Nicht nur Umweltverbände, sondern auch Privatleute können bei großen Infrastrukturprojekten gegen die Verletzung der wasserrechtlichen Bewirtschaftungsziele klagen, so der EuGH. Sie müssen aber unmittelbar betroffen sein, erläutert Julian Augustin.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am Donnerstag über ein für große Infrastrukturprojekte wichtiges Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) entschieden, Urt. v. 28.05.2020, Rechtssache C535/18. Mit dem EuGH-Urteil werden die Klagemöglichkeiten Privater gegen vorhabenbedingte Verschlechterungen des Grundwassers gestärkt. Den EuGH erreichte dazu ein Vorlageersuchen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG). Das dort anhängige Klageverfahren betrifft ein Autobahnprojekt in NRW. Konkret befasst sich das EuGH-Urteil mit den Anforderungen des Grundwasserschutzes nach der EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL). Die Entscheidung hat auch für alle anderen Infrastrukturprojekte und sonstigen Vorhaben, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist und die daher der UVP-Richtlinie unterfallen, Bedeutung.
Die Bezirksregierung im nordrhein-westfälischen Detmold hatte den Neubau des Autobahnzubringers Ummeln an der A 33/B 61 genehmigt. Dagegen hatten Grundstückseigentümer und Landwirte entlang des geplanten Straßenabschnitts geklagt, sie fürchteten die Enteignung beziehungsweise um die Existenz ihrer Betriebe. Daneben rügen sie eine Gefährdung ihrer privaten Wasserversorgung über Hausbrunnen, wenn in Zukunft Straßenabwässer versickern oder das Land überschwemmt wird.
Das BVerwG wollte durch das höchste europäische Gericht klären lassen, unter welchen Voraussetzungen Privatpersonen die Rechtmäßigkeit der Planfeststellung für ein großes Straßenbauvorhaben anfechten können, weil die Anforderungen des EU-Umweltrechts nicht eingehalten sind. Daneben bat es um Klärung dazu, nach welchen Kriterien sich die Verschlechterung des Zustandes eines Grundwasserkörpers nach der WRRL bemisst.
EuGH bestätigt Erfordernis der subjektiven Betroffenheit von Privatklägern
Die erste Vorlagefrage des BVerwG zielt auf die Vereinbarkeit einer Regelung im Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) mit der europäischen UVP-Richtlinie. Nach der nationalen Regelung in § 4 Abs. 3 Satz 2 UmwRG können Individualkläger – anders als Umweltvereinigungen – etwaige Verfahrensfehler nur dann gerichtlich geltend machen, wenn ihnen selbst die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen worden ist.
In dem konkreten Fall fehlten in den Bekanntmachungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung Hinweise auf die Antragsunterlagen zu den vorhabenbedingten Auswirkungen durch Straßenentwässerung und Lärm.
Das BVerwG hielt es für unionsrechtskonform, dass das UmwRG bei den Rechtsbehelfsmöglichkeiten von Privatklägern und Umweltvereinigungen differenziert. Dem ist der EuGH nunmehr gefolgt: Eine nationale Vorschrift ist mit Art. 11 UVP-Richtlinie vereinbar, nach der Privatkläger die Nichtigerklärung einer Projektgenehmigung wegen eines Verfahrensfehlers nur verlangen können, wenn sie nachweisen, dass ihnen selbst das nach Art. 6 der UVP-Richtlinie garantierte Recht auf Beteiligung an umweltbezogenen Entscheidungsverfahren genommen wurde. Dies gilt nach dem heutigen Urteil des EuGH allerdings nur für solche Verfahrensfehler, die sich nicht auf den Inhalt der Entscheidung ausgewirkt haben können.
Außerdem betonen die EuGH-Richter, dass die Öffentlichkeit ihre Beteiligungsrechte grundsätzlich nicht wahrnehmen kann, wenn in den Auslegungsunterlagen Angaben zu den wasserbezogenen Auswirkungen des Projektes fehlen. Weiterhin bestätigt der EuGH, dass die behördliche Prüfung der wasserrechtlichen Bewirtschaftungsziele, also das Verschlechterungsverbot und das Verbesserungsgebot, nicht erst nach der Projektgenehmigung durchgeführt werden dürfen. Vielmehr verlange Art. 6 der UVP-Richtlinie auch, dass Fachbeiträge zur Vereinbarkeit des Vorhabens mit der WRRL im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung zwingend auszulegen sind. Insbesondere genügt es nicht, wenn die Behörde einen Fachbeitrag zur WRRL erst im gerichtlichen Verfahren vorlegt.
Verschlechterung des Grundwassers schon bei Schwellenwertüberschreitung an einer Messstelle
Mit seiner dritten Vorlagefrage wollte das BVerwG klären lassen, ob die EuGH-Rechtsprechung zum Verschlechterungsverbot bei Oberflächenwasserkörpern entsprechend auch für Grundwasserkörper gilt.
