Wenn es finanziell eng wird, dürfen Pensionskassen ihre die Renten reduzieren. Das macht den Rentnern nichts, weil der Arbeitgeber einspringen muss. Aber was, wenn der insolvent wird? Die Entscheidung des EuGH dazu erklärt Tobias Neufeld.
Pensionskassen dürfen ihre Leistungen reduzieren. Für diese Reduzierung haftet dann der Arbeitgeber - wenn er nicht insolvent wird. Dann springt nach dem Betriebsrentengesetz niemand mehr ein, auch nicht der Pensions-Sicherungs-Verein (PSV). Das ist nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nicht richtig. Er hat nun entschieden, dass bei berechtigten Kürzungen die Mitgliedstaaten eine Verpflichtung trifft, diese Kürzungen bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers so weit abzufedern, dass die Reduzierung der Rente nicht unverhältnismäßig ist. Das sei jedenfalls dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer an die Schwelle der Armutsgrenze rückt oder diese unterschreitet (EuGH, Urt. v. 19.12.2019, Az. C-168/18). Damit stellt sich der EuGH ausnahmsweise gegen die Schlussanträge des Generalanwalts, der jegliche Kürzungen zu Lasten des Arbeitnehmers abgelehnt hatte.
Die Entscheidung ergeht auf die Klage eines Arbeitnehmers aus Deutschland gegen den Pensions-Sicherungs-Verein VVaG (PSV). Der PSV ist ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit und wird von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) beaufsichtigt. Er übernimmt im Falle einer Unternehmensinsolvenz die Versorgung aller Rentner und Anwärter, die Anspruch auf eine insolvenzgeschützte Betriebsrente nach dem Betriebsrentengesetz (BetrAVG) haben.
In dem zu Grunde liegenden Fall hatte ein Arbeitnehmer unmittelbar vom früheren Arbeitgeber eine Betriebsrente und ein jährliches Weihnachtsgeld sowie eine Rente von der Pensionskasse für die Deutsche Wirtschaft (PKDW), einer großen Pensionskasse der chemischen Industrie, erhalten. Letztere wurden nach finanziellen Schwierigkeiten der PKDW um 200 Euro monatlich auf 877 Euro reduziert. Diese Kürzung glich der Arbeitgeber aus, bis dieser insolvent wurde. Der PSV trat zwar für die monatliche Pensionszulage und das Weihnachtsgeld ein, nicht aber für die Kürzung.
Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln (Urt. v. 30.1.2014, Az. 6 Ca 3482/13) hat die Klage des Rentners auf Zahlung der 200 Euro monatlich gegen den PSV abgewiesen, das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln (Urt. v. 2.10.2015 ,Az. 10 Sa 4/15) gab ihr statt. Das Revisionsverfahren vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) führte zu der EuGH-Vorlage.
PSV sichert die Insolvenz des Arbeitgebers…
Worum es geht: Betriebliche Altersversorgung ist ein langfristiges Versprechen des Arbeitgebers auf den Versorgungsfall. Die Rentenleistungen erdient der Arbeitnehmer Tag für Tag während des aktiven Arbeitslebens. Im Versorgungsfall zahlt der Arbeitgeber die Betriebsrente aus dem laufenden Cash-Flow.
Wird der Arbeitgeber zahlungsunfähig, so schützen §§ 7 ff. BetrAVG die Arbeitnehmer vor dem Ausfall ihrer Betriebsrentenleistungen. Gemäß § 14 BetrAVG ist der PSV der Träger und Schuldner dieser Insolvenzsicherung. Insolvenzgeschützt sind gemäß § 7 Abs. 1 BetrAVG allerdings nicht alle Durchführungswege des BetrAVG, sondern nur unmittelbare Versorgungszusagen, Unterstützungskassenzusagen und Pensionsfondszusagen sowie (eingeschränkt) Direktversicherungszusagen.
Pensionskassenzusagen sind nicht nach § 7 BetrAVG insolvenzgesichert. Wird der Arbeitgeber insolvent, besitzen die Arbeitnehmer immer noch ihren Leistungsanspruch gegen die Pensionskasse, die von der BaFin beaufsichtigt wird. Deshalb hielt der Gesetzgeber einen Insolvenzschutz im BetrAVG für entbehrlich. Angesichts substantieller Krisen zahlreicher Pensionskassen erscheint diese Wertung heute kaum nachvollziehbar.
…aber nicht bei Pensionskassenrenten
In diesem Fall nun vom EuGH entschiedenen Fall zahlte die PKDW allerdings die versprochene Betriebsrente bei Arbeitgeberinsolvenz weiter, lediglich um einen Sanierungsbetrag reduziert. Die Insolvenz der Arbeitgeberin spielte insoweit keine Rolle.
Relevant wurde die Insolvenz bei der Einstandspflicht des Arbeitgebers für die Reduzierung der Pensionskassenrente um 200 Euro, die nun nicht mehr gezahlt wurde. § 7 Abs.1 BetrAVG sieht keinen Insolvenzschutz durch den PSV für die Einstandspflicht des Arbeitgebers aus § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG bei Pensionskassenkürzungen vor. Nach Ansicht des LAG Köln (Urt. v. 2.10.2015, Az. 10 Sa 4/15) und einiger Literaturstimmen ist das auch nicht erforderlich, da die Einstandspflicht nichts anderes sei als eine unmittelbare Versorgungszusage des Arbeitgebers, die zweifelsfrei dem PSV-Schutz nach § 7 Abs. 1 S. 1 BetrAVG unterliegt.
