muss der Arbeitgeber die Möglichkeit der Versetzung im Wege der Personalgestellung in Betracht ziehen.

Jörn Kuhn und Isabel Hexel sind beide Fachanwälte für Arbeitsrecht und Partner bei Oppenhoff in Köln.

Beteiligte Kanzleien

Zitiervorschlag

EuGH-Urteil betrifft öffentliche Arbeitgeber: . In: Legal Tribune Online, 22.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52060 (abgerufen am: 17.11.2024 )

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