Der EuGH hatte in seinem Weservertiefungsurteil festgestellt, dass eine Verschlechterung bei Oberflächenwasserkörpern vorliegt, sobald sich der Zustand mindestens einer Qualitätskomponente um eine Klasse verschlechtert. Ist die betreffende Qualitätskomponente jedoch bereits in der niedrigsten Klasse eingeordnet, stellt jede weitere Verschlechterung dieser Komponente eine Verschlechterung des Zustands des Oberflächenwasserkörpers dar (sog. Qualitätskomponentenklassentheorie). Gegen die Übertragung dieses Bewertungsmaßstabs auf das Grundwasser bestanden zumindest Zweifel, weil die Anhänge zur WRRL nur zwischen dem guten und dem schlechten mengenmäßigen und chemischen Zustand des Grundwassers differenzieren, wohingegen für die Oberflächenwasserkörper eine fünfstufige Skala der ökologischen Qualitätskomponenten gilt.
Der EuGH hat diese Zweifel mit dem heutigen Urteil ausgeräumt und sogleich wichtige Hinweise zur Bedeutung der einzelnen Überwachungsstellen eines Grundwasserkörpers gegeben. Hiernach ist der zu Oberflächenwasserkörpern anerkannte Bewertungsmaßstab grundsätzlich auf das Grundwasser übertragbar. Die für das Grundwasser in der WRRL festgelegten Qualitätsnormen und Schwellenwerte, insbesondere die Grenzwerte für Schadstoffe, stellen Qualitätskomponenten dar, anhand derer die Verschlechterung des Zustands zu bemessen ist. Die Prüfung ist mithin qualitätskomponenten- bzw. stoffbezogen. Eine Verschlechterung des chemischen Zustands eines Grundwasserkörpers i.S. der WRRL liegt vor, wenn mindestens eine Qualitätsnorm oder ein Schwellenwert vorhabenbedingt überschritten wird. Gleiches gilt dann, wenn die Konzentration eines Schadstoffs erhöht wird, dessen Schwellenwert bereits überschritten ist.
Dabei betont der EuGH mit Blick auf das zur Überwachung des Zustands eines Grundwasserkörpers erforderliche Netz an Überwachungsstellen, dass eine Verschlechterung des chemischen Zustands eines Grundwasserkörpers schon dann festzustellen ist, wenn eine Qualitätskomponente an nur einer Überwachungsstelle nicht erfüllt wird. In diesen Fällen kann also regelmäßig nicht von einer nur lokalen und daher für das Verschlechterungsverbot irrelevanten Beeinträchtigung ausgegangen werden.
Inhaber von Hausbrunnen können Verstöße gegen die WRRL geltend machen
Hinsichtlich der Klagebefugnis von Privaten weicht der EuGH mit seinem Urteil teilweise von der Rechtsauffassung des BVerwG ab. Die Luxemburger Richter stellten fest, dass auch Privatkläger befugt sein müssen, vor den zuständigen nationalen Gerichten die Verletzung der wasserrechtlichen Bewirtschaftungsziele geltend zu machen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass sie durch diese Verletzung unmittelbar betroffen sind. Dies gelte insbesondere für die Inhaber eines Hausbrunnens zur privaten Wasserversorgung, wenn sie zur Grundwasserentnahme und -nutzung berechtigt sind. Illegale Hausbrunnen oder Grundwasserentnahmen begründen die Klagebefugnis hingegen nicht.
Mit dem heutigen Urteil hat der EuGH einerseits die Klagerechte betroffener Privatpersonen gegen Infrastrukturprojekte und andere UVP-pflichtige Vorhaben mit Auswirkungen auf das Grundwasser gestärkt. Andererseits hat er das Festhalten des Bundesgesetzgebers am Erfordernis der subjektiven Betroffenheit von Privatklägern gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 UmwRG bestätigt.
Projektträger und Zulassungsbehörden werden daher verstärkt auf die Einhaltung der Verfahrensgarantien im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung achten müssen. Etwaige Antragsunterlagen zu den wasserrechtlichen Bewirtschaftungszielen sind dabei zwingend auszulegen. Dies allerdings dürfte angesichts der praktischen Bedeutung, die die Bewirtschaftungsziele der WRRL schon nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH erlangt hatten, nicht überraschend sein.
Die Betonung der Maßgeblichkeit jeder einzelnen Messstelle an einem Grundwasserkörper durch den EuGH könnte Anlass zur Überprüfung aktueller Genehmigungsunterlagen geben. Sie könnte zudem die Genehmigungsfähigkeit großer Infrastrukturprojekte beeinträchtigen. Dies belegt erneut, dass die in der WRRL und im nationalen Recht vorgesehenen Ausnahmen von den Bewirtschaftungszielen der WRRL notwendig zu erweitern sind, um Schutz und Nutzung der Gewässer in einen angemessenen Ausgleich zu bringen.
RA Dr. Julian Augustin ist in der Sozietät Redeker Sellner Dahs am Standort Berlin tätig. Er vertritt und berät u.a. Vorhabenträger und Behörden zu großen Infrastruktur- und Bauvorhaben jeglicher Art. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten gehören neben dem öffentlichen Bau- und Planungsrecht auch wasserrechtliche Zulassungsverfahren.
EuGH urteilt zum Rechtsschutz bei Großprojekten: . In: Legal Tribune Online, 28.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41757 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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