Nach wie vielen Arbeitstagen steht Arbeitnehmern ein Ruhetag zu? Eine Frage, die den EuGH am Donnerstag über Umwege erreichte. Christian Oberwetter hält die Antwort der Luxemburger Richter darauf für nicht ganz unkritisch.
Mancher Arbeitnehmer möchte sich in seiner Freizeit vergnügen, um Abstand vom Alltag zu bekommen. Aus diesem Grunde haben die Geschäfte einiger Branchen, die der Zerstreuung dienen, die ganze Woche über geöffnet.
Aber was ist eigentlich mit den dortigen Mitarbeitern? Steht denen nicht ebenfalls ein Recht auf mindestens einen Ruhetag in der Woche zu? Diese Frage brachte der Angestellte eines portugiesischen Casinos bis vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH).
Das europäische Arbeitszeitrecht schützt die Beschäftigten in der Union davor, zu lange am Stück in ihren Unternehmen eingesetzt zu werden und darüber gar nicht mehr zur Ruhe zu kommen. Doch wie lange darf ein Beschäftigter durcharbeiten, bis ihm ein freier Tag zusteht? Der EuGH hält mit seiner Entscheidung vom Donnerstag eine Dauer von bis zu zwölf Tagen für zulässig (Urt. v. 09.11.2017, Az. C 306-16).
Ein Fall aus der Glücksspielbranche
23 Jahre war Herr Marques da Rosa in einem Casino in Portugal beschäftigt, bevor er im Jahre 2014 ausschied. Die dortigen Arbeitszeiten konnten – wie in der Branche üblich – als familienunfreundlich beschrieben werden: Das Casino hatte bis auf den 24. Dezember täglich vom Nachmittag bis zum folgenden Morgen geöffnet.
In den Jahren 2008 und 2009 arbeitete Herr Marques da Rosa manchmal an sieben aufeinanderfolgenden Tagen. Im Jahr 2010 organisierte das Casino die Arbeitszeiten so, dass die Angestellten an nicht mehr als sechs aufeinanderfolgenden Tagen arbeiteten und dann entsprechend ein Ruhetag gewährt wurde. Nach seinem Ausscheiden aus dem Casino zog Herr Marques da Rosa vor Gericht, da sein Arbeitgeber ihm diese Pflichtruhetage nicht gewährt habe.
Hierfür forderte er Entschädigungszahlungen in Höhe der Vergütung der gearbeiteten Überstunden. Das Berufungsgericht in Porto besaß Zweifel an der Auslegung der Arbeitszeitrichtlinie und legte dem EuGH die Frage vor, ob einem Arbeitnehmer nach sechs aufeinanderfolgenden Arbeitstagen ein Ruhetag gewährt werden muss.
Arbeitszeitrichtlinie legt nicht fest, wann ein Ruhetag zu gewähren ist
Die europäische Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003 88/EG) macht den Mitgliedstaaten der Union Vorgaben bezüglich der Arbeitszeiten von Beschäftigten. So gibt es Regelungen zur wöchentlichen Höchstarbeitszeit, zu täglichen Ruhezeiten, zu Ruhepausen - und eben auch zu Ruhetagen: In § 5 der Arbeitszeitrichtlinie ist geregelt, dass jedem Arbeitnehmer pro Siebentageszeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden gewährt wird.
Man könnte meinen, dass mit dieser Vorgabe der biblische Grundsatz, dass der Mensch am siebten Tage ruhen solle, seinen Weg in das Arbeitsrecht gefunden habe und dementsprechend nach sechs Tagen Arbeit Schluss sein müsse. Der EuGH stellte dazu aber zunächst fest, dass der Terminus "pro Siebentageszeitraum" keinen Verweis auf das nationale Recht der Mitgliedstaaten enthalte und daher unionsrechtlich einheitlich ausgelegt werden müsse.
Aus dem Wortlaut und dem Zusammenhang des Art.5 der Richtlinie ergebe sich wiederum bloß, dass innerhalb eines Siebentageszeitraums jedem Arbeitnehmer eine Mindestruhezeit von 24 Stunden zustünde. Die Vorschrift legt nach Auffassung der Luxemburger Richter aber gerade nicht fest, zu welchem Zeitpunkt die Ruhezeit zu gewähren wäre. Auch das Ziel der Richtlinie, nämlich Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer wirksam zu schützen, stehe der Auslegung nicht entgegen, dass der Ruhetag irgendwann innerhalb des Siebentageszeitraums zu gewähren sei.
Die Richtlinie räume also den Mitgliedstaaten für ihre Umsetzung eine gewisse Flexibilität in Bezug auf den Zeitraum ein, zu dem der Ruhetag zu gewähren sei. Dies könnte – so der EuGH - sogar vorteilhaft für den Beschäftigten sein, da sich die Möglichkeit ergäbe, dass zwei aufeinanderfolgende Ruhetage in Anspruch genommen werden können, wenn der erste Ruhetag am Ende eines Siebentageszeitraums genommen werde und der zweite Ruhetag auf den Anfang des neuen Siebentageszeitraums gelegt würde.
Tendenz zur Flexibilisierung der Arbeitszeit
Die Entscheidung des EuGH ist aus sich heraus erst einmal nachvollziehbar, wenngleich sich die Frage stellt, ob ein Ruhetag nach einer Sechs-Tages-Schicht dem Ziel der Richtlinie, die Gesundheit der Beschäftigten zu fördern, aus arbeitsmedizinsicher Sicht nicht näher kommt als die Gewährung eines Ruhetages "irgendwann" im Siebentageszeitraum. Insbesondere, da in Deutschland die Fünf-Tage-Woche genau wie in vielen anderen EU-Mitgliedstaaten die Regel darstellt.
Der EuGH hätte sich zudem intensiver mit der Europäischen Grundrechtecharta beschäftigen können, in deren Art. 31 Abs.2 ein Anspruch auf wöchentliche Ruhezeiten begründet wird. Zwar ergibt sich aus dem Passus selbst keine weitere Information zur Auslegung des Art.5 der Arbeitszeitrichtlinie. Allerdings hätte der EuGH den Gehalt des Europäischen Grundrechts bei dieser Gelegenheit näher konkretisieren sollen.
So wird man abwarten müssen, ob die Entscheidung neue Begehrlichkeiten weckt. In der derzeitig durch Digitalisierung und Globalisierung gekennzeichneten Arbeitswelt wird angesichts der fortschreitenden 24/7-Mentalität seitens der Wirtschaft bereits der Abschied vom Acht-Stunden-Tag und eine Abkehr von der Fünf-Tage-Woche zugunsten flexiblerer Arbeitszeitmodelle gefordert. Auf dieser Grundlage wird in den kommenden Jahren sicher ebenso über eine flexiblere Gewährung von Ruhetagen diskutiert werden. Bleibt zu hoffen, dass man nicht eines Tages angesichts der Rastlosigkeit der Gesellschaft die Frage stellt, ob Ruhe noch zeitgemäß ist. Denn in ihr liegt doch bekanntlich die Kraft.
Christian Oberwetter, EuGH zur Ruhezeit im Arbeitsrecht: . In: Legal Tribune Online, 09.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25457 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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