Die herrschende Literaturmeinung lehnt das hingegen ab. Pensionskassenzusagen behielten auch im Falle der Einstandspflicht aus § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG trotz unmittelbarer Zahlungen des Arbeitgebers ihren Charakter als Pensionskassenzusagen, die nicht vom gesetzlichen Insolvenzschutz umfasst seien.
Diese Auffassung teilt auch das BAG in seinem Vorlagebeschluss. Rechtsgrundlage für die Einstandspflicht des Arbeitgebers sei Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.10.2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers.
Diese Richtlinie gilt für Ansprüche von Arbeitnehmern aus Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen gegen Arbeitgeber, die zahlungsunfähig sind. Die Mitgliedstaaten müssen die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit die Befriedigung der nicht erfüllten Ansprüche der Arbeitnehmer sichergestellt ist. Artikel 8 der Richtlinie sieht die Sicherung betrieblicher Altersversorgung vor.
EuGH bejaht hälftige Sicherung
Der EuGH hatte in zwei Verfahren bereits entschieden, dass ein Schutz bis zur Hälfte des betroffenen Arbeitnehmerrechts im Sinne der Richtlinie ausreichend ist (EuGH Urt. v. 24.11.2016 Az. C- 454/15 Webb-Sämann, EuGH Urt. v. 06.09.2018, Az. C 17/17 Hampshire). Fälle wie die des aktuellen Klägers seien zwar von Art. 8 der Richtlinie 2008/94 erfasst, allerdings nicht unbeschränkt.
Art. 8 verlange keine vollständige Absicherung betroffener Arbeitnehmeransprüche, allerdings müsse der teilweise Rechtsverlust durch legitime wirtschaftliche und soziale Ziele begründet und verhältnismäßig sein. Nach Art. 8 müsse ein Arbeitnehmer mindestens die Hälfte seiner erworbenen Altersrente bei der Pensionskasse erhalten. Das sei ausnahmsweise dann nicht ausreichend, wenn der Arbeitnehmer wegen dieser Kürzung unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle leben müsste.
Der EuGH führt damit seine Rechtsprechung fort und erteilt dem Generalanwalt eine Absage, der eine Einstandspflicht im Hinblick auf die Rente zu 100 Prozent gefordert hatte, da die Richtlinie eine vollständige Sicherung vorsehe. Das bedeutet aber auch, dass der Kläger am Ende des Verfahrens wohl keine Insolvenzsicherung für seine gekürzte Pensionskassenrente erhalten wird, da die Kürzung um 200 Euro bei einer Rente von 877 Euro monatlich für den Richtlinienschutz zu gering ausfällt.
PSV als staatliche Insolvenzsicherung?
Wenig überraschend meint der EuGH, dass Art. 8 der Richtlinie 2008/94 unmittelbare Wirkung entfalte, so dass er gegenüber einer privatrechtlichen Einrichtung geltend gemacht werden kann, die vom Staat als Träger der Arbeitgeberinsolvenzsicherung im Bereich der betrieblichen Altersversorgung für die von der Richtlinie geschützten Leistungen bestimmt worden ist. Ob das in Deutschland der PSV ist, gibt der EuGH nun dem BAG zur Prüfung auf.
Die Antwort des BAG kann nur „Nein“ lauten, denn § 7 Abs. 1 BetrAVG gibt dem PSV gerade keine Sicherung von Pensionskassenzusagen auf. Unverständlich ist angesichts dieses zu erwartenden Ergebnisses, warum das BAG sich überhaupt zur Vorlage entschieden hat und nicht dem LAG Köln gefolgt ist, das eine Insolvenzsicherung der Einstandspflicht des Arbeitgebers aus § 1 Abs. 1 Satz 3 als unmittelbare Versorgungszusage gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 BetrAVG zu Recht bejaht hatte.
Der Gesetzgeber handelt und macht einen Rückzieher
Das Bundesarbeitsministerium (BMAS) scheint das Urteil des EuGHs erwartet zu haben. Anfang November gab es den Referentenentwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (7. SGB IV-ÄndG) in die Verbändeanhörung, der in Artikel 10 das BetrAVG ändern sollte und deregulierte Pensionskassen wie die PKDW in die Insolvenzsicherung durch den PSV nach § 7 BetrAVG einbeziehen sollte.
Nach zahlreicher Kritik enthält der Regierungsentwurf des 7. SGB IV-ÄndG vom 13.12.2019 diese Regelungen nun nicht mehr. Es bleibt also spannend in Berlin. Klar ist, dass der Gesetzgeber angesichts der Pensionskassenkrise und des EuGH-Urteils handelt muss. Er wird das Urteil wohl auch übererfüllen und eine hundertprozentige Sicherung der Zusagen regulierter Pensionskassen vorsehen. Deregulierte Kassen werden wohl über die Protektor Lebensversicherungs-AG gegen Insolvenz gesichert bleiben.
Der Autor Tobias Neufeld, LL.M. ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Gründer von neufeld Recht. Beratung. in Düsseldorf, einer Spezialkanzlei für den Bereich Human Resources. Neufeld ist spezialisiert auf betriebliche Altersversorgung und berät nationale und internationale Unternehmen an den Schnittstellen von Arbeitsrecht, Betriebsrentenrecht und Datenschutz.
EuGH zu Sicherung von Renten aus Pensionskassen: . In: Legal Tribune Online, 23.12.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39407 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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