Über den Wolken mag die Freiheit wohl grenzenlos sein. Als Pilot kommt man in den Genuss aber nur bis zum Alter von 65 Jahren. Dabei bleibt es nach einem Urteil des EuGH auch, erklärt Christian Oberwetter.
Fluggesellschaften und Piloten tragen eine hohe Verantwortung. Eine Fahrlässigkeit kann das Leben von Passagieren und unbeteiligten Dritten gefährden. Das Unionsrecht setzt aus diesem Grunde eine Altersgrenze für Piloten im gewerblichen Luftverkehr fest. Diese Grenze ist gerechtfertigt und benachteiligt Piloten nicht wegen ihres Alters, stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Urteil vom Mittwoch fest (EuGH, Urt. v. 05.07.2017, Az. Rs C 190/16).
Für Flugzeugführer im gewerblichen Luftverkehr sieht das Unionsrecht zwingend eine Altersgrenze von 65 Jahren vor (FCL. 065 Buchst. B des Anhang I der VO (EU) Nr. 1178/2011). An dieser Regelung entzündete sich zwischen einem Piloten der Lufthansa und der Fluggesellschaft ein Streit. Obwohl der Pilot über eine Flug- und Ausbilderlizenz verfügte und sein Ausbildungsvertrag erst mit Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze Ende Dezember 2013 endete, beschäftigte ihn die Lufthansa seit November 2013 nicht mehr.
Der Pilot verlangte erfolglos Vergütung für die beiden Monate und erhob Klage vor den deutschen Arbeitsgerichten. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hielt schließlich fest, dass die Lufthansa in Annahmeverzug gekommen sein könne, da sie die Arbeitsleistung des Piloten nicht in Anspruch genommen habe. Mithin könne sie zur Zahlung der offenen Vergütung verpflichtet sein. Die Lufthansa vertrat dagegen die Auffassung, dass die im Unionsrecht verankerte zwingende Altersgrenze die Beschäftigung des Piloten ausschlösse. Das Bundesarbeitsgericht bezweifelte die rechtliche Zulässigkeit dieser Regelung und legte dem EuGH im Wege der Vorabentscheidung die Fragen vor, ob die starre Altersgrenze der Unionsregelung mit dem Verbot der Diskriminierung gemäß Art. 21 Abs.1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) vereinbar sei und ob unter den Begriff des gewerblichen Luftverkehrs auch Leer- und Ausbildungsflüge fallen würden.
Altersgrenze zulässig, aber nicht für Leer- und Ausbildungsflüge
Der EuGH hielt fest, dass die Altersgrenze der Unionsregelung eine Ungleichbehandlung wegen des Alters darstelle, welche allerdings keinen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 21 Abs.1 der Charta begründe. Art. 52 der Charta erlaube eine Einschränkung dieses Rechtes, soweit es sich um eine gesetzliche Regelung handele, die dem Gemeinwohl dienenden Zwecken entspreche und die geeignet und verhältnismäßig sei.
Flugsicherheit diene dem Gemeinwohl. Die körperliche Eignung von Piloten sei wesentlich für die Ausübung des Berufes, mit zunehmendem Alter nehme die körperliche Leistungsfähigkeit ab und könne ab dem 65. Lebensjahr zur Unfallursache werden. Es sei auch verhältnismäßig, dass der Gesetzgeber die Altersgrenze nur für den gewerblichen Luftverkehr festgelegt habe, da dieser technisch komplexer als der nicht gewerbliche Luftverkehr sei und es im gewerblichen Luftverkehr eine höhere Anzahl betroffener Personen gebe. Die Altersgrenze von 65 Jahren diene somit dem Ziel, ein angemessenes Sicherheitsniveau der Zivilluftfahrt in Europa aufrechtzuerhalten.
Es spiele dabei keine Rolle, dass keine gesicherten Erkenntnisse zum Einsatz von Piloten nach dem 65. Lebensjahr vorlägen, denn der Unionsgesetzgeber habe ein weites gesetzgeberisches Ermessen bei der Beurteilung und könne eine abstrakte Altersgrenze festlegen, ohne etwa individuelle Gesundheitsfaktoren der Piloten über 65 Jahren prüfen zu müssen. Der EuGH hielt jedoch abschließend fest, dass Leer- und Ausbildungsflüge nicht unter der Begriff des gewerblichen Luftverkehrs fielen.
Lufthansa wird zahlen müssen
Mit der Entscheidung des EuGH ist der Weg für das Bundesarbeitsgericht frei, dem Kläger die beiden ausstehenden Gehälter zuzusprechen. Zwar hat der EuGH die unionsrechtliche Altersregelung als zulässig erachtet, so dass der Pilot nicht mehr mit Personen oder Fracht fliegen durfte. Die Lufthansa hätte ihn jedoch möglicherweise in den letzten beiden Monaten anderweitig einsetzen können, denn er verfügte weiterhin über die Piloten- und Ausbildungslizenz, so dass er Tätigkeiten in diesem Bereich hätte durchführen können. Ob eine solche kurzfristige Umsetzung möglich gewesen wäre, wird der weitere Prozess vor dem Arbeitsgericht zeigen. Die Beschäftigungspflicht ist in jedem Falle Hauptleistungspflicht des Arbeitgebers; kann er diese nicht erbringen, bleibt er dennoch zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.
Praktiker könnten sich die Frage stellen, warum die Lufthansa sich wegen zwei Monatsgehältern auf einen Streit bis zum EuGH eingelassen hat. Eine höchstrichterliche Entscheidung über die Rechtsfrage ist jedoch von hoher Bedeutung. Die Regelaltersgrenze für den Eintritt in die gesetzliche Rentensicherung steigt in den nächsten Jahren sukzessive bis zum 67. Lebensjahr an und es stellt sich die Frage, ob die Fluggesellschaft Piloten ab dem 65. Lebensjahr noch beschäftigen kann und muss.
Das Urteil des EuGH ist nachvollziehbar, denn die Sicherheit der zivilen Luftfahrt steht als überragendes Gemeinwohlgut weit über den individuellen Begehrlichkeiten von Piloten, möglichst lange beschäftigt zu werden. Schwere körperliche Beeinträchtigungen oder gar der Tod treten - zum Leidwesen des Betroffenen und unbeteiligter Dritter – mitunter plötzlich ein. Da der EuGH im Wesentlichen nur auf den Rückgang der körperlichen Leistungsfähigkeit beim Älterwerden abgestellt hat, sollte bei den Piloten genügend Altersweisheit vorhanden sein, ihre bisherige Tätigkeit aufzugeben. Die Fluggesellschaften sollten dafür im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht Möglichkeiten einer anderweitigen Beschäftigung schaffen, denn vom 65. Lebensjahr bis zum Renteneintritt nicht vergütet zu werden, dürfte ein Zustand sein, mit dem man bei den Beschäftigten nicht landen kann.
Autor Christian Oberwetter, Rechtsanwalt und Maître en droit, ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und IT-Recht in Berlin und Hamburg.
Christian Oberwetter, EuGH bestätigt Altersgrenze für Piloten: . In: Legal Tribune Online, 06.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23377 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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